Die Phantasie der Verschwendung

Seite 2: Unverstelltes Überwältigungskino

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Auf diesem Wüstenplaneten gibt es einen "big market", ein kunterbuntes, sehr trashiges Kaufhaus voller Halbwelt-Vergnügungen, bevölkert von magischen, fliegenden Quallen, windigen Händlern und Turtels mit Maschinengewehren. Kontrolliert wird dies von einem Gangsterboss mit Schwabbelwesenkörper - bei Lucas hieß er "Jabba the Hut".

Schon hier, wenn wir erleben, wie sich Valerian in zwei verschiedenen Dimensionen zugleich befindet, seine Hand in der einen, der restliche Körper in der anderen, und versucht, beides in die Balance zu bringen, gilt, dass dies für den Zuschauer ein Spektakel ohne Verbindlichkeit ist, ohne klare Gesetze, die das Geschehen für uns nachvollziehbar machen würden, die sich für den Betrachter nachvollziehen lassen. Aber das ist wurschtegal - man versteht beim ersten Sehen genug, beim zweiten mehr, der Rest sollte erst einmal einfach hingenommen werden, ohne allzu viel Nachdenken, dann hat man am meisten davon.

Der sehr geschätzte Andreas Kilb hat ausgerechnet "Valerian" in der FAS zum Anlass für eine Generalabrechnung mit dem Science-Fiction-Genre und der von ihm diagnostizierten "Ermüdung der Vorstellungskraft" und der "Angstblüte des Designs" genommen. Das sind prachtvolle Formulierungen. Und die beschriebene Ermüdung kennt jeder, der sich pro Woche einen neuen Sommersuperheldenblockbuster angucken muss, pro Winter ein neues Fantasy-Epos, das in Sequel auf Sequel oft in sich noch zweigeteilt gemolken wird, bis der letzte Nebenhandlungsstrang verbraten ist und keine Phantasie mehr übrig bleibt. Aber was haben Kilbs Gedanken mit diesem Film zu tun?

"Valerian" ist eindeutig die Ausnahme von der Regel. Es klingt gut, stimmt aber ja nicht, dass die Helden "in Sonnenbrille und Shorts wie Touristen durch ihre Geschichte" laufen.

Bild: © EuropaCorp / Valerian SAS / TF1 Films Production

Besson illustriert das Prinzip Utopie, zeigt Spektakel und Manier. Allerdings sind Spektakel und Manier von Besson durchaus ernst gemeint. Sie enthüllen den Abgrund: Ausgerechnet sechs Millionen Pearls wurden bei der Katastrophe des Beginns getötet. Jetzt leben sie unentdeckt "im Schatten Alphas". "Wir sind Überlebende. Aber das macht uns zu Zeugen."

Die Form des Films, das unverstellte Überwältigungskino und der verschwenderische Überfluss ist natürlich Inhalt - nur nicht der, der den Kollegen passt. Es ist eine stilistische Darstellung von Hedonismus und "easy going", dem Pendant zur Easy Listening-Musik des Zeitalters.

In der unendlichen, abwechslungsreichen Bewegung

Die eigentliche Story von "Valerian ..." ist aber der Schauplatz selbst: Regisseur Luc Besson hat ein großes Gespür für die Magie des Unbekannten und dafür, den Zuschauer in einen herrlichen Sog eintauchen zu lassen. Alle paar Minuten begegnet man in der unendlichen, abwechslungsreichen Bewegung dieses Films einer vollkommen neuen Welt, ganz und gar anderen, merkwürdigen, immer faszinierenden Figuren.

Der Gipfel ist "Alpha - City of a 1000 Planets", die Megalopolis dieser Hemisphäre, ein New-York-gleicher kugelrunder Schmelztiegel, auf dem man sich dreidimensional zurechtfindet, und der von Wachstum bei wirtschaftlichen Problemen geprägt ist. Die Menschen "und verwandte Arten" leben natürlich im Westen.

Zur Rassenpolitik des Films gibt es Vorwürfe, die erwartbar sind, angesichts der Filmerfahrung aber bald verpuffen: Ja, einerseits sind es ethno-normative Klischees, denen man begegnet, nicht nur im absurden "Bula-Bathro-Territorium", es gibt whitewashing, andererseits ist es am Ende das Naturvolk, das nicht nur weiser ist, sondern auch klüger. Und friedlicher sowieso.

In der Halbwelt dieser Stadt lebt dann "Bubble", bewacht von Ethan Hawke als schmierigem Zuhälter, und Rihanna tritt in dieser Figur in diversen Fetischismusklischees auf: Mit Melone à la "Cabaret", als Krankenschwester, Schülerin, Indianerin, im Afro-Look mit US-Shirt, als Zimmermädchen, Cat-Woman und Wasserstoff-Blondine. "Ich kann den ganzen Shakespeare", sagt sie und das hören wir besonders gern.

So ist "Valerian" vor allem ein Stationendrama, das visuell nach den Prinzipien der "Ökonomie der Verschwendung" organisiert ist - auch so ein französisches Konzept.