Die "Killing Years" in Irland

Ein Bericht über die Vertuschungsbemühungen britischer Sicherheitsbehörden

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Britische Journalisten, Polizeibeamte und Undercover-Geheimagenten der Armee bekämpfen sich zunehmend in einem Geheimdienstskandal. Er droht, eine Serie staatlich gesponserter Killeraufträge aufzudecken, die man eigentlich eher mit ehemaligen südamerikanischen Diktaturen als mit einer modernen westlichen europäischen Nation assoziiert.

In den letzten zwei Jahren griffen britische Sicherheitsbehörden auch auf gesetzlichen Zwang und Einschüchterungstaktiken zurück, um die Identität und die Aktivitäten von Geheimdienstagenten der Armee zu verschleiern, die eine Schlüsselrolle in einer geheimen Einheit gespielt hatten. Diese hatte dafür gesorgt, dass unschuldige Bürger ermordet wurden, hatte aktiv mit Todesschwadronen zusammengearbeitet und ihnen Informationen zugesteckt. Schließlich hatten sie Polizeibüros in Brand gesetzt, um Akten zu zerstören und eine Untersuchung zu verhindern, die ihre Aktivitäten enthüllt hätte.

Die geheime Einheit unter der Bezeichnung Force Research Unit (FRU) war eine Geheimdiensteinheit auf hoher Ebene, die mit der Führung von Undercover-Agenten in Nordirland und der Irischen Republik beauftragt war. Sie wurde in den frühen 80er Jahren eingerichtet, um zuvor unkoordinierte Agentenaktivitäten zu übernehmen und unter eine einzige professionelle Kommandostruktur unterzuordnen.

Das gesetzlose Fehlverhalten der FRU kam in den letzten zwei Jahren ans Licht, nachdem die Polizei die umstrittenen Hinrichtungen durch die protestantische Terrororganisation, darunter auch die Ulster-Defence-Association (UDA), umfassend untersucht hatte. Die Untersuchungen konzentrierten sich ursprünglich auf die Hinrichtung des prominenten republikanischen Rechtsanwalts Pat Finucane im Februar 1989.

Seither hat sich herausgestellt, dass die Ermordung Finucanes von dem UDA-Geheimdienstoffizier Brian Nelson geplant wurde. Seinen Terror-Kollegen war allerdings nicht bekannt, dass es sich bei Nelson um einen britischen Geheimdienstagenten handelte. Er wurde von der FRU geführt, der er routinemäßig berichtete. Auf diese Weise wurden Informationen über Republikaner ausgetauscht, die die UDA töten sollte. Der Quartiermeister der UDA, William Stobie, der die Mordwaffen bereitstellte und später versteckte, war ebenfalls ein britischer Agent. Er arbeitete für die Spezialabteilung der Royal Ulster Constabulary, einer Polizei in Nordirland.

Ehemalige Mitglieder der FRU berichteten Journalisten, dass bis zu 13 irische Katholiken auf diese Weise getötet wurden. Im letzten Jahr kam ein Fall ans Licht, der die Ermordung des katholischen Rentners Francisco Notorantonio betraf, der in West-Belfast lebte. Notorantonio, der 66 Jahre alt war, als er starb, hatte sich mit Politik seit 30 Jahren nicht mehr beschäftigt. Er wurde von der FRU auf die Todesliste gesetzt, um einen hochrangigen britischen Agenten zu schützen.

Kurz vor der Ermordung war die FRU darüber informiert worden, dass es den Plan gab, ein höheres Mitglied der IRA zu töten, das eigentlich ein britischer Geheimdienstagent war. Unter dem Codenamen STAKEKNIVE war und ist der Agent immer noch der dienstälteste und erfolgreichste Informant des britischen Geheimdienstes innerhalb der nordirischen Terrorgruppe. Als die FRU von dem Plan erfuhr, bekam sie Panik. Um die Killer von STAKEKNIVE abzulenken, bereiteten sie ein falsches Dossier vor. Dieses suggerierte, dass der unschuldige und harmlose Notorantonio ein besseres Ziel für ihre Kugeln wäre.

Die Existenz und die Bedeutung des Agenten STAKEKNIVE wurde kürzlich öffentlich durch die Polizeiuntersuchung bestätigt, die die Wahrheit der FRU-Affäre aufdecken will. Die Untersuchung wird von Sir John Stevens geleitet, dem Präsidenten der Metropolitan Police (London). Er ist der ranghöchste Polizeioffizier Großbritanniens. Zehn Jahre zuvor, als er noch eine niedrigere Führungsposition bekleidete, war Stevens gefragt worden, ob er die Mordserie in Nordirland untersuchen wolle. Als er und sein Team die Art des Zusammenspiels der Armee mit protestantischen Terroristen aufzudecken begann, gab es einen Brandanschlag. Die Büroräume des Teams, die in einem sicheren Polizei-Hauptquartier mit mehreren Alarmsystemen untergebracht waren, gerieten in Brand, alle Akten wurden zerstört. Der Anschlag brachte die erste Untersuchung von Stevens erfolgreich zu einem fruchtlosen Ende.

Das Rätsel, wie komplizierte Alarmanlagen ausgeschaltet werden können, um einzubrechen und die Daten zu zerstören, wurde gelöst, als ein ehemaliges Mitglied der FRU enthüllte, dass die FRU für das Verbrechen verantwortlich gewesen sei. Der Einbruch und die Brandstiftung wurden von einem Team des Geheimdienstes der Armee, der CME (Covert Methods of Entry - verdeckte Zutrittsmethoden) durchgeführt. Nachdem es von dem FRU-Kommandanten gerufen worden war, um die inkriminierenden Beweise in Polizeihänden zu zerstören, flog das CME-Team aus England ein und führte den Brandanschlag auf die Polizei aus. Es versuchte die Ursache des Feuers so darzustellen, als sei es von einer Zigarette in einem Abfalleimer ausgelöst worden.

Vor drei Jahren wurde Sir John, der nun auf den Rang eines Präsidenten bei der Metropolitan Police befördert worden war, gebeten, eine andere Untersuchung im Zusammenhang mit Nordirland durchzuführen, die sich mit der Ermordung von Patrick Finucane beschäftigte. Seither stellten er und sein Assistent, Deputy Assistant Commissioner Hugh Orde, klar, dass sie sich nicht durch die schmutzigen Tricks der Armee und ihre Desinformation ablenken lassen wollten.

Der ehemalige Soldat, der mit der Geschichte herausrückte, benutzte das Pseudonym "Martin Ingram". Das Verteidigungsministerium reagierte wutentbrannt. Ein Soldat, von dem sie glaubten, er sei Ingram, wurde unter dem Official Secrets Act verurteilt. Journalisten, mit denen er sprach, wurden mit Strafverfolgung bedroht. Die Vorwürfe bedeuteten, dass während die eine Polizeiuntersuchung auf ihm als Schlüsselzeugen beruhte, eine andere Polizeiuntersuchung ihn zum Stillschweigen zu bringen versuchte.

Aber nachdem die Kontroverse rund um die britischen Geheimgesetze wuchs, wurden die Vorwürfe gegen Ingram fallen gelassen. Die Belästigungen fingen aus einer neuen Richtung an. Eine Gruppe, die sich selbst "Freunde der FRU" nannte, begann persönliche Informationen über ihn zu verbreiten. Ein ehemaliger FRU-Kollege mailte Dutzende von Zeitungen an und teilte Details von Ingrams Identität, Adresse und Aktivitäten mit. Er wurde damit regelrecht aufgebracht.

Der ehemalige FRU-Soldat, der hinter der Email-Kampagne stand, wurde wegen Belästigung verhaftet. Doch ließ man die Vorwürfe wieder fallen. Nachdem Ingram befürchten musste, dass die Polizei ihn nicht sicher beschützen konnte, zog er seine Beweise von der Stevens-Untersuchung zurück. Vor zwei Wochen tauchte ein anderes Mitglied der FRU im Ulster-Fernsehen auf, um darüber zu reden, was die Einheit getan hatte. Er bestätigte, dass es eine Politik des "Shoot to kill by proxy" gab. Das ehemalige FRU-Mitglied sagte, dass seine Einheit als "Richter, Geschworene und Henker" agiert habe und dass dies "unmoralisch und möglicherweise ungesetzlich" gewesen sei.

Die FRU operiert immer noch und unterhält Agenten in Irland. Nachdem sie unter Beschuss geriet, nahm sie einen neuen Decknamen an. Er lautet JCU (NI), was für Joint Collection Unit (Northern Ireland) steht. Sie arbeitet direkt mit dem britischen Inlandsgeheimdienst MI5 zusammen, der ebenfalls Büros und technische Teams in Nordirland unterhält.

Um viele britische Journalisten zu verwirren, die nun die Aktivitäten der FRU untersuchen, wurde eine weitere Aufklärungseinheit in FIU umbenannt, was Force Intelligence Unit bedeutet. Sie hat nichts mit der FRU zu tun, geht aber eher orthodoxen Geheimdienstaktivitäten nach. So unterhält sie einen Computer namens CAISTER, der "feinauflösende" Geheimdienstakten über die Mehrheit der nordirischen Bevölkerung enthält. Die Einheit wurde früher 12. Intelligence Company genannt.

Eine dritte Gruppe in der Undercover-Welt von Nordirland ist die Joint Support Group (JSG). Sie war früher unter einer Reihe von Namen wie 14. Intelligence Company oder "The Dets" bekannt und unterstützte Undercover-Überwachungsteams für Langzeitüberwachungsmaßnahmen. Ihre Teams arbeiten eng mit der SAS-Abteilung in Nordirland zusammen.

Bis jetzt war die Identität der Agentenführerin nicht bekannt, die Brian Nelsons Verbindung zur Armee war und kritische Instruktionen und Aufklärungsmaterial der Regierung weitergab, um die Protestanten in die Lage zu versetzen, ausgewählte Ziele der Armee zu ermorden. Aber der Name sickerte am Ende letzten Jahres durch.

Anfang Dezember drohte die Regierung rechtliche Maßnahmen gegen den "Sunday Herald", eine schottische Zeitung, an, nachdem ehemalige Kollegen von Nelsons Agentenführerin ihre Identität Journalisten enthüllt hatten. Die Zeitung wurde unter Androhung gesetzlicher Maßnahmen gezwungen, nicht ihren Namen und Wohnort zu enthüllen, oder sie über den Abdruck einer Fotografie zu identifizieren.

Nachdem Police Commissioner Orde zu erkennen gab, dass er Kisten mit Aufklärungsdokumenten der Armee wiedererlangt hatte, die als "Kontaktformulare" und MISR (Militäry Intelligence Source Reports - Berichte geheimer Militärquellen) bezeichnet waren, wurde der Verdacht stärker, dass es eine Verschwörung gab, sie und ihre Führungsoffiziere zu ermorden. Aus den Kontaktformularen gehen Details über jedes Treffen zwischen den Agenten und ihren Agentenführern hervor. Die MISR-Berichte berichten bewertend und detailliert über die von den Agenten gelieferten Informationen. Die Polizei fand manche der Berichte "inkriminierend".

Der Offizier, der von der Force Research Unit während der "Killing Years" befehligt wurde, war Lt. Colonel Gordon Kerr. Er wurde seither zum Brigadier befördert. Als die britische Polizei herausfand, wie wichtig er war, wurde er an das andere Ende der Welt versetzt, um in Peking als britischer Militärattaché zu dienen.

Die Agentenführerin, die Brian Nelson betreute - deren Name in Großbritannien tabu ist - ist Captain Margaret Walshaw. Obwohl jedem britische Zeitungsherausgeber, der ihren Namen veröffentlicht, Gefängnis droht, wird sie in der aktuellen offiziellen Publikation der britischen Regierung, der "Army List", aufgeführt. Zu der Zeit, als sie den Agenten Brian Nelson befehligte und seine mörderischen Aktivitäten überwachte, war sie im britischen Intelligence Corps Sergeant, also kein offiziell ernannter Offizier.

Am 1. April 1998 wurde Sergeant Walshaw zum Offizier befördert. Sie wurde für ihre Verdienste auch mit der "British Empire Medal" ausgezeichnet.

Übersetzung: Telepolis