Die Privatisierung der GBW
Ein bayerisch-europäischer Immobilienkrimi
Um marktwirtschaftliche Gemeinheiten und Privatisierungen durchsetzen zu können, müssen Interessen aus Brüssel und aus der Provinz zusammenkommen. Und am Ende will's dann keiner gewesen sein. Ein Immobilienkrimi aus dem weiß-blauen Freistaat.
Ausgangspunkt: bezahlbare Wohnungen in ganz Bayern
Bis 2013 konnten "sozial Schwächere" mitten in München einigermaßen schön und günstig wohnen, z.B. für knapp 10 € pro Quadratmeter kalt in Schwabing-West. Gebaut und betrieben wurden die Sozialwohnungen von der GBW, der Gemeinnützigen Bayerischen Wohnungsgesellschaft. In ihrem Bestand sind knapp 33.000 landeseigene Wohnungen für 85.000 Mieter.
Die GBW hatte sich am Wiederaufbau zerbombter Städte in den Großräumen München und Nürnberg/Erlangen und in 20 bayrischen Städten und am Bau von 48.000 Sozialwohnungen, die der Münchner Stadtrat 1960 beschlossen hatte, beteiligt.
Die größte deutsche Wohnungsprivatisierung
Schon 2012 hatte die BayernLB-Tochter Deutsche Kreditbank (DKB) ihre DKB Immobilien AG mit 25.000 Wohnungen für knapp eine Milliarde Euro an den Hamburger Investor TAG Immobilien AG verkauft. Und am 08. April 2013 verkaufte die Konzernmutter BayernLB, die ab 2008 nach Fehlspekulationen vor der Pleite stand, ihre GBW an private Investoren. Der Freistaat Bayern unter Ministerpräsident Seehofer und Finanzminister Söder hatten den größten Immobiliendeal Deutschlands in einem einzigen Streich durchgeführt.
Ein vom Augsburger Immobilienunternehmen "Patrizia Alternative Investments" geführtes Investorenkonsortium bekam den Zuschlag und kaufte die Aktienmehrheit an der GBW AG für 2,453 Milliarden Euro. "Die Entscheidung für die PATRIZIA erfolgte im Rahmen eines mit der EU-Kommission abgestimmten transparenten und diskriminierungsfreien Verkaufsverfahrens mit Zuschlag an das wirtschaftlich attraktivste Angebot."
"Diskriminierungsfrei" bedeutet: Das höchste Gebot erhält den Zuschlag, und die Ausschreibung muss europaweit erfolgen.
Und wer am meisten zahlt, will auch am meisten rausbekommen: "Die Patrizia schöpft den gesetzliche Rahmen gnadenlos aus." Mit ihrer "Raketenfinanzierung … geht es niedrig los, aber dann schießt die Miete in die Höhe!" 1
Konsequenzen für die Mieter
Betroffen von der Zockerei mit der GBW sind die Mieter in den 8080 GBW-Wohnungen in der Stadt München, in 2593 Wohnungen in München-Umland, 2984 in Nürnberg, 2242 in Erlangen, 1437 in Regensburg, 1299 in Landshut sowie in Wohnungen in 14 anderen bayerischen Städten. Das Immobilienunternehmen Patrizia begann schnell, Neubauten in die Anlagen, zwischen die Häuser und mitten in den Hof zu setzen. Es modernisiert den Altbestand und erhöht so die Mieten weit über den Mietspiegel. Mieterhöhungen seien "erforderlich, um Investitionen in Modernisierungen und Sanierungen unserer Wohnanlagen durchführen zu können". - "Heißt: Die geringverdienenden Mieter in den Sozialwohnungen bezahlen die Modernisierungen von Wohnungen anderer Mieter, die sich dann ihre neue Miete auch nicht mehr leisten können."2
Die Mieterhöhungen betrugen jeweils plus fünf Prozent in den ersten drei Jahren, danach plus drei Prozent plus Inflationsausgleich - und das, obwohl die Investoren damals Steuergelder bekamen, damit sie Sozialwohnungen bauen. Doch: "Mieterhöhungen sind ein selbstverständlicher und notwendiger Teil unseres Wirtschaftens", erklärt die Patrizia/GBW 2017. Nach dem Verkauf "sind GBW-Mieter sogar bevorzugt", hatte der jetzt zum Ministerpräsidenten ernannte Markus Söder im April 2013 versprochen oder geschwindelt, denn "die Patrizia ist ein seriöses bayerisches Unternehmen".
Mittlerweile hat die GBW ihr soziales Gewissen entdeckt: "Da sich die GBW-Gruppe ihres sozialen Auftrags bewusst ist, sichern wir unseren Mietern eine freiwillige Kappung der Mieterhöhungen bei 99 Euro zu. Davon haben insbesondere Familien in größeren Wohnungen profitiert." "Profitiert" haben also ehemalige Sozialmieter, von denen nun die Patrizia/GBW 99 * 12 = 1188 Euro an Mieterhöhungen für ein Jahr einklagt.
Um zumindest einige Mieter zu schützen, hat die Stadt München laut OB Dieter Reiter (SPD) bis 2016 "für einen mittleren dreistelligen Millionenbetrag" GBW-Wohnungen zurückgekauft - Geld, das für den Wohnungsbau fehlt.
Doch die Mieten werden in München für Geringverdiener teurer. Der Sozialausschuss der Stadt hatte am 11. Mai 2017 die festen Preisobergrenzen für die gut 27.000 Wohnungen mit ausgelaufener Sozialbindung abgeschafft. Begründung: "den Sanierungsstau auflösen" und "die Preise stadtweit gerechter gestalten".
"Die Mieter müssen nun die verfehlte Wohnungspolitik und die von der bayerischen CSU-Regierung geförderten Spekulations-Kapriolen ausbaden. Und die Folgen der Schuldenkrise mit Niedrigzinsen noch dazu" (ISW), die die Kapitalanleger ganz wild machen. "Der Verräter bayerischer Mieter sitzt nicht in der EU-Kommission", so die SZ, sondern in der CSU-Staatskanzlei."
Warum verkaufte der Freistaat seine Gemeinnützige Wohnungsgesellschaft an Spekulanten?
"Auslöser für den Verkauf 2013 war die Schieflage der halbstaatlichen Landesbank. Die EU erklärte zur Auflage, die Bank müsse nach ihrer Fast-Pleite um fast die Hälfte schrumpfen. Unter anderem musste sie alle Geschäftsbereiche verkaufen, die nicht zu den Kernaufgaben einer Bank gehören - darunter die GBW-Wohnungen. Schon damals entbrannte ein Streit, ob der Freistaat selbst hätte zugreifen können."3"Der Freistaat hätte für die GBW-Wohnungen mitbieten können", war der Titel eines SZ-Artikels vom 18. Juli 2018 - warum tat er es nicht und kaufte der BayernLB die GBW nicht ab?
"Weil wir nicht durften", sagt die CSU damals wie heute. "Der Verkauf der GBW-Anteile durch die BayernLB war unausweichlich. Die EU hat die BayernLB faktisch gezwungen, die Anteile zu verkaufen", behauptete der Vorsitzende des am 26. April 2018 eingesetzten GBW-Untersuchungsausschusses und stellv. CSU-Fraktionsvorsitzende, Alexander König. "Die EU hat der BayernLB faktisch verboten, die GBW dem Freistaat zu übertragen oder zu verkaufen", so der CSU-Landtagsabgeordnete Ernst Weidenbusch.
"Die LBBW hatte nämlich in Stuttgart ihre Wohnungsbaugesellschaft in einem Bieterverfahren mit guten Ergebnissen verkauft, und dadurch sagte Herr Lienemeyer von der EU-Kommission: Wenn das in Stuttgart geht, dann muss das bei euch in München ja auch machbar sein", erklärte der SPD-Vertreter im Untersuchungsausschuss Volkmar Halbleib.
Preisfrage: Hat die EU wirklich dem Freistaat Bayern verboten, die "Gemeinnützige Bayerische Wohnungsgesellschaft" selbst zu kaufen, und angeordnet, sie an Immobilienspekulanten zu versteigern?
Nein. Die amtierende EU-Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager versicherte gegenüber dem GBW-Untersuchungsausschuss schriftlich, dass "der Verkauf der Wohnungsgesellschaft GBW auf Wunsch der BayernLB erfolgte und der Freistaat Bayern die Wohnungsgesellschaft GBW aus dem Besitz der Bayerischen Landesbank hätte kaufen können".
Aber "Söder wollte die Wohnungen unter keinen Umständen in öffentlicher Hand behalten, wie er es heute vorgibt", sagte SPD-Fraktionschef Markus Rinderspacher in der Haushaltsdebatte im Bayerischen Landtag am 7. Juni 2018. "Söder hatte überhaupt kein Interesse, die GBW zu kaufen und verschanzt sich hinter dem angeblichen Verbot der EU", erklärte die SPD im laufenden GBW-Untersuchungsausschuss und gibt so den Schwarzen Peter zurück an die CSU-Landesregierung (und der CSU-Koalitionspartner FDP begeisterte sich sowieso für Privatisierungen).
Die Rolle der EU
Der EU ging es bei diesem Immobiliendeal nicht um die betroffenen Mieter, sondern um Höheres. Es geht ihr um die "europäische Idee": "Aus Brüsseler Sicht", so die SZ, "ging es um den europäischen Binnenmarkt, um den Kern der europäischen Idee: Die einzelnen EU-Staaten dürfen ihre eigenen Unternehmen nicht bevorzugen - alle Wettbewerber sollen im geeinten Europa exakt dieselben Chancen haben." Die Weisheit der Märkte müsse alle Preise bestimmen.
Zuständig, diese Privatisierungsideologie durchzusetzen, war 2013 Joaquín Almunia: 2004 bis 2010 EU-Wirtschafts- und Währungskommissar, 2010 bis 2014 EU-Wettbewerbskommissar und Vizepräsident der EU-Kommission. Almunia ist Sozialist, war 2000 Spitzenkandidat der PSOE bei den spanischen Parlamentswahlen.
Aber Seehofer & Söder hatten ihren Spielraum. Almunia sagte ihnen am 15. April 2013 in Brüssel: Nur, wenn die öffentliche Hand erfolgreich für die GBW biete, müsse die EU-Kommission auf den Preis schauen. Denn man könne den "Verdacht" haben, dass "ein öffentlicher Bieter nicht marktgerechte Preise zahle". Zu einem "Verkauf der GBW-Anteile ... hat die Kommission lediglich darauf hingewiesen, dass der Verkauf nicht zu neuen Beihilfen führen darf, dass es kein "überhöhtes Angebot seitens der öffentlichen Hand geben dürfe", schrieb Almunia an Ministerpräsident Horst Seehofer, Eingangsstempel 13. Dezember 2013.
"Der Freistaat hätte für die GBW-Wohnungen mitbieten können", so die SZ. Wollte er in seiner Marktradikalität aber nicht.
Die unersättliche Gier der Heuschrecken nach Rendite
"Der Augsburger Wohnungsbaukonzern hatte seinerzeit die Federführung beim Kauf der Gemeinnützigen Bayerischen Wohnungsgesellschaft (GBW) für ein Konsortium von 27 Investoren, die die GBW von der Bayern LB erwarben. Die Identität dieser Investoren ist bis heute unbekannt, da sie die GBW über Beteiligungsgesellschaften in Luxemburg halten", berichtete die tagesschau.
Die Augsburger Patrizia fungiert als Kapitalsammelstelle, sie zahlte lediglich 2,36 Prozent des Betrags selbst, die restliche Summe kam von einem Konsortium von 27 Investoren. Diese sind überwiegend im europäischen Steuerparadies Luxemburg und in den Niederlanden angesiedelt. Im Zentrum steht ein geschlossener Immobilienfonds, der den Investoren Anonymität garantiert. Es soll sich um "Versicherungen, drei süddeutsche Sparkassen, Pensionskassen sowie berufsständische Versorgungswerke von Apothekern, Ärzten und Rechtsanwälten" handeln. Und die wollen bei dem Immobilien-Deal Höchstrenditen herausschlagen."
Dieses Konstrukt zur "aggressiven Steueroptimierung" ermöglicht, "Gewinne, die man in Deutschland erwirtschaftet, praktisch unversteuert erst einmal nach Luxemburg zu bringen. Erst wenn es aus Luxemburg dann ausbezahlt wird, dann wird es auf der Ebene der Investoren besteuert." Durch nicht gezahlte Grunderwerbssteuer (3,5 Prozent von 2,453 Milliarden Euro wären 86 Millionen Euro) plus Körperschaftsteuer plus Gewerbeertragsteuer könnte dem Freistaat, sagt Johannes Voget, BWL-Professor und Steuerexperte an der Uni Mannheim, eine dreistellige Millionensumme entgangen sein.
Geldwäsche und politische Einflussnahme?
Es gab, wie die SZ schreibt "mehrere Geldwäsche-Verdachtsanzeigen, ... dass Geschäftspartner der PATRIZIA AG im Rahmen von Immobiliengeschäften illegales Geld aus Russland waschen könnten."
Fanden politische Einflussnahmen statt, um den bayrischen Immobiliendeal nicht zu gefährden? "Die Staatsanwaltschaft München ...stellte das Verfahren nach kurzer Zeit und ohne nennenswerte Ermittlungstätigkeiten ein. Die Opposition im bayerischen Landtag vermutet politische Einflussnahme auf das Ermittlungsverfahren... Das bayerische Finanzministerium hingegen bestreitet einen Zusammenhang zwischen den eingestellten Geldwäscheermittlungen und dem Verkauf der GBW [und behauptet:] Weder das Finanzministerium noch das bayerische Justizministerium hätten von den Ermittlungen gewusst."