Die Lokalisierung von drei Handys

Im April platzte aufgrund unzureichender Beweise der Terrorprozess gegen drei Angeklagte, die der Mithilfe an den Anschlägen am 7. Juli 2005 in London beschuldigt wurden

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Es war ein Mammutprozess: vier Jahre Arbeit, tausende Aktenseiten, aber das Verfahren gegen drei Angeklagte endete im April mit einem Freispruch. Vorgeworfen wurde ihnen, dass sie das verheerende Attentat in London mit geplant haben, das vor vier Jahren am 7. Juli 52 Menschen das Leben kostete. Vier Selbstmordattentäter hatten während der Rushhour Anschläge auf U-Bahnen und einen Doppeldeckerbus verübt. Bereits im vergangenen Jahr war ein Prozess geplatzt. Chefankläger Neil Flewitt hatte letztendlich nur Indizien. Im Revisionsprozess wurden Waheed Ali, Sadeer Saleem und Mohammed Shakil freigesprochen.

Nach dem geplatzten Verfahren stellen sich generelle Fragen zur Ermittlungsarbeit von Scotland Yard. Stolz hatten sie das Beweisstück präsentiert: Überreste eines Handys; gefunden mitten in den Trümmern der Edgware Road. Rund um war alles in Schutt gelegt, aber Forensiker konnten in der SIM-Karte sogar noch die Verbindungen auslesen. Im Telefonverzeichnis waren Abkürzungen gespeichert. Die Namen "SHAXMOB" wiesen die Beamten Mohammed Shakil zu, "SADS" sei Sadeer Saleem. Ermittler rekonstruierten, an welchen Orten sich die Mobilfunktelefone befunden hatten. Doch es gelang ihnen nicht zu beweisen, dass es auch tatsächlich die Angeklagten waren, die diese Telefone bei sich trugen und benutzten und nicht andere, dritte Personen. Diese Lücke in der Beweiskette führte letztendlich zum Freispruch. Damit aber dürften viele Prozesse weltweit platzen bzw. neu aufgerollt werden müssen.

  1. 90.000 Anrufe überprüft
  2. 4.700 Telefonnummern untersucht
  3. 13.000 Beweisstücke
  4. 7.000 forensisch untersucht
  5. 18.450 Aussagen eingeholt
  6. 19.400 Dokumente geschaffen

Sie gingen als Rucksackbomber in die Geschichte ein. Und wieder war von sogenannten „Schläfern“ die Rede. Denn die Selbstmordattentäter Shehzad Tanweer, Mohammed Iqbal, Mohammed Sidique Khan und Hasib Hussain stammten aus wohl angesehenen Familien. Sie waren Einwanderer aus Pakistan, die als voll integriert galten. Im nordenglischen Leeds schätzten die Nachbarn sie als Kinder angesehener Bürger. Und dennoch bestiegen sie einen Zug, fuhren nach London und sprengten sich in die Luft. Die Bevölkerung war fassungslos, wochenlang beherrschte das Thema die Medien. Alle fragten sich: Warum?

Sie besuchten militärische Trainingscamps: die vier Terroristen und die Angeklagten. 2001 waren sie in Kaschmir und Afghanistan: der tote Khan und der Angeklagte Ali. 2004 trafen sie sich mit dem gestorbenen Tanweer und dem weiteren Angeklagten Saleem in Pakistan und einem weiteren, nicht bekannten Ort. Dies bestritten die Angeklagten nicht. Vielmehr überzeugten sie das Gericht davon, dass ihre militärische Ausbildung in diesen Lagern nicht mit Terrorismus gleichzusetzen sei. Nach Angaben der New York Times hätten sie Richter und Geschworene einleuchtend erklärt, dass sie zwar den Dschihad unterstützten. Dies bedeute aber nicht, dass sie Teil des Plots gewesen seien, der den Tod nach London brachte. Allerdings wurden Waheed Ali und Mohammed Shakil zu sieben Jahre Gefängnis verurteilt, weil sie geplant hatten, ein Trainingscamp der Taliban in Balutschistan zu besuchen..

Auch Sinn und Zweck von Videoüberwachung müsste aufgrund des Gerichtsverfahrens erneut hinterfragt werden. Obwohl es in der Londoner Innenstadt besonders viele Videokameras gibt, das Attentat verhinderten sie nicht. Und den Angeklagten konnte nicht nachgewiesen werden, dass sie an den Anschlägen beteiligt waren. Sie waren zwar in London, aber sie hätten Verwandte besucht. Das Gegenteil konnte ihnen nicht bewiesen werden.

Forensiker hatten in ihren Wohnungen Spuren gefunden, die sie in Verbindung brachten mit dem Ort, an dem die Bomben hergestellt worden waren. Weshalb diese Beweiskette vor Gericht keinen Bestand hatte, wurde nicht gemeldet.

Bereits drei Wochen nach den Anschlägen sollen sogar die Ermittler darauf aufmerksam gemacht haben, dass man Beschuldigten erst einmal nachweisen müsse, dass auch tatsächlich sie es waren, die von den Telefonen anriefen, die bei den Bombenüberresten gefunden wurden.

Nach dem Independant verdächtigten damals US-Geheimdienstquellen einen Briten indischer Herkunft in Zambia als den eigentlichen Drahtzieher des Anschlags. Er soll bereits Wochen vor dem Anschlag unter amerikanischer Beobachtung gestanden haben. Den britischen Journalisten fiel bereits drei Wochen nach den Attentaten auf, wie unterschiedlich britische und amerikanische Sicherheitskreise diese bewerteten. Sie zitieren US-Erkenntnisse, wonach der Brite 1999 von London nach Oregon gereist sei, um sich dort einen Ort für ein mögliches Terrorcamp anzusehen.

Die Sunday Times schrieb 2005, der Attentäter Khan, der bei dem Anschlag um das Leben kam, sei vorher durch den britischen Inlandsgeheimdienst MI5 überprüft worden. Allerdings sei man zu dem zu dem Schluss gekommen, dass von dem Hilfslehrer keine Bedrohung ausgehe. Dieselbe Zeitung zitierte aber auch Ermittler, die mit den Worten gewarnt haben sollen: "In Kürze kommt etwas ziemlich Großes auf uns zu. Es gibt ein großes Netzwerk, das zerschlagen werden muss." Der britische Hörfunk BBC5 berichtete damals, zeitgleich zu den Anschlägen auf die britische U-Bahn habe es auch eine Übung gegeben. Kurz nach den Anschlägen des 7. Juli war es in London erneut zu Bombenattentaten gekommen, 6000 Polizisten wurden zusätzlich nach London kommandiert. Es herrschte Terroralarm.

In dieser aufgeheizten Stimmung kam es zur Katastrophe. Britische Polizisten töteten einen unschuldigen Brasilianer. Er hatte das Pech, aus einem Haus zu gehen, das beobachtet wurde. Über das, was dann folgte, gab es damals widersprüchliche Berichte. Jedenfalls betrat er eine U-Bahn, als die Beamten ihn erschossen. Es kam zu weltweiten diplomatischen Protesten. Untersuchungsausschüsse kritisierten die Arbeit der Metropolitan Police.

Das Ergebnis des Prozesses wirft erneut Fragen zur Ermittlungsarbeit auf. Die Angeklagten, die gefasst wurden, haben einen Freispruch erwirkt. Ob die eigentlichen Drahtzieher je gefasst wurden oder zumindest beobachtet werden, wurde entweder überhaupt nicht gemeldet oder höchstens von Zeitungen in Regionen wie Sambia, Tansania, etc., die hier nicht so beachtet werden. Unmittelbar nach den Attentaten beteuerte ein aus Äthiopien stammender Brite, der in Italien verhaftet worden war, er habe niemanden töten wollen.

Damit stellt sich mit zeitlichem Abstand zu den Anschlägen die Frage: Was wurde eigentlich aus den jeweils Angeklagten? Was wurde gemeldet, was angeklagt und was konnte wem tatsächlich nachgewiesen werden? Welche Probleme tauchten bei den Ermittlungen auf? Die technischen Möglichkeiten stehen offenbar in krassem Gegensatz zu dem, was am Ende eines Prozesses übrigbleibt und Bestand hat, und selbst dieses wird oft bei genauerem Hinsehen fragwürdig. Die britische Regierung hat eine öffentliche Untersuchung bislang nicht bewilligt. Erst vor kurzem wieder wurde eine solche von einem ehemaligen Leiter der Antiterror-Abteilung von Scotland Yard gefordert.

Auch nach den katastrophalen Terrorattacken in Madrid sicherten Beamte Überreste von Mobilfunktelefonen. Die Spur führte, so ein parlamentarischer Bericht der spanischen Grünen, in ein indisches Viertel der Hauptstadt. Dort seien die Handys an Personen verkauft worden, die angaben, Bulgaren zu sein. Die Parlamentarier begutachteten die Untersuchungen und stellten fest, dass zu denjenigen, die mit diesen Apparaten telefonierten, V-Leute der Guardia Civil gehörten. Doch verhindert wurde das Attentat, das so vielen Menschen das Leben kostete, nicht.