Die Kirche kämpft um ihren Einfluss

In Spanien spitzt sich der Streit um die von der Regierung beabsichtigte Bildungsreform zu, die den Einfluss der Kirche auf die Schulen und die Vorteile der katholischen Privatschulen verringern will

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Das schon längere Zeit andauernde Tauziehen um die umstrittene Bildungsreform in Spanien geht weiter. Nach dem Versuch der Sozialisten, den Einfluss der Kirche in den Schulen etwas zu verringern, antworteten die Konservativen im November mit einer Massendemonstration in Madrid. Doch schon zuvor hatten Schüler und Studenten im ganzen Land aus entgegengesetzten Motiven gegen die Reform gestreikt. Nach weiteren Zugeständnissen an die meist katholischen Privatschulen sehen sie nun noch mehr Gründe, um sich gegen das neue Bildungsgesetz (Ley Orgánica de Educación - LOE) zu wenden. Weil das öffentliche Bildungssystem weiter ausgeblutet werde, rufen neben sie mit Gewerkschaften am 14. Dezember zum Streik auf.

Es war ohnehin nur ein zaghafter Versuch der sozialistischen Regierung in Spanien, den Einfluss der Kirche im Schulsystem über ein neues Bildungsgesetz (LOE) zu verringern. Doch die erwartete Reaktion der konservativen und kirchlichen Verbände war massiv. Etwa 400.000 Menschen mobilisierten sie und die oppositionelle Volkspartei (PP) im November in die Hauptstadt, um die Rücknahme des Gesetzes zu fordern. Die Veranstalter hatten überzogen von etwa zwei Millionen Teilnehmern gesprochen.

„Wir verlangen eine sofortige Aussetzung der Reform und den Dialog“, erklärte die ehemalige Miss World Marisela Álvarez auf der Abschlusskundgebung für die Veranstalter. Sie warf dem spanischen Ministerpräsidenten José Luis Rodríguez Zapatero vor, das neue Bildungsgesetz (LOE) verabschiedet zu haben, ohne mit den Beteiligten einen Konsens gesucht zu haben, wie er es zuvor versprochen habe. Zudem beschränke das Gesetz die freie Schulwahl und verringere die Qualität der Bildung weiter.

Spanien gehört nicht nur am Arbeitsmarkt (Spanien in der Reformkrise) und bei der Internetnutzung (Spanien verliert bei Internetnutzung weiter an Boden) zu den Schlusslichtern in der EU, sondern das gilt auch für die Bildung. Nur in Portugal und Malta ist die Quote der Schulabbrecher noch höher. Was die Demonstranten aber verschweigen, ist, dass die konservative PP in acht Regierungsjahren die Situation eher noch verschlimmert hat. Jeder vierte Schüler erreicht im spanischen Staat keinen qualifizierten Abschluss. Nur 41 Prozent erreichen eine Hochschulreife. Als Mittelwert gibt die Organisation für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) 67 Prozent an, in Deutschland seien es 83 Prozent. Die Ausgaben für Erziehung liegen in Spanien weit unter dem Durchschnitt der 30 OECD-Staaten.

Doch vielen Demonstranten ging es nicht um die Qualität der Bildung. Sie kritisierten vor allem, dass die katholische Religion nicht mehr entscheidend für die Versetzung oder für den Schulabschluss sein soll. Erst 2002 hatte die konservative PP die katholische Religion den Naturwissenschaften oder Sprachen gleichgestellt. Dagegen hatten sich damals schon fortschrittliche Schüler und Lehrer massiv zur Wehr gesetzt.

Das neue Bildungsgesetz will ein weiteres Unding beseitigen. Denn trotz der staatlichen Finanzierung mit fast vier Milliarden Euro jährlich dürfen sich die Privatschulen bisher ihre Schüler aussuchen. Etwa ein Drittel aller Schüler werden im spanischen Staat auf einer privat geführten Schule unterrichtet. Von denen werden 70 Prozent von katholischen Einrichtungen geleitet, nicht selten vom rechtsradikalen Opus Dei, der in Spanien besonders stark ist.

Zwar hatten die Konservativen die Ex-Miss World aus der Dominikanischen Republik zu ihrer Sprecherin gemacht, doch das kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass an den staatlich finanzierten Privatschulen die Einwanderer weitgehend ausgegrenzt werden. Dies gilt besonders, wenn die falsche Religionszugehörigkeit haben. 82 Prozent der etwa 500.000 Einwanderkinder drücken die öffentlichen Schulbänke. Diese ohnehin schlecht ausgestatteten und unterfinanzierten Schulen tragen damit die Hauptlast bei der Eingliederung.

Große Aufregung um geringe Veränderungen

Übel stößt den katholischen Fundamentalisten auch auf, dass das Gesetz verbieten will, den Eltern über die „Mitgliedschaft“ in einer Stiftung oder einer Vereinigung Geld abzuknöpfen. Das ist eine übliche Form, um eine Auslese an Privatschulen zu verstärken und die Finanzierung der Schulen und der hinter ihr stehenden Organisation zu verbessern.

In den Verhandlungen ist den Sozialisten (PSOE) bisher geglückt, einen Keil in die Ablehnungsfront zu treiben. Die Regierung hat sich vom Verband der Religiösen in der Bildung (FERE) mit großen Zugeständnissen die Zustimmung für das LOE erkauft. FERE vertritt etwa 70 Prozent der Privatschulen. Die Forderungen der Mehrheitsvereinigung seien weitgehend erfüllt worden, gab deren Generalsekretär Manuel de Castro zu Protokoll.

Mit Blick auf die Volkspartei und die Nationale Katholische Elternvereinigung (Concapa), die sich weiter gegen die Reform stemmen, erklärte er: „Die Qualität unseres Bildungssystems benötigt einen großen Staatspakt.“ Ein Gesetz ohne totale Unterstützung könne keinen Erfolg haben. Da es der PP und der Concapa aber nicht um die Bildung geht, kündigten sie weitere Protest an.

Der Einfluss der Kirche wird allerdings über das Bildungsgesetz tatsächlich kaum angetastet. Kleine Verbesserungen wurden für die Lehrer an den Privatschulen durchgesetzt. Über deren Anstellung soll in Zukunft nicht mehr die Kirchenhierarchie entscheiden, sondern die jeweiligen Regionalregierungen nach deren Befähigung und in Chancengleichheit. Die Träger sollen nur noch Vorschläge machen. Entlassungen sollen nun nach dem Gesetz und nur bei schweren Verstößen erfolgen.

Zwar soll die Religion kein Prüfungsfach mehr sein, das Fach muss aber überall gelehrt werden. Dieses dürftige Ergebnis wurde mit viel Geld und Verschlechterungen im staatlichen Bildungssektor erreicht. So sieht der Artikel 87,2 des Gesetzes vor, dass die Zahl der Schüler in den Klassen nun um 10 Prozent angehoben werden könne, um den „sofortigen Notwendigkeiten“ bei der verspäteten Einschulung gerecht zu werden.

Schüler, Studenten und Lehrer wollen strreiken

Die Bildungsgewerkschaft (STE) kritisiert, diese Erhöhung der Schülerzahl pro Klasse gehe auf Kosten der Qualität und betreffe wieder nur die staatlichen Schulen. Das wirke sich vor allem in Problemvierteln aus, weil verspätet meist Einwandererkinder eingeschult werden. STE ist vor allem darüber empört, dass ausgerechnet die PSOE die Finanzierung der Privatschulen „um bis zu 3,1 steigert“ und ihre „vollständige Finanzierung für fünf Jahre“ sichere. „Diese Punkte haben die Unternehmer im Bildungssektor seit Jahren gefordert und nicht einmal die PP hat sich getraut, sie ihnen zu gewähren“, heißt es in einer Erklärung.

Ähnlich wie STE argumentiert auch die Gewerkschaft der Schüler und Studenten und ruft mit der Lehrergewerkschaft zu einem Streik- und Kampftag am 14. November auf. Die Schüler und Studenten wollen an den erfolgreichen Protesten anknüpfen, mit denen sie schon gegen den Ursprungsentwurf protestiert hatten. Nach den Zugeständnissen sehen sie noch mehr Anlass, auf die Straße zu gehen. Bisher sei nicht einmal schriftlich versichert worden, dass Religion in Zukunft kein Prüfungsfach mehr sei. Sie fordern auch, den Privatschulen die Finanzierung komplett zu streichen, bei denen Mädchen benachteiligt und Mädchen und Jungen voneinander getrennt unterrichtet werden. Diese Reform löse die Probleme der staatlichen Schulen nicht (Überfüllung, fehlende Lehrer, etc), weil es keinen seriösen Plan zu ihrer Finanzierung mache. „Und von dem Geld, das sie versprechen, geht ein Drittel direkt in die Säckel der Unternehmer der Privatschulen.“

Tatsächlich hat die PSOE Angst vor dem Einfluss der mächtigen katholischen Kirche. Anders kann man kaum erklären, warum sie noch gegen das Abkommen verstößt, das sie in ihrer Regierungszeit 1987 mit der Kirche getroffen hatte. Demnach sollte sich die Kirche in drei Jahren selbst finanzieren. Doch die Realität sieht fast 20 Jahre später ganz anders aus. Noch immer hängt die Kirche am Staatssäckel. 35 Millionen Euro erhalten die Katholiken direkt vom Staat, zusätzliche 144 Millionen aus der Mehrwertsteuer. Die Löhne der katholischen Lehrer machen noch einmal eine halbe Milliarde Euro aus. Gerade hat die PSOE im Haushalt erneut die Finanzierung ihrer größten Gegner beschlossen. Nur 32 Abgeordnete stimmten im Parlament für den Antrag der Vereinten Linken (IU), im Haushalt 2006 die Ausgaben für die katholische Kirche zu kürzen. 280 stimmten dagegen. Von einer eigenen Finanzierung spricht ohnehin niemand mehr.