Die Linke und China
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Kann China noch Impulse für Protestbewegungen in anderen Ländern geben?
Über 50 Jahre ist es her, da bewegte die chinesische Kulturrevolution Linke in aller Welt. Parolen wie "Bombardiert das Hauptquartier", womit die Bürokratie in der Kommunistischen Partei gemeint war, mobilisierten. Viele derjenigen, die mit Mao-Poster durch die Straßen liefen, hakten diese Zeit bald als linke Jugendsünden ab.
Manche Ex-Maoisten wurden Ministerpräsidenten, andere Manager und manche wurden auch Journalisten der unterschiedlichsten Medien. Auch bei der Taz, die eher aus dem undogmatischen Flügel der Apo entstanden ist, sind einige Ex-Maoisten tätig gewesen, unter anderem Christian Semler.
Kürzlich fand nun in der Taz-Kantine unter dem Titel "China und die Linke" eine Diskussion mit zwei Herausgebern von Büchern statt, die sich in der letzten Zeit mit China beschäftigt haben. Felix Wemheuser hat als Professor für Neuere China-Studien an der Kölner Universität einen akademischen Zugang zum Thema. Unter dem Titel "Chinas große Umwälzung" widmet er sich den Aufstieg des Landes zur globalen Weltmacht und den Konsequenzen.
Ralf Ruckus forscht seit Jahren zur autonomen Arbeiterbewegung in China. Er hat im Mandelbaum-Verlag das Buch "Die andere Kulturrevolution" herausgegeben und übersetzt, in dem Akteure berichten, die als "rote Rebellen" in die Dörfer und Provinzen gezogen sind und den Anspruch hatten, die Gedanken der Revolution zu verbreiten.
Es ist schon ein Fortschritt, dass hier die Akteure der Kulturrevolution zu Wort kommen, die in dem großen Teil der Medien als von Mao manipulierte Masse dargestellt werden, der keine Eigeninitiative zugetraut wird. Ruckus stellt hingegen linke Aktivisten vor, die eine andere Gesellschaft anstreben. Manche fühlen sich später von Mao verraten, als der im Bündnis mit dem Militär die Kulturrevolution abbrach.
Niederlage der Kulturrevolution bereitete den Aufstieg des kapitalistischen Globalplayers China vor
Wemheuer hinterfragte hingegen den Verratsvorwurf und wies daraufhin, dass ein Teil der jungen Rebellen der Kulturrevolution von der Kommunistischen Partei kooptiert und zu Kadern ausgebildet wurden. Nach Maos Tod allerdings hätten die in der Kulturrevolution entmachteten Fraktionen der Kommunistischen Partei zurückgeschlagen und einen großen Teil dieser Nachwuchsreserve wieder aus den zentralen Funktionen gedrängt.
Man hat also hier den Eindruck, dass die Kulturrevolution zumindest zeitweise ein Rekrutierungsfeld für die KP war. Anders als die nominalsozialistischen Staatsparteien bewahrte das die chinesische Regierungspartei vor einer Gerontokratie, wie sie in der späten Sowjetunion zu beobachten war.
Erklärungsbedürftig ist sicherlich, wieso schon wenige Jahre nach der Kulturrevolution der noch nicht abgeschlossene Aufstieg Chinas zum globalen kapitalistischen Player begann. Man kann sagen, dass die Basis der Kulturrevolution den Kapitalismus abschaffen wollte und sich explizit auch gegen die reformerischen Fraktionen in der Partei wandte, denen sie mit Mao vorwarf, den Kapitalismus wieder restaurieren zu wollen und dafür soziale Phrasen zur Bemäntelung verwendeten.
Wemheuer fragte mit Recht, ob die aktuelle Entwicklung diese Warnungen nicht bestätigt. Wu Yiching, der einen Text in dem von Ralf Ruckus herausgegebenen Buch "Die andere Kulturrevolution" beigesteuert hat, sieht eine direkte Verbindung vom Scheitern der Kulturrevolution und der Rückkehr der nur zeitweise entmachteten Fraktionen.
Die setzten ihre alte Reformpolitik verstärkt fort und errichteten so nicht nur den Kapitalismus in China, sondern legten den Grundstein für den kapitalistischen Global Player China. Einigkeit herrschte unter den beiden Referenten, dass in China keinerlei Spuren von Sozialismus mehr vorhanden sind, bis auf die Traditionsbezüge und die Phraseologie. Wemheuer sprach von Staatskapitalismus, verneinte aber die Existenz eines chinesischen Neoliberalismus.
War eine andere Kulturrevolution möglich?
Ruckus ging auf die zersplitterte chinesische Linke ein und machte eine Trennung in eine staatsorientierte Linke, die sich noch immer im Umfeld der Kommunistischen Partei befindet und sich wieder verstärkt auf alte maoistische Grundsätze beruft. Dazu gehören auch Teile der Arbeiterklasse in den Staatsbetrieben.
Zudem gibt es auch noch eine kleine neomaoistische Linke, die sich auf den Staat bezieht. Für Ruckus interessanter sind aber die Teile der Linken, die jeden positiven Bezug auf die Regierungspartei ablehnen. Sie sehen sie als strukturell rechts und Träger der Repression gegen soziale Bewegungen.
Teile dieser staatsfernen Linken beziehen sich allerdings durchaus positiv auf die Kulturrevolution als soziale Bewegung und sogar als Teil der weltweiten sozialen Revolte. Damit sind sie nahe bei den Interpretationen zeitgenössischer Linker der späten 1960er Jahre. Die Kulturrevolution war nicht nur ein Bezugspunkt für die unterschiedlichen kommunistischen Strömungen, sondern auch von Gruppierungen mit eher anarchistischer Ausrichtung, wie es beispielsweise die Bewegung 2. Juni in Westberlin war.
Heute wird die Kulturrevolution zum großen Teil als eine von Mao und seinen engsten Mitarbeitern manipulierte gewaltvolle diktatorische Bewegung dargestellt. Dass Linke in aller Welt auf die Kulturrevolution Bezug genommen hatten, wird hingegen als Ausdruck ideologischer Verblendung abgetan. Diese Sichtweise ist aber selbst nur ein Ausdruck des globalen Rechtsruckes.
Vor allem Ralf Ruckus macht mit seinem Buch die Kulturrevolution wieder als soziale Bewegung kenntlich, die eben auch in China Kräfte inspirierte, die sich ganz klar in Opposition zum Nominalsozialismus befinden. In den letzten Jahren unterstützten diese antistaatlichen Linken Kämpfe und Streiks von Arbeitern in China nach mehr Lohn und mehr Rechten.
Diese Kämpfe waren durchaus in vielen Fällen erfolgreich. Das Lohnniveau in China hat sich erhöht. Allerdings hat sich auch im Fall China die Hoffnung nicht bestätigt, dass die Streikenden über ihre unmittelbaren Forderungen hinaus auch weitere gesellschaftsverändernde Zielstellungen artikulieren.
Gegen eine Engführung auf die Menschenrechte
Ruckus kritisierte scharf die Engführung der Protestbewegung auf einen Menschenrechtsdiskurs und erntete Widerspruch im Publikum. Auch seine Konkretisierung, dass eine Kritik, die die kapitalistische Ausbeutung nicht in den Blick nimmt, gar nicht den Anspruch einer umfassenden Emanzipation hat, konnte die Kritiker nicht überzeugen.
Sie konterten mit einem Verweis auf die Forderung nach Koalitionsfreiheit, mit der schließlich die Betätigung von Gewerkschaften möglich wäre. Doch damit gaben sie der Kritik von Ruckus eher Recht. Nach dem bürgerlichen Verständnis soll die Koalitionsfreiheit die Existenz von Gewerkschaften neben den Kapitalorganisationen gewährleisten.
Für die Vorstellung einer Welt ohne das Privateigentum an Produktionsmitteln ist hier kein Platz. So ist der Menschenrechtsdiskurs zu China auch ein Ausdruck der Defensive linker Gruppen und Initiativen.