Die Sache mit der Menschenwürde und dem Wert des Lebens
Seite 2: Menschenwürde als regulatives normatives Prinzip
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Aber auch der Schutz der besonders Schwachen und Älteren unserer Gesellschaft gehört zu unserer geteilten Lebensform. Dennoch muss das stets in einem gesellschaftlich tragbaren Maße geschehen. Schäuble hat in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen, dass die gesellschaftliche Verantwortung zur Risikominimierung nicht überstrapaziert werden dürfe. Und dies eben genau, weil es unserer lebensweltlichen Praxis widerspricht.
Was bleibt nun von der Menschenwürde übrig? Diese Analyse deutet darauf hin, dass das Prinzip der Menschdenwürde kein sakral-kategorisches Prinzip sein kann, dessen Geltung absolut wäre. Vielmehr kann es sich bei der Menschenwürde nur um ein regulatives normatives Prinzip handeln, das anzustreben und sein Handeln daran zu bemessen, durchaus erstrebenswert ist.
Dies kann aber niemals um jeden erdenklichen Preis geschehen, auch nicht zum Zwecke des Lebens- und Gesundheitsschutzes, die dieser Tage den Anspruch auf Absolutheit erheben. Nun könnte man kritisch einwenden, dass eine solche lebensweltliche Fundierung des Normativen ja nichts anderes sei, als ein auf pragmatisch-säkularem Konsens beruhender Humanismus, der zwar in guten Zeiten durchaus tragen mag, aber in Krisenzeiten mit Argumenten derselben Ebene ins Wanken gebracht werden kann.
Dieser Einwand ist ernst zu nehmen. Doch diese Polemik übersieht, dass auch der säkulare Humanismus bereits Theorie ist und gleich wie ein metaphysisch-ethisch begründeter Humanismus durch die vortheoretische lebensweltlich Praxis gerechtfertigt ist. Denn das Sich-Beziehen auf metaphysisch-spirituelle Quellen bei der Begründung der Ethik, ist in unserer kulturellen sozialen Praxis ebenso verankert, wie das Staunen über "Übernatürliches" oder das Verehren einer Gottheit. Insofern verhält sich der theoriefreie Raum der Lebenswelt gegenüber einem säkularen Humanismus ebenso neutral, wie gegenüber eines metaphysisch begründeten Wertesystems.
Auf die Ebene der Lebenswelt kann immer zurückgegriffen werden und notfalls dürfen wir uns auf unsere Vernunft verlassen, wie es Kant übrigens auch tut. Die fundierende Kraft der Lebenswelt wird auch in Krisenzeiten oder Zeiten des Aufruhrs nicht brechen. Denn dann müssten wir die basale Struktur unserer sozialen Praxis von Grund auf dekonstruieren und unsere Praxis schlicht eine andere sein lassen, als sie in Wirklichkeit ist. Sollte sich unsere lebensweltliche Praxis tatsächlich aus irgendeinem Grund zugunsten des "moralischen Übels" verschieben, dann wird uns ein göttliches Gebot auch nicht retten, wie die Geschichte zeigt.
Wenn man nun nach dem Grund für die Kontroverse um Menschenwürde und Lebensschutz in der gegenwärtigen Krise sucht, wird allerdings schnell klar, dass es in Wirklichkeit um die Angst vor dem Tod und das Nicht-Akzeptieren-Wollen der eigenen Endlichkeit geht. Insofern ist es nicht unfair zu behaupten, dass diese Krise letztendlich zur wichtigen Einsicht führen sollte, dass wir lernen müssen, über den Tod zu sprechen.
Valentin Widmann hat Geschichte und Philosophie an der Universität Wien und Innsbruck studiert. Daneben studierte er an der Karl-Franzens-Universität in Graz "Political, Economic and Legal Philosophy (PELP)". Seine Abschlussarbeit "Die Aktualität des aristotelischen Seelenbegriffes für die moderne Körper-Geist-Debatte" verfasste er im Bereich der analytischen Philosophie des Geistes und der normativen Ethik. Drei Jahre unterrichtete er in den Fächern Geschichte und Philosophie am Humanistischen Gymnasium "Walther von der Vogelweide" in Bozen. Nun arbeitet er an Forschungsprojekten zur Humanismus-Transhumanismus-Debatte und zur Thematik "Künstliche Intelligenz und Ethik". Daneben publiziert er verschiedenste Beiträge zu gesellschaftspolitischen und ethischen Themen. Mail: valentinwidmann@hotmail.de
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