Die Rückkehr der Rechts-Links-Polarität – und ihre Erweiterung

Seite 2: Žižek und das Achsenmodell

Zwar wird in der Tat die simplifizierende Rede von rechts und links vielen Komplexitäten der Gegenwart nicht mehr gerecht, doch käme ein labyrinthischer Multi-Perspektivismus à la Nassehi oder gar eine Komplettaufgabe der Rechts-links-Polarität einer Entpolitisierung gleich. Hierauf haben vor allem Theoretiker*innen aus dem neomarxistischen Spektrum wie Chantal Mouffe13 oder Slavoj Žižek hingewiesen.

Man muss das jüngere linksreaktionäre Feminismus-, LGBTI- und Political-Correctness-Bashing des Letzteren nicht teilen, um seinen bemerkenswerten Aufsatz "Die populistische Versuchung" (2017) zu goutieren, in dem die tradierte Polarität von rechts und links insofern aktualisiert wird, als Žižek sie durch die kreuzförmige Kombination zweier Achsen ersetzt: die Achse "Universalität versus patriotische Zugehörigkeit" sowie die Achse "Kapitalismus versus linker Antikapitalismus".14

Im Anschluss daran hat der Verfasser den Vorschlag des slowenischen Philosophen in ein politisches Positionen-Diagramm überführt, sodass sowohl die Linke als auch die Rechte jeweils in zwei Aggregatzustanden erscheinen: einmal in einer international orientierten und einmal in einer nationalistischen.

In ein solches Positionenmodell können die gängisten Politikoptionen der Gegenwart und jüngeren Vergangenheit eingetragen werden: auf der linken Seite etwa die universalistische Linke ebenso wie die globalisierungsfeindliche, patriotische, anti-kosmopolitische und manchmal auch latent oder offen antisemitische Linke; auf der rechten Seite den multikulturellen Kapitalismus sowie den patriotisch-völkisch-antisemitischen Antikapitalismus.

Einen Bedeutungszuwachs diagnostiziert Žižek mit Blick auf Donald Trumps Kombination von Neoliberalismus und anti-neoliberaler "America-First"-Politik vor allem auf der Achse der "doppelten Rechten" - und zieht den Schluss, "dass der globale Kapitalismus mit partikularen und kulturellen Identitäten bestens koexistierten kann".15

Erklärung für neue Allianzen

Nur mit knapper Not konnte bekanntlich der demokratische (Links-)Liberalismus amerikanischer Prägung eine zweite Amtszeit Trumps verhindern Žižeks verdienstreiches Kreuzachsen-Denken lässt sich auch erweitern, um viele vermeintlich überraschende politische Koalitionen der letzten Jahre und Jahrzehnte zu verstehen, so die Kombination aus universalistischer Linker und multikulturellem Kapitalismus, die Nancy Fraser einmal als "Progressiven Liberalismus"16 (paradigmatisch repräsentiert etwa in der Symbiose von neoliberalen Finanzeliten und einer "kritischen" Kunstwelt) bezeichnet hat.

So auch die Kombination aus nationalistischer bzw. antisemitischer Linker und nationalistischer Rechter, die gemeinhin als "Querfront" bezeichnet wird - und die in den letzten Monaten vor allem im Kontext der zusätzlich noch von Esoteriker*innen Impfgegner*innen befeuerten Anti-Corona-Proteste sich zu einer signifikanten Gefahr westlicher Demokratien entwickelt hat [Abb.].

Prof. Dr. phil. Stephan Trüby (*1970) ist Professor für Architekturtheorie und Direktor des Instituts für Grundlagen moderner Architektur und Entwerfen (IGmA) der Universität Stuttgart. Zuvor war er Professor für Temporäre Architektur an der HfG Karlsruhe (2007-09), leitete das Postgraduiertenprogramm MAS Scenography/Spatial Design an der Zürcher Hochschule der Künste (2009-2014), lehrte Architekturtheorie an der Harvard University (2012-2014) und war Professor für Architektur und Kulturtheorie an der TU München (2014-2018). Zu seinen wichtigsten Büchern gehören Exit-Architektur. Design zwischen Krieg und Frieden (2008), The World of Madelon Vriesendorp (2008, mit Shumon Basar), Germania, Venezia. Die deutschen Beitrage zur Architekturbiennale Venedig seit 1991 - Eine Oral History (2016, mit Verena Hartbaum), Absolute Architekturbeginner: Schriften 2004-2014 (2017), Die Geschichte des Korridors (2018) und Rechte Räume. Politische Essays und Gespräche (2020).

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