Die "Pille" gegen Aids?

Dubiose Tests sollen Entwicklung einer Aids-Prophylaxe möglich machen

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Sex ohne Kondom – in Zeiten von Aids soll das bald wieder gefahrlos möglich sein. Jedenfalls will uns das der US-amerikanische Pharmakonzern Gilead glauben machen, der derzeit in verschiedenen Ländern der Welt die Erprobung einer Aids-Prophylaxe vorantreibt, die die Verbreitung des HI-Virus im Körper verhindern soll.

Tenofovir (Markenname Viread) heißt das Wundermittel, es ist bereits Bestandteil der gängigen medikamentösen Aids-Therapien. Ein paar Pillen vor dem beabsichtigten Abenteuer oder auch eine Pille pro Tag – etwa für berufsmäßig gefährdete Sexarbeiter(innen) – und das Virus hat keine Chance mehr auf Weiterverbreitung. So in etwa soll die Prophylaxe nach den Vorstellungen der Pharmazeuten von Gilead funktionieren.

Ärgerlich nur, dass der Erprobungslauf nicht so recht klappen will: Nach vorzeitig eingestellten Studien in Kambodscha und Nigeria sind nun auch in Kamerun die klinischen Studien zur Wirksamkeit von Tenofovir abgebrochen worden. Die Regierung Kameruns erklärte, dass sie die Erlaubnis für die Durchführung klinischer Studien im Land zurücknehme, da die Verantwortlichen den Probanden nicht hatten zusichern wollen, dass sie im Falle einer HIV-Infektion eine lebenslange Behandlung mit antiretroviralen Medikamenten erhalten würden. Der in den USA beheimatete Wohlfahrtsverband Familiy Health International (FHI) erklärte daraufhin, dass ein neuer Anlauf für die Tests in Malawi und Südafrika geplant sei - mit finanzieller Unterstützung der Bill und Melinda Gates-Stiftung.

Auch in allen anderen der gescheiterten Tenofovir-Testreihen war der Hauptkritikpunkt der Betroffenen gewesen, dass den Probanden keine lebenslange Aids-Therapie zugesichert worden war. Family Health International – wegen des (angeblich) menschenfreundlichen Anliegens hatte Gilead die Durchführung der Testphase an einen international arbeitenden Wohltätigkeitsverband abgeben können – hatte zunächst argumentiert, dass die Zusicherung einer kostenlosen Aids-Behandlung in Ländern, in denen eine Aids-Therapie nur für die reiche Oberschicht bezahlbar sei, einen allzu großen Anreiz biete, allein deshalb an den Studien teilzunehmen. Dies widerspreche den WHO-Richtlinien für die Durchführung klinischer Studien: Die besagen unter anderem, dass Probanden von medizinischen Testreihen kein zusätzlicher Anreiz für die Teilnahme angeboten werden dürfe. Später hatte FHI diese Argumentation zurückgenommen und eine zeitweise Übernahme der Behandlungskosten zugesagt – doch auch dieser Kompromiss wurde von den Interessenverbänden der an den Versuchsreihen beteiligten Sexarbeiterinnen zurückgewiesen.

Seine Organisation habe leider schon des Öfteren feststellen müssen, dass ethische Grundsätze nur eine geringe Rolle spielen, wenn Pharma-Multis in Ländern des Südens klinische Studien durchführen lassen, sagt Christian Wagner, Mitarbeiter der BUKO-Pharma-Kampagne So würden die Beteiligten oft nicht ausreichend über die Risiken der Tests informiert, und auch die von der Weltgesundheitsorganisation für unabdingbar erklärte Garantie, dass alle Krankheiten, die im Zusammenhang mit den Studien auftreten, medizinisch optimal behandelt werden, werde nicht immer eingehalten. Wenn nun im Zuge der Anstrengungen zur Entwicklung eines HIV-Impfstoffes – oder auch einer Aids-Prophylaxe wie im Falle Tenofovir – klinische Versuche in Entwicklungsländern durchgeführt werden, gebe es eigentlich nur eine Lösung, um sowohl dem Vorwurf zu entgehen, den Probanden eine angemessene medizinische Betreuung schuldig zu bleiben, wie auch um den Vorwurf zu vermeiden, den Probanden zusätzliche Anreize in Aussicht zu stellen: Eine lebenslange kostenlose antiretrovirale Behandlung müsse nicht nur für die Probanden selbst, sondern für das gesamte Umfeld sicher gestellt werden.

Wenn es nun Gilead, Family Health International und der Gates-Stiftung in Südafrika und Malawi allen Widrigkeiten zum Trotz dennoch gelingen sollte, zufrieden stellende Testreihen durchzuführen und Tenofovir sich dabei tatsächlich als Aids-Prophylaxe geeignet erweisen würde, so stellt sich dennoch eine weitere Frage: Wäre denn auch sein Einsatz sinnvoll? – "Den besten Schutz vor einer HIV-Infektion bietet noch immer ein Kondom – und im Falle von Drogenkonsumenten die Versorgung mit sauberen Spritzen", sagt Christian Wagner und fragt: Warum sollten diese Schutzmaßnahmen durch ein Medikament ersetzt werden? Damit Prostituierte wie Freier dazu ermutigt werden, doch auf ein Kondom zu verzichten? Oder damit Regierungen darauf verzichten können, Nadel-Austausch-Programme für Drogen-Abhängige einzuführen?

Wahrscheinlich werden sich jedenfalls weder die Sexarbeiterinnen Afrikas noch die Drogenabhängigen in Asien und Osteuropa die Prophylaxe überhaupt jemals leisten können. Der Verdacht drängt sich deshalb auf, dass es auch im Falle Tenofovirs nur um einen weiteren Versuch geht, ein neues Medikament für den Markt des Nordens (sowie für die Eliten des Südens) zu entwickeln. Erprobt aber wird es an jenen, die sich – vermeintlich – am wenigsten wehren können: an Prostituierten und Drogenabhängigen.