Die Mietregimenter der UN

Von der Privatisierung des Friedens: Die reichen Länder zahlen, die armen stellen die Soldaten

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Die großen UN-Friedensmissionen, von denen man nach dem Ende des Kalten Krieges so viel erwartet hatte, zeichneten sich vor allem durch ihre geradezu skandalöse Ineffizienz aus. So endete der von den USA stark unterstütze Einsatz in Somalia (1992-1995) in einem hastigen Rückzug, im bosnischen Srebrenica erkaufte sich das UN-Kontingent seinen Abzug, indem es tausende Bosnier dem sicheren Tod überließ, und als in Ruanda der Völkermord begann, war die UN fast ausschließlich damit beschäftigt, ihr eigenes Personal in Sicherheit zu bringen.

Passivität und Verschwendung der UN-Friedensmissionen wurden schließlich ganz besonders deutlich als es der südafrikanischen PMC (Private Military Company - im Volksmund oft auch "Söldnerfirma") "Executive Outcomes" 1995 innerhalb eines guten Jahres gelang, den blutigen Bürgerkrieg in Sierra Leone zu beenden, dem eine von der UN finanzierte Streitmacht westafrikanischer Staaten über Jahre wesentlich tatenlos zugesehen hatte. Als der Bürgerkrieg dann nach dem erzwungenen Abzug der PMC erneut ausbrach und in weitere Jahre andauerte, wurden auch langsam in großen Zeitungen die Kosten der Söldnerfirma (1,2 Millionen Dollar im Monat) mit denen der UN-Mission (47 Millionen) verglichen.

Zudem wurde bekannt, dass Executive Outcomes kurz vor Beginn des Genozids in Ruanda angeboten hatte, für die Sicherheit der Bevölkerung zu sorgen, die UN dies aber abgelehnt hatten. Generalsekretär Kofi Annan räumte später in einer Rede ein:

Als wir erfahrene Soldaten brauchten, um die Kämpfer von den Flüchtlingen in den ruandischen Flüchtlingslagern in Goma zu trennen, zog ich auch die Möglichkeit in Betracht, eine Privatfirma zu beauftragen. Aber die Welt ist wahrscheinlich noch nicht bereit, den Frieden zu privatisieren.

Seither versorgen Befürworter und Gegner der PMCs Politiker, Wissenschaftler, Journalisten und Lobbyisten mit immer neuen Argumenten, Statistiken und Studien. Schließlich geht es nicht nur um den Frieden in der Welt, sondern auch eine Menge Geld, geopolitische Positionen, Macht und Einfluss in der Dritten Welt und den Zugang zu Rohstoffen.

Trotz einiger Reformversuche seitens der UN scheint sich an ihrem militärischen Einsatzwillen nur wenig geändert zu haben. So waren die UN-Truppen im Sudan bislang hauptsächlich auf ihre eigene Sicherheit bedacht. Als besonders peinlich erwies sich die zurzeit größte und teuerste UN-Mission im Ostkongo. Dort sahen relativ starke UN-Kontingente tatenlos zu, als im November 2012 eine weit unterlegene Rebellentruppe die Millionenstadt Goma einnahm. Der französische Außenminister nannte die Situation "absurd". Überall im Ostkongo mussten sich anschließend UN-Mitarbeiter vor aufgebrachten Menschen in Sicherheit bringen, die sich von ihren Beschützern im Stich gelassen fühlen.

Auf der anderen Seite ist es den privaten Anbietern seit dem Irakkrieg zwar zunehmend gelungen, sich als "Dienstleister" in Krisengebieten zu etablieren, wobei es aber immer noch schwer fällt, diese als einfach "Markt" zu bezeichnen. Die UN lassen von PMCs manchmal Transport, Ausbildung und auch schon mal das Räumen von Minen erledigen, von den militärischen und polizeilichen Aufgaben bleiben sie aber nach wie vor ausgeschlossen. Zu stark ist die Hemmung, letzten Endes doch "Söldner" zu verwenden, die ja von den UN selbst 1977 zu irregulären Kämpfern erklärt wurden, die nicht als Kriegsgefangene behandelt werden müssen und deren Verwendung illegal ist. Damit dieser Beschluss auch von allen Mitgliedern unterschrieben wurde, musste so lange an der Definition für Söldner gefeilt werden, bis so traditionelle Söldnereinheiten wie die Gurkharegimenter Großbritanniens und Indiens, die französischen und spanischen Fremdenlegionen, aber auch so klassische Söldneraufgaben wie die als Militärberater, Techniker und Ausbilder davon ausgenommen sind.

Friedensmissionen sind zu einem großen Geschäft geworden

Nun dienen politische Schlagworte in erster Linie dazu, die kritische Sicht auf eine etwas problematische Situation zu verschleiern und jede Fragestellung von Anfang an zu unterbinden. Als "Söldner" bezeichnet man generell die Gegenseite, unterstreicht ihre Käuflichkeit und hebt dadurch die eigenen edlen, idealistischen Motive hervor. Denn würde man nur etwas kritischer hinschauen, wäre leicht zu sehen, dass die UN-Friedensmissionen selbst längst zu einem ganz großen Geschäft geworden sind, in dem - wie in der ganzen Söldnergeschichte - die Reichen für die Kriegsdienste der Armen bezahlen.

Bis 1990 hatten vorwiegend kleine westliche, möglichst neutrale Nationen die notwendigen Truppen für die Friedensmissionen gestellt (Rangfolge: 1. Kanada, 2. Schweden, 3. Irland, 4. Finnland, 5. Norwegen). Als sich mit dem Ende des Kalten Krieges die Blockbildung auflöste, waren die UN bereit, anstelle der Großmächte für echten Frieden zu sorgen. Dadurch wuchsen Anzahl und Umfang der Missionen rasant. Das fehlende Personal besorgte man sich zunehmend bei den jungen aufstrebenden Nationen, die man durch Verantwortung einzubinden gedachte. Die Liste der Länder, die heute die UN-Truppen stellen, sieht deshalb ganz anders aus: 1. Bangladesch, 2. Pakistan, 3. Indien, 4. Nigeria, 5. Äthiopien. Stellt man die Zahl der entsandten Truppen in ein Verhältnis zur Größe des Anbieters, so hält Nepal, eines der ärmsten Länder der Welt, eine einsame Spitzenposition.

Die Vorteile für die Anbieter liegen auf der Hand. So herrscht in der einschlägigen Literatur die Meinung, dass vor allem Indien, Pakistan und Nigeria die UN-Missionen hauptsächlich dazu nutzen, Armeen zu unterhalten, die sie in dieser Größe ohne das Geld der UN gar nicht finanzieren könnten. Da die UN etwa eine Million Dollar pro Bataillon im Monat bezahlt, wovon manche Länder 50- 80% behalten, kommen hier bedeutende Summen zusammen. Aber auch das Geld, das die Soldaten erhalten, ist eine willkommene Devisenquelle. Die ca 10.000 Peacekeeper aus Bangladesch verdienten in den letzten drei Jahren etwa eine Milliarde Dollar und trugen dadurch einen guten Teil zum Bruttoinlandsprodukt bei. Experten sehen sogar einen deutlichen Zusammenhang zwischen besonders für Offiziere lukrativen Friedensmissionen und dem starken Rückgang der Militärputsche.

Aber auch für die einzelnen Soldaten lohnen sich die Einsätze, selbst wenn ihre Regierungen einen guten Teil des Geldes behalten. Allein die tägliche Verpflegungspauschale übersteigt manchmal schon den Verdienst in ihren Heimatländern, dazu kommt noch alle paar Monate eine Art Erholungsgeld. Als in Nepal 120 Polizisten für eine UN-Mission gesucht wurden, meldeten sich 15.000 Freiwillige. Ein nepalesischer Offizier sagte einer Zeitung: "Viele gehen zur Armee in der Hoffnung, an einer Peacekeeping-Mission teilnehmen zu können. In sechs Monaten können sie mehr verdienen als in 10 Dienstjahren zu Hause." Und ein anderer bestätigte: "UN-Missionen sind wie Prämien. Sie sind die beste Methode, um unsere Moral zu heben und Geld zu verdienen."

In Nepal wurde es deshalb geradezu als nationales Unglück empfunden, als die Anzahl der von den UN angeforderten Truppen deutlich zurückging, nachdem Soldaten aus Nepal 2010 für die Choleraepidemie auf Haiti verantwortlich gemacht worden waren. Diplomaten bei den UN in New York wurden angewiesen, alles nur Mögliche zu versuchen, um wieder ein größeres Kontingent der begehrten Jobs zu bekommen. Das wird nicht ganz einfach werden, denn auch andere Länder wollen "ein größeres Stück vom Peacekeeper-Kuchen" wie eine philippinische Zeitung titelte, in der dann ein Politiker mit folgenden Worten zitiert wurde: "Bangladesch verdient z.B. 200-300 Millionen Dollar im Jahr, indem es Soldaten und Material für UN-Missionen stellt, während wir dagegen Amerika auf den Knien um 50 Millionen Militärhilfe bitten müssen."

Verlogenes Geschäft

Während also in ärmeren Nationen viele Menschen vom einfachen Soldaten und dessen familiärem Anhang bis hin zum einflussreichen Politiker davon träumen, endlich durch eine UN-Mission an das große Geld zu kommen, ist man im wohlhabenden Westen mehr als zufrieden, wenn man diese Angelegenheiten diskret mit dem Scheckbuch erledigen kann, zumal ein guter Teil dieses Geldes ja wieder für westliche Konsum- und Rüstungsgüter ausgegeben wird. Die Liste der fünf größten Beitragszahler sieht so aus: 1. USA (27.14%), 2. Japan (12.53%), 3. Großbritannien (8.15%), 4. Deutschland (8.02%), 5. Frankreich (7.55%).

Alle diese Länder brauchen neben vielen anderen Dingen sichere Seewege, das Öl aus dem Sudan und die Mineralien aus dem Ostkongo. Und dafür bezahlen sie gerne, solange es nur Geld und nicht das Blut der eigenen Soldaten ist. Man sollte hier einmal daran denken, dass sich die USA aus Somalia zurückzogen, nachdem 18 ihrer Soldaten am 3.10.1993 Mogadischu gefallen waren. Belgien zog fluchtartig sein Kontingent aus Ruanda ab und öffnete damit dem Genozid die Tür, nachdem 10 seiner Soldaten ermordet worden waren, und in Deutschland geriet Bundespräsident Köhler dermaßen in die Kritik, dass er schließlich zurücktrat, nachdem er vor Soldaten von der möglichen Notwendigkeit einer Sicherung der Handelswege gesprochen hatte.

UN-Friedensmissionen sind inzwischen in allererster Linie ein Geschäft, allerdings ein äußerst scheinheiliges und verlogenes und so darf das Wort "Söldner" nicht verwendet werden. Bei den PMCs, den "Söldnerfirmen", die ja erst noch richtig einsteigen wollen, bezeichnenderweise auch nicht. Die Truppenanbieter unterstreichen Opfermut und Tapferkeit ihrer Soldaten, und die Beitragszahler sprechen von humanitärer Hilfe, der Sicherung des Friedens usw.

Das Negativbild von Söldnern, das man hier so krampfhaft zu vermeiden sucht, geht übrigens auf die amerikanische Propaganda während des Unabhängigkeitskrieges zurück. Damals hatten die Briten von deutschen Fürsten in großem Stil Truppen zur Verstärkung gemietet, was im Absolutismus allgemein üblich war, weshalb auch zwischen Söldnern und Soldaten absolut kein Unterschied gemacht wurde. Um die Moral seiner Landsleute aufzurichten sprach George Washington von den "sklavischen Söldnern" der Gegenseite, nannte sie oft gleich "hirelings" (Mietlinge). Diese Vorstellungen fanden schließlich sogar Eingang in die amerikanische Nationalhymne, wo es dann heißt: "No refuge could save the hireling and the slave."

Das Geschäft mit den verkauften Hessen, die in jedem amerikanischen Geschichtsbuch als Paradebeispiele des Söldnertums herhalten müssen, unterscheidet nur wenig von dem, was heute Pakistan oder Nigeria mit den UN machen. Besonders interessant wird es dadurch, dass Indien und Großbritannien bevorzugt ihre Gurkharegimenter an die UN ausleihen, Frankreich dagegen die Fremdenlegion. Nepal beliefert mit seinen beliebten Gurkhas die UN, Großbritannien, Indien, Singapur, den Sultan von Brunei und verschiedene Söldnerfirmen. Es wäre nun mehr als billig, einen Gurkha moralisch danach zu beurteilen, ob er von den UN, der britischen Krone oder einer Sicherheitsfirma wie Gurkha Security Guards unter Vertrag genommen wird. Der große Unterschied für ihn selbst ist wahrscheinlich nur, dass er in einem britischen Gurkharegiment eine Lebensstellung mit Pensionsanspruch hat.

UN-Missionen sollten auch als Geschäft betrachtet werden

Letzten Endes darf es aber nicht um moralische Wertungen gehen, sondern um eine Analyse der Problematik, die anschließend zu ihrer Lösung beitragen sollte. Dabei muss man leider feststellen, dass die heuchlerische Argumentation zu einer solchen Analyse absolut nichts beiträgt, sondern diese im ganz im Gegenteil völlig verschleiert. So wird von den Gegnern der PMCs immer wieder angeführt, diese seien zu eng mit den Interessen großer Konzerne verflochten, außerdem würden ihre Mitarbeiter bei Straftaten nicht belangt. Bei genauerem Hinsehen erkennt man jedoch schnell, dass gerade Staaten wie Indien und Pakistan UN-Missionen in Afrika nutzen, um Zugang zu den dortigen Märkten und Rohstoffen zu bekommen.

Interessiert man sich auch einmal für Straftaten der Peacekeeper stößt man auf eine geradezu endlose Liste von Folter, Waffenhandel, Mord bis hin zu Frauenhandel, Zwangsprostitution, Vergewaltigung von Minderjährigen. Und fast alles wird mit erprobter Routine unter den Teppich gekehrt. Gelegentliche Klagen verschwinden meistens in den endlosen Mühlen der UN-Bürokratie. Die indische Journalistin und Menschenrechtlerin Gita Sahgal musste 2004 enttäuscht feststellen, dass Peacekeeper offenbar auch nicht besser als andere Soldaten sind.

Aber all dies sollte nicht zu dem Schluss führen, dass private Firmen generell besser sind. Das grundlegende Problem ist ein politisches. Die UN versuchen oft, schwierige Kandidaten mit ins Boot zu nehmen, sehen die Vergabe von Friedensmissionen sicher auch als eine Art Entwicklungshilfe. Kommt es dann zu größeren Unregelmäßigkeiten bei der Auszahlung des Solds, der Ausführung von Aufträgen, kann kaum Kritik geübt werden, da das ganze System auf Konsens ausgerichtet ist. Man bezahlt also auch bei striktem Fehlverhalten und hofft, dass mit der Zeit alles besser wird. Diese Probleme hätte man natürlich mit einer Privatfirma nicht. Hier würde man im Extremfall den Vertrag kündigen und einen Teil der ausstehenden Gelder einbehalten. Es versteht sich von selbst, dass man bedeutende Staaten wie Pakistan oder Nigeria so nicht behandeln kann.

Dennoch wäre es für die UN sicher möglich, bei den Friedensmissionen höhere Qualitätsstandards und eine bessere Erfüllung der Aufgaben einzufordern. Die Grundlage hierfür wären jedoch klare Mandate und das Eingeständnis, dass es sich letzten Endes um ein Geschäft handelt, bei dem Preis und Leistung einander entsprechen sollten.