Die "Reichsuniversität Straßburg"
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Während die Professoren mit ihren Familien an den Wochenende ausgedehnte Ausflüge ins "deutsche Elsass" unternehmen und dort behaglich den elsässischen Gewürztraminer verköstigen, führt der Autonom August Hirt im nahe gelegenen KZ Struthof seine "wehrwissenschaftlichen Forschungen" mit Senfgas durch, assistiert von Otto Bickenbach.
Allein bei den Senfgas-Versuchen sterben 150 Versuchspersonen, mindestens 50 davon an inneren Verbrennungen. Auch der Virologe Eugen Haagen unternimmt hier seine Fleckfieberversuche an Menschen.
Eigens für August Hirts lang geplante "Jüdische Schädelsammlung" wird auf dem Gelände des KZ eine Gaskammer eingerichtet. "Nur von den Juden stehen der Wissenschaft so wenig Schädel zur Verfügung, dass ihre Bearbeitung keine gesicherten Ergebnisse zulässt", hat Hirt schon am 9. Februar 1942 an den Geschäftsführer des deutschen Ahnenerbes Wolfram Sievers geschrieben. Man müsse die "Gelegenheit nutzen" und jüdische Schädel vermessen und untersuchen.
Anfang August 1943 kommen 86 Häftlinge aus Auschwitz in Struthof an. Ausgesucht hatte sie dort der Anthropologe Bruno Beger, ein Mitarbeiter des Ahnenerbe. Zwischen dem 11. und 19. August werden 29 Frauen und 57 Männer in der Gaskammer mit Blausäuresalz vergiftet. Noch warm werden die Leichen in einem Lastwagen in die Anatomie der Reichsuniversität transportiert. Dort verwahrt man sie im Keller. Hirt wird sein Vorhaben nicht mehr umsetzen.
Das Institut des berüchtigten Anatomen liegt auf dem Gelände der Medizinischen Instituts und nur einen Steinwurf entfernt von der Abteilung meines Großvaters. Er war es, der ihn an seine Fakultät berufen hat, die Familien Hirt und Stein sind in Straßburg gut befreundet. In ihren Erinnerungen schreibt meine Großmutter vom "Familienfreund Hirt".
Was hat mein Großvater von den Menschenversuchen, die die Ärzte seiner Fakultät unternahmen, gewusst, von den Ermordungen? Auf diese Frage sucht unsere Familie bis heute eine schlüssige Antwort.
Ein Dokument vom 7.03.1943 belegt , dass er auf einer Sitzung des Ahnenerbes in Straßburg anwesend war, in der Hirt gemeinsam mit Bickenbach die Phosgen-Experimente vorstellte, doch mit der "Abteilung H" hatte Hirt sein eigenes Institut, das unmittelbar dem Ahnenerbe unterstellt war und nicht meinem Großvater. Von den ermordeten Juden wird mein Großvater also möglicherweise nichts gewusst haben. Doch andere Verbrechen waren ihm sicher bekannt.
Als die Alliierten im August 1943 Straßburg bombardierten, verließ meine Großmutter mit den Kindern die Stadt. Mein Großvater hielt die Stellung im Spital - als guter Arzt lässt man seine Patienten nicht im Stich. Und bis zum bitteren Ende hat er an den Endsieg geglaubt.
Nachdem im Jahr 2015 Humanpräparate von jüdischen KZ-Opfern in einer medizinischen Sammlung der "Universitè de Strasbourg" gefunden wurden, hat die Universität eine unabhängige Historiker-Kommission beauftragt, die Geschichte der Medizinischen Fakultät an der "Reichsuniversität" neu zu untersuchen. Vielleicht bringen weitere Funde endlich Gewissheit über die unselige Rolle des Dekans Johannes Stein, über meinen Großvater. Vielleicht auch nicht.
Kirsten Esch ist Filmemacherin und Autorin des Dokumentarfilms: Forschung und Verbrechen. Der Film ist bis 5. September in der ARD-Mediathek verfügbar