Die Krake schreitet getarnt voran
Wer auf zwei Beinen läuft, wird für eine Kokosnuss gehalten
Kraken sind Meister der Tarnung. Sie passen ihre Farbe und Form an und verschwinden visuell. Camouflage erfordert aber Stillstand oder nur sehr langsame Bewegungen, um zwischen den Felsen und Pflanzen nicht aufzufallen. Um vor eventuellen Räubern dennoch getarnt davonrennen zu können, hat sich der Oktopus etwas ganz besonderes einfallen lassen: Er schreitet auf zwei Armen voran.
Normalerweise krabbeln oder kriechen Kraken unter Einsatz aller ihrer Fangarme über den Meeresboden (Video Wunderpus), aber zumindest zwei kleine Arten, Octopus aculeatus aus dem Meer um Australien und Octopus marginatus aus Indonesien legen sich gelegentlich eine andere Fortbewegungsart zu, um das Beuteschema ihrer Feinde zu täuschen. Das konnte ein internationales Wissenschaftlerteam jetzt mit Videoaufnahmen der rollenden Gangart beweisen.
Für die meisten Menschen ist der Oktopus ein Meeresbewohner, der ihnen nur aus der mediterranen Küche vertraut ist (Oktopus im Kartoffelsalat). Wer das Tier aber nur kennt, wenn es auf dem Teller in Rotwein schwimmt, verpasst wirklich etwas. Kraken gehören zur führenden Intelligenz in der Welt der Wirbellosen.
Kluge Kopffüßer
Umgangsprachlich werden oft alle Kopffüßer (Cephalopoda) als Kraken bezeichnet, korrekt gehören sie zu dieser Klasse, bilden aber eine eigene Familie, die Octopodida, die zur Ordnung der Achtarmer (Octobrachia), bzw. Achtfüßer (Octopoda) gehören. Im Gegensatz zu den zehnarmigen Tintenfischen, besitzen sie nur acht Fangarme (Cephbase).
Weltweit bevölkern sie alle Meere, meist leben sie am Meeresboden. Es gibt wahrscheinlich mehr als 300 Arten, von denen aber erst rund 200 wissenschaftlich beschrieben sind. Manche sind nur wenige Zentimeter groß, andere erreichen wie die pazifische Riesenkrake (Enteroctopus dofleini) eine Spannweite von mehr als neun Metern.
Die Lernfähigkeit und Geschicklichkeit von Kraken überrascht die Forscher immer wieder. Seit Jahren erforschen die Wissenschaftler des National Resource Center for Cephalopods (NRCC), der Stazione Zoologica Anton Dohrn di Napoli und der Octopus Group der hebräischen Universität in Jerusalem das Verhalten und die Neurobiologie des Oktopus. Dabei zeigte sich, dass Kraken nicht nur Meister der Tarnung sind, sondern zum Beispiel problemlos den Ausgang aus einem komplexen Labyrinth finden. Sie lernen Lösungen von Artgenossen, denen sie zuschauen und sie sind fähig, Flaschen zu entkorken und Marmeladengläser aufschrauben, um an darin eingeschlossene Leckerbissen zu kommen.
Kokosnuss und Algenbündel
Christine L. Huffard und Robert J. Full von der University of California und Farnis Boneka von der Universitas Sam Ratulangi in Indonesien haben zwei tropische Kraken beim Marschieren unter Wasser mit der Kamera beobachtet und berichten darüber in der aktuellen Ausgabe des Wissenschaftsjournals Science.
Beide Oktopusse gehen rückwärts, schützen also im Tarnschritt ihren Kopf. Der indonesische Octopus marginatus hat Arme bis zu 15 cm Länge, der etwas größere australische Octopus aculeatus ist etwa doppelt so groß. Entsprechend benutzen die beiden auch etwas verschiedene Bewegungsmuster. Der Kleinere schlingt sechs seiner Arme eng um sich und eilt dann mit abwechselnden Bewegungen seiner beiden am Bauch angebrachten Arme voran, wobei er immer einen Arm nach dem anderen einsetzt und manchmal auch keine Berührung des Bodens mehr gegeben ist. Er geht. Für einen Räuber mit Appetit auf Krakenfleisch sieht er dabei aus wie eine im Wasser treibende Kokosnuss.
Octopus aculeatus bewegt sich mit seinen längeren Fangarmen noch etwas eleganter voran. Er hält seine zwei Rücken-Arme über den Kopf, und auch die vier seitlichen Arme von sich abgespreizt, als seien sie die losen Enden eines verknoteten Algenbündels. Zur Fortbewegung benutzt er ebenfalls die beiden am Bauch angebrachten Arme, wobei er sie mehr einrollt, er berührt mit längeren Abschnitten seiner Extremitäten den Boden und hält immer Tuchfühlung mit dem Grund. Auch er geht
Christine Huffard beobachtete zufällig vor fünf Jahren in freier Wildbahn eine Krake, die als Kokosnuss getarnt auf zwei Armen an ihr vorbei ging. Jetzt gelang es ihr, zwei Oktopus-Exemplare bei dieser Fortbewegungsart zu filmen. „Diese Verhalten ist sehr aufregend“, erklärt sie, „Das ist die erste Lokomotion auf zwei Füßen [bzw. Armen] unter Wasser, von der ich weiß und die erste hydrostatische bipedale Bewegung.“
Bisher waren die Forscher davon ausgegangen, dass für eine Fortbewegung auf zwei Gliedmaßen ein Körper mit einem festen Skelett und daran befestigten Muskeln nötig sei. Ein Oktopus ist im Grunde ein mit Wasser gefüllter Ballon, der seine Form durch hydrostatischen Druck hält. Seine mit Flüssigkeit gefüllten Fangarme bewegt er mithilfe von Muskeln.
Schon länger gelten Kraken als viel versprechende Vorbilder für künftige Roboter, zumal sie offensichtlich für die Bewegungen ihrer Fangarme ihr Gehirn kaum brauchen (The octopus as a model for a successful control of movements in flexible arms). Die Arme besitzen eine Art eigene Intelligenz, denn sie können sich abwinkeln und drehen, selbst wenn sie vom Körper abgetrennt sind. Jeder Arm verfügt über eigene Nervenknoten, die Signale weitergeben und rhythmische Bewegungen der Muskeln verursachen, auch wenn die Verbindung zum Hirn gekappt wurde.
Huffard ist überzeugt, dass dieses Nervensystem auch für das Laufen der Kraken ausreicht: „Das sind stereotype Bewegungen, die kein Feedback vom Hirn brauchen.“