"Die Menschen brauchen keine charismatischen Anführer oder Erlöser"
Ein Mythos tritt ab: Zapatistenführer Subcomandante Marcos kündigt sein "Verschwinden" an
Die Menschen brauchen keine charismatischen Anführer oder Erlöser. Für einen gerechten Kampf brauche es lediglich viel Würde und viel Organisation. Das erklärte die schillernde Figur Subcomandante Marcos, die über zwanzig Jahre als Sprachrohr der Zapatisten-Bewegung diente und sich für die Rechte der indigenen Bevölkerung in Mexiko und soziale Gerechtigkeit im Allgemeinen eingesetzt hatte. Subcomandante Marcos outete sich als Kunstfigur. Die reale Führung soll inzwischen eine neue Generation von Indigenas übernommen haben.
Obwohl erst Anfang Mai das Basis-Lager der Zapatisten von Paramiliärs angegriffen und ein Zapatista dabei brutal ermordert worden war, hält die Bewegung an ihren Zielen fest: Unabhängigkeit, Selbstbestimmung und Kampf gegen einen ausbeuterischen Neoliberalismus.
Anfang der 1990er-Jahre gründeten einige Mestizos und Indigenas im ärmsten Teil Mexikos - Chiapas - eine revolutionäre Befreiungsarmee nach marxistischem und maoistischem Vorbild. Von Beginn an zeichnete sich die Bewegung aber auch durch viele basisdemokratische Elemente aus, sodass sich ein eigener Guerilla-Typus entwickelte, der insbesondere die globalisierungskritische Bewegung in Europa stark beeinflusste.
Der breiteren Öffentlichkeit wurde die Ejército Zapatista de Liberación Nacional (EZLN), die Zapatistische Armee der Nationalen Befreiung, erstmals Januar 1994 bekannt. Aus Protest gegen das Inkrafttreten des nordamerikanischen Freihandelsabkommens (NAFTA) besetzten tausende Anhänger mehrere Städte in Chiapas. Nach mehreren Tagen des bewaffneten Kampfes wurde ein Waffenstillstand erwirkt und Verträge zur Verbesserung der Lage der Indigenas ausgehandelt. Diese Abmachungen wurden allerdings nie in die Verfassung aufgenommen.
Der "Kampf" wurde fortan vorwiegend mit politischen Mitteln geführt und man konzentrierte sich auf den Aufbau autonomer Strukturen in Chiapas mit Schulen, Gesundheitseinrichtungen, genossenschaftsähnlichen Strukturen für die Nahrungsmittelversorgung usw. .
Eine Figur für die Öffentlichkeit
Mit 1. Januar 1994 bekam die Bewegung auch ein "Gesicht". Damals trat Subcomandante Marcos erstmals vor die Medien. Die Maskierung war Programm. Der mit schwarzer Ski-Maske vermummte, oftmals pfeifenrauchende Marcos sollte zum Sprachrohr der EZLN werden. Seine Texte, die über das Internet in der ganzen Welt verbreitet wurden, waren oftmals ironisch und mit lyrischen Elementen durchzogen. Legendär wurden seine Aussprüche. Beispielsweise der Slogan: "Es ist nicht nötig, die Welt zu erobern. Es genügt, sie neu zu schaffen." Zugeschrieben wird ihm auch folgende Antwort auf die Frage nach seiner Identität:
Marcos ist ein Schwuler in San Francisco, Schwarzer in Südafrika, Asiat in Europa, Anarchist in Spanien, Palästinenser in Israel, Indio in San Christobal (Chiapas), Jude in Deutschland.
Jetzt will er nicht mehr als Subcomandante Marcos auftreten. Das wurde am 25. Mai 2014 bekannt gegeben. Eine deutsche Übersetzung eines entsprechenden Artikels des alternativen mexikanischen Medienportals "Desinformemonos" findet sich auf der Website der linken Gruppe "Alerta! - Lateinamerika Gruppe Düsseldorf".
Darin wird Marcos dahingehend zitiert, dass man nach der "Kleinen zapatistischen Schule" Sommer 2013 (Anm. dabei wurden über 1500 Menschen aus aller Welt in Basis-Gemeinden über die autome Arbeit informiert) gesehen, hätte, dass man es inzwischen mit einer Generation von Menschen zu tun hätte mit der man auf "Augenhöhe" kommunzieren könnte. Ein Führer sei nicht notwendig.
Überhaupt wäre die Figur des Subcomandante Marcos eine "Karnevals-Maske" gewesen, um die Menschen dort abzuholen wo sie eben standen. Dahinter hätten sich mehrere Zapatista versteckt, heißt es. Und man wollte das Spiel der Medien mitspielen. Denn diese hatten sich auf auf die vermummte Figur fixiert. So ist es kaum verwunderlich, dass sich um die Identität von Subcomandante Marcos unterschiedlichste Mythen rankten.
Mal hieß es, er wäre aus bürgerlichem Hause und hätte Philosophie studiert. Mal wurden ihm Ausbildungen auf Kuba unterstellt. Vielleicht steckten tatsächlich mehrere Personen hinter der Maske. Schließlich gab der Subcomandante auch etliche Interviews.
Würde und Organisation
In dem auf der EZLN-Seite in Spanisch veröfftentlichten Text wird jedenfalls klar, dass sich die Bewegung gegen eine "Führerideologie" verwahrt. Für den Kampf brauche es viel Würde und jede Menge Organisation. "Wir sind überzeugt, dass es keinen Mesisas oder sonstigen Erlöser bedarf", heißt es sinngemäß. Die Textpassage lautet im spanischen Original:
Es nuestra convicción y nuestra práctica que para rebelarse y luchar no son necesarios ni líderes ni caudillos ni mesías ni salvadores. Para luchar sólo se necesitan un poco de vergüenza, un tanto de dignidad y mucha organización.
Vor dieser Erklärung war es lange ruhig gewesen um den Subcomandante. Es gab Spekulationen über eine ernsthafte Erkrankung, denen nun aber vehement widersprochen wurde. Die Bewegung war und ist aber vital - mit oder ohne Subcomandante Marcos. Das hatte sich noch Ende 2013 gezeigt. Mit rund 50.000 Anhängern marschierte die Organisation damals friedlich durch mehrere Städte in Chiapas (Guerilla reloaded). Die schweigende Machtdemonstration der Maya-Rebellen überraschte die Regierenden. Offensichtlich hatten auch Geheimdienste im Vorfeld davon nichts mitbekommen.
Angriffe durch Paramilitärs
Trotz der beeindruckenden organisatorischen Stärke sah sich die Bewegung immer wieder Übergriffen durch paramilitärische Gruppen ausgesetzt. In mehreren Fällen konnte eine Regierungsbeteiligung daran nachgewiesen werden. Zuletzt gab es einen schweren Überfall Anfang Mai 2014.
Dabei kam ein Aktivist ums Leben, weitere fünfzehn Zapatistas sollen verletzt worden sein. Beschreibungen zufolge soll der Zapatista "Galeano" mit beispielloser Brutalität ermordet worden sein. In einem Artikel der Jungen Welt wird berichtet, dass die Aggressoren der "Unabhängigen Landarbeiter- und Bauernzentrale" CIOAC angehörten, welche die aktuelle Regionalregierung unterstützen würde. Diese würde aber mehr die Interessen mexikanischer Oligarchen und internationaler Unternehmer vertreten, denn jene der indigenen Bevölkerung. Die Ermordung Gelaenos wird auf der EZLN-Website als Akt beispielloser Brutalität beschrieben:
Was mit dem Compañero Galeano geschah ist erschütternd: er fiel nicht beim Angriff aus dem Hinterhalt, er wurde von 15 oder 20 Paramilitärs umzingelt (ja das sind sie, ihre Taktiken sind die von Paramilitärs); der Compa Galeano forderte sie heraus, Mann gegen Mann zu kämpfen, ohne Feuerwaffen; sie schlugen ihn mit Knüppeln und er sprang von einer Seite auf die andere, um so den Schlägen auszuweichen und seine Gegner zu entwaffnen.
Als sie sahen, dass sie nicht gegen ihn ankamen, schossen sie ihm in das Bein. Danach kam die Barbarei: sie stürzten sich auf ihn, sie schlugen ihn und verletzten ihn mit der Machete. Eine weitere Kugel in die Brust und er lag im Sterben. Sie schlugen weiter auf ihn ein. Und als sie sahen, dass er noch immer atmete, gab ein Feigling ihm den Gnadenschuss. Drei Kugeln erhielt er, wehrlos war er.
Die EZLN-Seite berichtet über den "Schmerz", den dieser Angriff ausgelöst hätte. Man wolle aber dem Zorn nicht einfach nachgeben. Nicht Rache ist es, sondern Gerechtigkeit wonach ein Zapatista strebt, wird ein Companero zitiert. Ob die "Auflösung" von Subcomandante Marcos bereits vor diesem Überfall geplant war oder eine Reaktion darauf ist, ist nicht bekannt. Bei der Gedenkfeier für Galeano wies Marcos einmal mehr auf den Charakter der Kunstfigur hin.
Subcomandante Marcos hätte einmal blaue, braune oder grüne Augen gehabt. Es hätten sich mehrere Personen dahinter verborgen. Und heute wäre eine solche Figur nicht mehr notwendig. Die EZLN-Führung bestünde heute rein aus Indigenas. Es scheint, als wollten die alten "Führer" sagen, dass die Bewegung flügge geworden wäre.
Auf der EZLN-Seite gibt es inzwischen bereits neue Artikel. Subcomandante Moses verweist auf die nächsten Schritte: Organisation von Friedenscamps, den Wiederaufbau der durch den paramilitärischen Angriff zerstörten Einrichtungen und den weiteren Ausbau der autonomen Strukturen.