"Die Leute wollen ihr Leben zurück"
Im ersten Fernsehduell zwischen Donald Trump und Joseph Biden ging es unter anderem um Corona, das Gesundheitssystem und Recht und Ordnung
Heute Nacht mitteleuropäischer Sommerzeit bestritten US-Präsident Donald Trump und sein Herausforderer Joseph Biden in der Clinic and Case Western Reserve University in Cleveland ihr erstes Fernsehduell vor der Wahl am 3. November (Trump vs. Biden: Zwei Herren in Streitlaune). Eines der Themen, über die sie dabei sprachen, war - wenig überraschend - die Coronakrise. Dabei beschuldigte Biden Trump, er habe die Gefahr gegenüber der Öffentlichkeit im Februar verharmlost. Trump warf ihm daraufhin vor, unter einem demokratischen Präsidenten wären fünf Mal so viele Amerikaner gestorben wie unter ihm, weil der die Einreisen aus China und Europa nicht gestoppt hätte.
Außerdem verzögern die Demokraten in den Bundesstaaten, in denen sie regieren, Trumps Meinung nach aus wahltaktischen Gründen Lockdown-Maßnahmen unverhältnismäßig lange hinaus. Als Negativbeispiel nannte er dabei New York, das nun "fast eine Geisterstadt" sei. Er sei sich, so Trump, nicht sicher, ob sich die Metropole davon jemals wieder erholt. So lange andauernde Lockdown-Maßnahmen widersprechen seiner Wahrnehmung nach dem Willen des Volkes: "Die Leute", so Trump, "wollen ihr Leben zurück."
"Die Partei bin ich"
Das amerikanische Gesundheitssystem, das in seiner ersten Amtszeit weitgehend so blieb wie vor seinem Amtsantritt, möchte der Präsident nun in einer zweiten Amtszeit reformieren. Dabei will er Personen mit Vorerkrankungen "nicht im Stich lassen", wie er bereits vor der Fernsehdebatte mehrmals versicherte. Biden warf er gestern vor, seine Partei wolle eine "sozialistische Gesundheitsversorgung" - und sie würde ihn "dominieren", was er selbst wisse. Biden entgegnete darauf: "Die Partei bin ich. Jetzt gerade. Ich bin die Demokratische Partei". Worauf hin Trump einwarf: "[Kamala] Harris sieht das nicht so."
Weiterer Unterschiede zwischen Bidens Programm und Forderungen seiner Parteifreunde, gibt es in der Energie- und Klimapolitik: Hier besteht der Herausforderer trotz der Werbung für einen "Green New Deal" auf seiner Website darauf, dass er einen "eigenen Plan" verfolge und nicht den von Alexandria Octasio-Cortez. Als der Moderator nachfragte, meinte Biden schließlich: "Ich unterstütze den Green New Deal nicht" - worauf hin Trump anmerkte: "Oh, tun Sie nicht? Nun, das ist eine gewichtige Stellungnahme. Sie haben grade die radikale Linke verloren."
Probleme mit Zahlen
Eine andere Angriffsfläche der Demokraten, die der Republikaner nutzte, war der Umgang demokratischer Politiker mit Brandstiftungen, Plünderungen und Gewaltverbrechen in Städten wie Portland. Biden versuchte diese Angriffsfläche mit der Behauptung zu decken, während er Vizepräsident war, seien Gewaltverbrechen "um 17 Prozent, um 15 Prozent" zurückgegangen". Beobachter, die wissen wollten, ob es nun 15 oder 17 Prozent waren, mussten anhand der offiziellen Statistiken der amerikanischen Bundespolizei FBI allerdings feststellen, dass die Gewaltverbrechen zwischen 2008 und 2016 tatsächlich nur um 9,7 Prozent abnahmen.
"Verlierer und Trottel"
Die Antifa, die Donald Trump in seiner zweiten Amtszeit zusammen mit dem Ku Klux Klan verbieten will, bezeichnete Biden gestern als bloße "Ideologie". Trump meinte dazu: "Antifa ist eine gefährliche radikale Gruppe - und Sie passen besser gut auf sie auf. Sie stürzen sie."
Biden stellte Trumps Patriotismus infrage, indem er das Gerücht aufgriff, der Präsident habe US-Soldaten als "Verlierer und Trottel" bezeichnet, und meinte, sein Sohn habe im Irak gedient und er sei stolz auf ihn. Trump griff das als Steilvorlage auf und erinnerte daran, dass Hunter Bidens Private-Equity-Firm dreieinhalb Millionen Dollar von der Witwe des ehemaligen Moskauer Bürgermeisters überwiesen bekam und dass er 2014 aus der Navy-Reserve entlassen wurde, nachdem er einen Kokaintest nicht bestand. Joseph Biden meinte dazu, er habe von seinem Sohn Beau Biden gesprochen, der 2015 an einem Gehirntumor starb - und Hunter sei nicht "unehrenthaft entlassen" worden. Er habe "wie viele andere Leute auch ein Drogenproblem gehabt". Dieses Problem habe Hunter gelöst, und er sei stolz auf ihn.
"Weniger Steuern als ein Schullehrer"
Etwas bessere Karten als in Sachen Familie hatte der Demokrat beim Thema Steuern, bei dem er Trump vorwarf, der Milliardär zahle "weniger Steuern als ein Schullehrer". Der Präsident entgegnete, die Möglichkeiten, die er nutzt, hätten Politiker wie Biden geschaffen, und versprach, seine Steuererklärung von 2016 zu veröffentlichen, sobald das Prüfverfahren durch die Bundessteuerbehörde IRS abgeschlossen sei - worauf hin der Herausforderer sarkastisch (aber wenig "woke") ergänzte: "Inschallah".
Insgesamt wirkte Biden bei dieser Debatte besser vorbereitet als bei vielen anderen Auftritten, obwohl er zu drei Themen explizit nichts sagen wollte: Wen er als Kandidaten für eine Nominierung als Supreme-Court-Richter in Betracht zieht, ob er den Supreme-Court von neun auf 15 Richter aufstocken will, und ob er die Filibuster-Tradition abschaffen wird, mit der sich Gesetzesvorhaben verzögern lassen.
Eine CNN-Blitzumfrage sah ihn nach dem Duell mit 60 zu 28 Prozent als Gewinner. Allerdings ist der Kanal - vorsichtig formuliert - kein unparteiischer Sender. Vor vier Jahren hatte seiner damaligen Blitzumfrage nach Hillary Clinton das erste Fernsehduell gegen Trump mit 62 zu 27 Prozent gewonnen - Präsident wurde nachher trotzdem der Republikaner. Ein aufschlussreicheres Stimmungsbild könnte deshalb das sein, das der spanischsprachige Sender Telemundo lieferte: Für zwei Drittel seiner Zuschauer (die die Demokraten wegen der Einwanderungsfrage als sicheres Wählerreservoir ansehen) war Trump heute Nacht der Gewinner.
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