Die Nigeria-Connection
Stammen die Afrikaner auf der Cap Anamur tatsächlich aus dem Sudan?
Die bislang kaum in Frage gestellte Meldung, dass die meisten der im Mittelmeer aufgefischten Afrikaner, wie es von Cap Anamur verbreitet wurde, aus dem Sudan stammten, verliert bei näherer Betrachtung von Filmaufnahmen an Wahrscheinlichkeit.
Die Flüchtlinge sollen aus der sudanesischen Bürgerkriegsregion Darfur stammen - einer aus drei Provinzen bestehenden ländlichen Region ohne urbane Zentren in der (im Gegensatz zum Südsudan) nicht das Englische, sondern das Arabische Verkehrssprache ist.
Die Afrikaner von der Cap Anamur trugen - bevor sie mit Cap-Anamur-Kleidung versorgt wurden - durchwegs typisch westafrikanische Großstadtmode, sprachen Englisch mit eher westafrikanischem Einschlag und benutzten für nigerianische Migranten typische Namen wie "Adams Moses", die für eine fast ausschließlich muslimische besiedelten Region wie Darfur ausgesprochen unwahrscheinlich sind.
Die sudanesische Botschaft wollte sich gegenüber Telepolis zur Herkunftsfrage alleine aufgrund von Medienberichten nicht äußern, sondern die Migranten persönlich in Augenschein nehmen. Das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge enthielt sich ebenfalls einer Stellungnahme, gab aber Auskunft, dass es in der Vergangenheit "in vielen Fällen" vorkam, dass Nigerianer sich als Angehörige von Bürgerkriegsstaaten ausgaben, von denen bekannt war, dass dorthin nicht abgeschoben wurde - beispielsweise Liberia und Sierra Leone. Deshalb führte man in Zusammenarbeit mit Universitäten eine "Sprach- und Textanalyse" ein, mit der Herkunftsländer ausgeschlossen beziehungsweise festgestellt werden. Letztes Jahr wurden 992 Gutachten für Einzelpersonen erstellt - vor allem für westafrikanisches Englisch, aber auch für Arabisch und andere afrikanische Verkehrssprachen.
Trotzdem könnte ein Nachweis der Herkunft der Migranten im Einzelfall schwierig werden. So sind beispielsweise die Hausa, eine der volkreichsten Ethnien Nigerias, auch in der sudanesischen Krisenregion an der Grenze zum Tschad mit einer halben Million Menschen vertreten. Ebenso verhält es sich mit dem über die gesamte Sahelzone verbreiteten Reitervolk der Fulbe.
Der Darfur-Konflikt begann Anfang 2003 als Rebellengruppen des Justice and Equality Movement (JEM) und der Sudan Liberation Army (SLA) Regierungseinrichtungen überfielen. Ähnlich wie andere Staaten vermied die sudanesische Regierung die Entsendung regulärer Truppen und griff zur neoliberalen Lösung, indem sie eine Privatarmee, die Janjaweed, mit Waffen ausstattete und mit der Bekämpfung der Rebellen beauftragte. Wie in anderen mit Privatarmeen geführten Kriegen ergaben sich auch hier sehr bald ausgesprochen negative Folgen für die Zivilbevölkerung.
Dabei entwickelte der Konflikt sehr schnell einer Eigendynamik die sich aber weniger auf ethnische als auf ökonomische Gegensätze gründet: Die häufig pauschal als "Araber" bezeichneten Angehörigen der Janjaweed rekrutieren sich hauptsächlich aus Hirtenvölkern. Sie zerstörten bevorzugt die Dörfer der um das knappe Wasser konkurrierenden Hirsebauern.