Die Ökonomisierung des Sports
Seite 3: Sport und Körper in der Leistungsgesellschaft
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Nicht nur auf der nationalen und internationalen Ebene findet sich die Verquickung von Elitedenken und Sport. In einer Studierendenzeitschrift zu einem Amateur-Wettbewerb namens "Elite Cup" hieß es beispielsweise:
Frisch poliert [...] stand er auf dem Organisationstisch ganz oben auf der Tribüne: der Pokal, um den sich alles drehte - der Elite-Cup. [...] Die Honors-Studenten schafften mit einem 2:0 Sieg gegen den Elitestudiengang Osteuropastudien den vorletzten Schritt hin zu ihrem klar formulierten Ziel [...] Ein großer Dank geht abschließend an die Sponsoren - Wacker Chemie (Polo-Shirts) und die Techniker Krankenkasse (Platzmiete, Preise für die ersten drei Mannschaften)
Aufstieg, Elite und Wettbewerb sind die maßgeblichen Vokabeln solcher PR-Texte. Sport wird schon auf der untersten Ebene des Amateursports ökonomisch und eliteorientiert vermittelt. Worte wie Spielspaß oder Fairplay kommen weniger vor. Auch wird die Verquickung von Wirtschaft und Sport als normal dargestellt.9
Nach der großen Banken- und Wirtschaftskrise sind die Vokabeln in solchen Artikeln sicherlich etwas milder geworden. Elitäres Denken ist aber auch in den Gesellschaftsschichten jenseits der Eliten weiterhin stark verankert. Viele Eltern bemühen sich darum, ihre Sprösslinge günstig im "Wettbewerb" zu positionieren.
Auf einem lokalen Werbeplakat für eine Kinder-Fußballmannschaft heißt es dann etwa: "Auf dem Weg zur Spitze" oder "leistungsorientiertes Training" für Kinder. Überhaupt werden Kinder schon früh auf die körperliche Leistungserbringung und den Vergleich mit anderen konditioniert; ob nun über Sportvereine, benoteten Sportunterricht in der Schule oder Zwangswettbewerbe wie die Bundesjugendspiele.
Auch Arbeitnehmer gehören zur Zielgruppe von Werbekampagnen, die auf den Körper in der Leistungsgesellschaft abzielen. Das Unternehmen FitnessFirst etwa warb mit:
Wusstest du, dass bereits wenige Stunden Sport in der Woche zu Stressabbau führen und dein Wohlbefinden und deine Leistungsfähigkeit im Arbeitsalltag steigern?
Beim Rückentrainings-Dienstleister KIESER TRAINING hieß es:
Ein starker Körper leistet mehr" und "steigert die körperliche und mentale Leistungsfähigkeit [...] gibt Energie für Studium, Beruf und Sport.
Über Sportdienstleistungen wird die Freizeitgestaltung der Menschen zum Zweck höherer Leistungserbringung im Job instrumentalisiert. Zugleich soll Sport dazu beitragen, die Symptome der Überforderung zu überspielen, die das häufig sinnlose, qualvolle Arbeitsleben im kapitalistischen Normalsystem mit sich bringt.
Auch ganz unerwartete Entwicklungen sind Teil der beschriebenen Gesamtproblematik. So werben etwa Pharmakonzerne bei jungen Frauen dafür, dass sie ihre Regelblutungen dauerhaft unterbinden. Sie sollen mit Chemikalien bzw. künstlich hergestellten Hormonen die Funktion des Körpers "optimieren". Es greift an dieser Stelle eine ökonomische Betrachtungsweise, die besagt, man müsse seinem angeblich unzureichend optimierten Körper auf die Sprünge helfen.
Beim Magazin Spiegel huldigte man in einer Titelgeschichte dieser Mainstream-Ideologie, indem man den "Sieg über die Gene" proklamierte (Spiegel 2010). Dazu passen Menschen, die Selftracking und Lifelogging betreiben. Im spielerisch dargestellten Wettbewerb mit Fitnessarmbändern und bonbonbunten Auswertungsgrafiken, welche durch die zugehörige Software generiert werden, geht es nicht nur darum, selber fitter, sondern auch fitter als die anderen zu werden, was durchaus übliche Motivationsstrategie in Wettbewerbssystemen ist.
Hohe Leistungsanforderungen und Überforderung in Beruf, Bildung und Freizeit führen nachweislich zu Krankheiten. Hierzu zählen auf der rein körperlichen Seite etwa Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder langfristig Krebs. Auf der psychischen Seite sind es vor allem das Burnout-Syndrom, aber auch zahlreiche andere Erkrankungen wie vor allem Depressionen.
Anstatt Entschleunigung zu fördern, wird die Geschwindigkeit in unserer Gesellschaft immer weiter erhöht. Zeitgleich werden künstliche Stimulanzien und eine allgemeine Fortschrittsgläubigkeit über Anzeigen beworben. Im Sog der universellen Wachstumsideologie verschwimmen die Grenzen zwischen materiellen Produktionsfaktoren und lebendigen Menschen zunehmend. Die Steuerung wirtschaftlicher Prozesse wird auf den Sport und das "Managen" des Menschen übertragen.
Dazu kommt, dass sich alle möglichen Arten von Doping im Sport neuerdings auch zunehmend in der Gesellschaft insgesamt ausbreiten. Darauf hat etwa Wolfgang Götz hingewiesen.10 Der Drogenexperte fasste in einem Interview prägnant zusammen, wie die neoliberale Ideologie zum Konsum leistungssteigernder Drogen beiträgt:
Früher waren Rauschgifte gefragt, um der Realität zu entfliehen. Mit dem Aufschwung des Neoliberalismus wurden stimulierende Drogen wie Kokain und Amphetamine attraktiv. [...] Gut möglich, dass in einer kompetitiven Gesellschaft, in der Doping nicht mehr auf den Sport beschränkt bleibt [...] Die legale Seite dieses Trends heißt Energydrinks und andere Fitmacher.
Abschließende Bemerkungen
An der Kommerzialisierung des Fußballs sind einige gesellschaftliche Trends exemplarisch ablesbar. Unverkennbar ist, wie sehr der Fußball ganz im Sinne des alten Roms Teil einer Brot-und-Spiele-Maschinerie ist, welche die negativen Seiten des Wirtschafts- und Gesellschaftssystems überdecken hilft: die Konzentration von Reichtum aufseiten der schmalen Oberschicht und der Sporteliten sowie die anwachsende soziale Ungerechtigkeit.
Zugleich hilft der Fußball, das Bruttoinlandsprodukt zu erhöhen, indem alle ökonomischen Verwertungspotentiale ausgeschöpft werden; ganz gleich, ob das nun im Sinne der Menschen ist, oder nicht.
Immer da, wo Macht und große Mengen Geld in Kombination auftreten, kommt es auch zur Korruption, wie am Weltverband des Fußballs FIFA bestens ablesbar ist. Die FIFA selber ist zudem einer der großen Vorreiter, wenn es um die Ökonomisierung des Fußballs geht, etwa in Bezug auf die vielfach kritisierten restriktiven Markenrechte am Namen "FIFA Fußball-WeltmeisterschaftTM".11
Die Korrumpiertheit passt zum moralischen Anspruch einer gesellschaftlichen Elite, die nur einen Wert anerkennt - nämlich den Wert des Geldes. Und so darf sich niemand wundern über ein elitäres System des Fußballs, das finanziert wird von Sponsoren, die Produkte bewerben, welche der Umwelt (Mercedes-Benz) oder der Gesundheit schaden (McDonald's, Coca-Cola), aber auch die Spielsucht fördern (ODDSET Sportwetten).
Unterhalb der Eliten macht sich zeitgleich ein Wettbewerb zwischen Menschen breit, der die gesellschaftliche Atmosphäre vergiftet. Die Vereinzelung und Auflösung gesellschaftlicher Solidarität wird durch die zunehmend neoliberale "Sozialpolitik" weiter verstärkt, die zum Trend der elitären Umgestaltung der Gesellschaft passt - mit exorbitant hohen Gehältern für die Spitzensportlerinnen und Spitzensportler, für deren dekadenten Reichtum die Gesellschaft zahlt.
Als Überdruckventil für die generelle Unzufriedenheit in den unteren Schichten dienen Gewaltexzesse und Nationalismus, die rund um den Fußball zur beunruhigenden Normalität werden. Der Autor Arno Kleinebeckel nennt dies passend "Eine toxische Gärung, die sich 'Fußballfieber' nennt" (siehe Telepolis: Brot und Spiele in Zeiten des Terrors).
Insgesamt ist zu konstatieren, dass die Prinzipien der Wirtschaft fast vollständig auf einen weiteren Gesellschaftsbereich übertragen worden sind. Das kapitalistisch-neoliberale System macht keinen Halt vor Sport bzw. Fußball. Widerstand gegen den gesellschaftlichen Trend ist kaum erkennbar.
Und so muss befürchtet werden, dass der Fußball dem Zugriff der Zivilgesellschaft zugunsten der Gesetze des Marktes bereits weitgehend entzogen wurde. An die Stelle eines sportlichen Wettbewerbs von Regionen, Städten oder Ländern ist der Wettbewerb einer globalisierten Weltwirtschaft getreten. Damit ist der Fußball nur eine weitere Branche im Wettlauf um Wirtschaftswachstum und ökonomische Dominanz.
Dieser Artikel ist in der Publikation "vorgänge - Zeitschrift für Bürgerrechte und Gesellschaftspolitik" erschienen: vorgänge, 57. Jahrgang August 2018, Heft 3 (223) (Hrsg.: Die Humanistische Union).
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