Die Marathon-Maus
Genetisch manipulierte Muskelfasern verwandeln Sprinter in Langstreckenläufer
Mäuse sind geborene Sprinter. Die Strecken, die sie im Mäusealltag zurücklegen, sind zwar bescheiden, zum Überleben reicht es allemal. Dass es auch anders geht, beweist eine Studie aus den Vereinigten Staaten. Dort haben Forscher die Muskelfasern von Mäusen genetisch manipuliert. Das Ergebnis: Marathon-Mäuse, die doppelt so weit laufen wie ihre naturbelassenen Wurfgenossen. Darüber hinaus können die manipulierten Mäuse nach Herzenslust fressen, ohne zu verfetten. Voraussetzung für die Verwandlung der Sprinter in Langstreckenläufer war eine Umprogrammierung ihrer Muskelfasern, wie die Forscher in der Online-Fachzeitschrift PLOS Biology berichten.
Prinzipiell gibt es zwei Arten von Muskelfasern: rote und weiße. Weiße Muskelfasern reagieren schnell, können kurzfristig Höchstleistungen vollbringen, machen aber relativ bald schlapp. Rote Muskelfasern reagieren langsamer, sind dafür jedoch ausdauernder. Das Muskelgewebe erfolgreicher Sprinter besteht zu über 80 Prozent aus weißen Fasern, während die Muskeln von Langstreckenläufern hauptsächlich rote Fasern enthalten. Bei Faulpelzen halten sich rote und weiße Muskelfasern in etwa die Waage.
Der Hauptunterschied zwischen beiden Faserarten ist ihre Energieversorgung. Rote, so genannte Typ-1-Fasern enthalten zahlreiche Mitochondrien. In diesen Zellkraftwerken werden im Körper gespeicherte Nährstoffe wie Zucker und Fett unter Sauerstoffverbrauch (= aerob) in Energie verwandelt. Weiße, so genannte Typ-2-Fasern dagegen gewinnen ihre Energie aus der sauerstofffreien (= anaeroben) Verbrennung von Zucker. Diese anaerobe Form der Energiegewinnung funktioniert nur über kurze Zeiträume, während die aerobe Form auf Dauer angelegt ist.
Muskeln: Geerbt, antrainiert oder gespritzt?
Zwar lässt sich der Anteil der roten Fasern durch Training erhöhen. Die besten Voraussetzungen für eine Karriere als Marathonläufer jedoch haben Menschen, die die entsprechende Muskulatur von ihren Eltern geerbt haben. Die amerikanischen Forscher schlugen der Natur ein Schnippchen, indem sie die Aktivität des Proteins PRAR-Delta (peroxisome proliferator-activated receptor) erhöhten. In früheren Studien hatten die Forscher herausgefunden, dass das Protein die Verbrennung von Fettsäuren steuert. Was die Forscher bislang nicht wussten: Dass die Aktivierung von PRAR denselben Effekt auf die Muskulatur hat wie Ausdauertraining.
Die Genmanipulation erhöhte nicht nur den Anteil der roten Muskelfasern, sie verhinderte auch, dass die Mäuse fett wurden. Selbst wenn den Marathon-Mäusen der Zutritt zum Laufrad verwehrt wurde, nahmen sie weitaus langsamer zu als ihre unmanipulierten Artgenossen. Und das trotz kalorienreicher Kost.
Ließe sich das Mäuse-Experiment auf den Menschen übertragen, würden sich vollkommen neue Perspektiven eröffnen: Leistungssportler könnten neue Rekorde laufen und Naschkatzen ihre eingemotteten Röhrenjeans vom Dachboden holen. Bis es soweit ist, dürften allerdings einige Jahre vergehen. Mitarbeiter der Welt-Anti-Doping Agentur (World Anti-Doping Agency WADA) machen sich trotzdem schon mal Gedanken. Schließlich ist bereits ein Medikament auf dem Markt, das die Aktivität von PRAR erhöht. Eigentlich soll die Pille den Cholesterinspiegel senken. Wenn sich jedoch herumspricht, dass sich mit dem Wirkstoff die Architektur der Muskeln verändern lässt, wird es sicher nicht lange dauern, bis erfolgshungrige Sportler damit herumexperimentieren.
Olympia 2008 mit Gendoping?
Noch fehlen Studien zum Langzeiteffekt der Genmanipulation per PRAR, dafür gibt es umso mehr Studien darüber, dass es für heutige Sportler immer schwieriger geworden ist, frühere Höchstleistungen zu übertreffen. Die besonders bei Olympiaden sprichwörtliche Maxime "höher, schneller, weiter" ist für zahlreiche Leistungssportler zum Fluch geworden. Wer den Anforderungen nicht standhält, bricht – wie Franziska van Almsick nach ihrem letzten Wettkampf – mental und körperlich zusammen. Sportforscher sind zwar der Meinung, dass Leistungssteigerungen weiterhin möglich sind, allerdings sind keine Wunder zu erwarten. Höher, weiter, schneller geht es in zusehends kleineren Schritten. Und nicht selten hängen Steigerungen mit neuartigen Materialien zusammen.
So verdanken lorbeergekrönte Schwimmer ihre Erfolge zumindest teilweise ihren Hightech-Badeanzügen, deren Oberfläche strömungsgünstigere Eigenschaften hat als die menschliche Haut. Diese Form der Verschmelzung von Mensch und Material ist ein winziger Schritt in Richtung Cyborg. Deshalb zerbrechen sich nicht nur Anti-Doping-Agenturen, sondern auch Ethiker den Kopf darüber, wie die Zukunft des Leistungssport aussehen soll. Als Schreckensszenario könnte unter anderem der Spielfilm "Anatomie 2" dienen: Dort experimentieren skrupellose Mediziner mit Muskel-Implantaten. Abgesehen von den mörderischen Schmerzen, die die solchermaßen aufgemotzten Menschen schnell in medikamentenabhängige Wracks verwandeln, haben die Cybermuskeln einen weiteren Nachteil: Sie können vom Hersteller ferngesteuert werden und die Träger per Knopfdruck ins Verderben stürzen.