Die Mutter aller Aufmerksamkeitsschlachten
Zum "21st-Century Blitzkrieg" der Medien
Selbst der texanische Internationalismus verleitet uns nicht zum ontologischen Glauben, dass der Krieg der Vater aller Dinge sei. Dass dieser Krieg dagegen als Mutter aller Aufmerksamkeitsschlachten in die Geschichte eingehen könnte, wird in diesen Tagen zur banalen Wahrnehmung. Umfragen belegen, dass die globale Gemeinde der Medienbürger der Faszination dieses Echtzeit-Krieges inzwischen mehrheitlich erliegt.
Unstillbarer Hunger nach Kriegsbildern
Jeder hat gute Gründe für seinen großen Hunger nach Bildern: Journalisten kommen vorgeblich ihrer Aufklärungspflicht nach. Die Informationsgesellschaft habe einen Anspruch darauf, dass der Krieg auf objektive Fakten, enthüllende Bilder, bittere Wahrheiten getrieben wird. Die Kriegsgegner auf den Straßen, auf Websites und Leserforen folgen ihren humanen Gesinnungen, wenn sie ihren Widerstand mit den üppig sprudelnden Anklagebildern des Schreckens erhärten. Die Befürworter des Krieges rüsten ihren illegitimen Krieg nach, in dem sie solche Darstellungen unter Bildverbot stellen. Die Kriegsherren brauchen die richtigen Bilder, um ihren Krieg als humanes Unternehmen, als fast blutfreien Ausflug hin zu einer besseren Zukunft zu glorifizieren. In welche Lager sich die unzähligen Zaungäste dieses Krieges auch verteilen: Alle reden vom Krieg.
Aufklärungspflichten, Informationshunger, Kriegsanklagen und Apologetik erklären längst nicht ausreichend, warum dieser Krieg bereits seit seinem Anbeginn zu einer kollektiven Wahrnehmungsobsession wurde, die von medialer Sucht nach immer neuen Kriegereignissen kaum mehr zu trennen ist. Stockt die angloamerikanische Armada auf ihrem Vormarsch nach Bagdad, wird dieser Kampf des westlichen Kriegselefanten gegen die irakische Kampfmaus sofort besorgt, lüstern oder schadenfroh mit Horrorszenarien von Stalingrad bis Vietnam überblendet.
Setzen die Amerikaner ihre Wunderwaffen ein, überbieten sich die Berichte über die neuesten gadgets des Vernichtungsdesigns. Winkt ein irakischer Junge den heranfahrenden Abrams-Panzern zu, löst sich der Kampf der Kulturen wenigstens für die Dauer einer Nebelkerze in Rauch auf. Verkündet Saddam Hussein auf dem allpräsenten Screen seine Durchhalteparolen nicht in personam, wird unverzüglich über seinen Tod spekuliert. Je weniger Fakten, desto besser? Die Schnellschusserkenntnisse und -theorien, die diesen Krieg und seine diversen Wahrheiten journalistisch unterfüttern, werden oftmals mit der nächsten Meldung obsolet, ohne dadurch die öffentliche Wahrnehmungswut im Geringsten zu irritieren.
Warum eigentlich schenken wir dem Krieg noch in seinen kleinsten Details unsere ganze Aufmerksamkeit, wenn sich seine fundamentale Wahrheit - Menschen töten Menschen, Kinder verhungern, Flüchtlinge krepieren - auch durch die ohnehin täglich widerlegte Doktrin humaner Kriegführung nicht verflüchtigt? Warum brauchen Kriegsgegner wie Kriegsapologeten alle diese "Breakings-News", interaktive Grafiken, Slide-shows, War-Tracker, Kriegstagebücher, Expertenrunden, um sich ein Bild über den Krieg zu machen? Click icons for more target details!
Zum Generalverdacht der Öffentlichkeit gegen offizielle Kriegswahrheiten
Die Kriegsberichterstattung steht seit dem zweiten Golfkrieg, dem ersten echten Medienkrieg (Colin Powell), unter dem Generalverdacht der Zensur und Fälschung von Bildern, der Eindämmung unabhängiger Berichterstattung, der Verlogenheit eines weitgehend opferfreien Waffengangs. So glaubte das Pentagon den Krieg von 1991 medial gewonnen zu haben, weil man zumindest während der Kampfphasen die Öffentlichkeit erfolgreich hinter das Licht der Dauerbombardements geführt hatte. In den Nachbetrachtungen wurden die blutfreien Bilder und Erzählungen, wie etwa die berüchtigte Brutkastenlüge über die schändlichen Taten irakischer Soldaten, entlarvt. Vom medial so siegreichen Golfkrieg 1990/1991 blieb nicht viel mehr übrig als eine "Schlacht der Lügen" (John R. MacArthur). Und die Medien traf der Vorwurf, in ihrer Aufgabe rückhaltloser Aufklärung völlig versagt zu haben.
Der neue Krieg wurde daher sofort als totaler Medienkrieg begriffen, der anders geführt werden sollte als sein diskreter Vorläufer, dem das Pentagon eine Bildladehemmung vorinstalliert hatte. Diesmal ist der Medienkrieg, wenn man den unzähligen Diskursen über die Authentizität der Berichterstattung folgt, mindestens eben so wichtig wie der reale Krieg. Der reale Krieg? Der existiert jenseits der Front ohnehin nur als Medienkrieg. Und deshalb leben wir Live-Fernseh-Krieger alle in einem selbstreferenziellen Zirkel: Der Dauerverdacht gegenüber den Bildern dieses Krieges folgt der medialen Logik, dass die Bilder der Vernichtung und der Opfer nicht verdrängt werden dürfen. Insofern gibt es diesmal ein Medien-Apriori für Kriegswahrheiten, das Pentagon, Rumsfeld-Briefings und die verbliebenen Hofberichterstatter nicht mehr erfolgreich austreiben können.
Ein Kommentator betitelte die neue Mission der US-Marines militärtaktisch als den "Kampf der Sehenden gegen Blinde". Das ist zugleich das politisch-propagandistische Motto, das nach dem Willen der bushistischen Medienkrieger auch diesmal wieder die Wahrnehmungsverhältnisse der Monitorwelt prägen sollte. Durch al-Dschasira und wachsende Gegenöffentlichkeiten im Internet, aber mindestens ebenso durch den massiven Druck der Straße ist die US-amerikanische Informationsdominanz von Anfang an aber weniger als eine Fiktion gewesen. Da die Neuedition des Golfkriegs zudem militärisch schlecht geplant ist und schon nach wenigen Tagen von zahlreichen Friktionen, militärischen Rückschlägen und Verzögerungen, vor allem aber permanenten Berichten über Ziviltote, geschüttelt wird, werden unsere Vermutungen über die Blut- und Dreckwahrheiten des Krieges ständig bestätigt.
CNN ist nicht länger die Mutter aller Bilder. Und selbst CNN marschiert nicht mehr im Gleichschritt, seitdem der Sender etwa die chaotischen Bilder der humanitären Brot- und Wasserverteilungsaktionen der selbst ernannten Befreier als "survival of the fittest" zynisch-kritisch kommentiert und auch im wachsenden Konkurrenzdruck die Berichte über Zivilopfer nicht mehr unterdrücken kann. Die Quote drückt und medienoptimistisch scheint diesmal zu gelten, als habe sich der Kampf um die Informationshoheit mit den brutalen Kriegswahrheiten frühzeitig verbündet.
Die böse Achse globaler Medien
Medien sind in ihren konkurrierenden Aufmerksamkeitsschlachten auf immer krassere Affektbilder angewiesen. Nur Schock- und Opferbilder, Bilder des Chaos und der Verzweiflung kitzeln die katastrophenkonditionierte Weltöffentlichkeit hoch. Der wilde Krieg wird zum letzten Menschheitsabenteuer, wenigstens zur Unterhaltungsbombe der Megatonnen-Klasse. Krieg ist auch Unterhaltung, solange wir über seine Bildsurrogate und die ihn umspielenden Diskurse reden. Wessen Einbildungskraft da nicht mitkommt, darf sich an der schlecht kaschierten Kriegstrunkenheit des Heers der Experten nachberauschen. "Full coverage" sind oft nichts anderes als die nachinszenierten Zinnsoldatenschlachten der ausgemusterten Generäle und Admiräle, die mit dem üblichen Hightech-Geschwafel die Blutspur der Armada in den unzähligen Brennpunkt-Studios nachziselieren dürfen.
Auch aus diesem Grund ist die antiquierte Propaganda alter wie neuer Kriegstreiber auf den neuen Gefechtsfeldern der Bilder relativ chancenlos. Der weitere Verlauf des Kriegs könnte die sich jetzt bereits abzeichnende Medienniederlage der angloamerikanischen Kreuzritter endgültig machen. Der Medienpraktiker Don Rumsfeld hat jedenfalls Recht: "Was sie im Fernsehen sehen, ist nur ein kleiner Ausschnitt." Die fundamentale Wahrheit dieses Krieges wie die seiner Vorgänger ist indes so einfach, dass Erfahrung und Fantasie selbst ohne Bilder völlig ausreichen, die Ausschnitte zum blutigen Vollpanorama zu komplettieren.