Die Sprache der "besorgten Bürger"
- Die Sprache der "besorgten Bürger"
- "Fakten" sind ohnehin nur interessant, wenn sie ins Weltbild passen
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Tobias Prüwer über das im Besorgtensprech enthaltene Gewaltpotenzial
Im Ventil Verlag erscheint im Dezember ein "Wörterbuch des besorgten Bürgers", dazu gibt es auch den Blog Sprachlos. Die Sprache dieser besorgten Bürger ist ambivalent, was sich in einem speziellen Sprachverständnis des besorgten Bürgers zeigt. Es werden eigene Wörter geprägt oder bestehende Wörter umgedeutet. Das ist ziemlich alltäglich, wenn man eine lebendige Sprache beobachtet. Der Inhalt jedoch macht klar: Hinter den Wörtern steckt eine intolerante Sicht gegenüber Fremden.
Zunächst ist es noch eine abstrakte Furcht. Wenig später werden die Feinde identifiziert. Die Wörter beschwören einen Notstand. Durch die häufige Verwendung in den sozialen Medien und in Hashtags tendieren die Wörter zu Schlagbegriffen. Die Insider-Gruppe wie auch die Außenwelt sollen sofort erkennen, um was es geht. Manche der Wörter wirken harmlos, doch unter der Oberfläche stößt man auf gefährliches Unterholz.
Tobias Prüwer, einer der vier Herausgeber, geht im Interview auf die Besonderheiten des Bürgerwortschatzes ein. Prüwer studierte Philosophie und Geschichte in Leipzig und Aberdeen. Seit 2009 ist er Theaterredakteur beim kreuzer Magazin.
Das "Wörterbuch des besorgten Bürgers" führt den Wortschatz der besorgten Bürger auf. Was kann man sich unter einem "besorgten Bürger" vorstellen?
Tobias Prüwer: Der Begriff "besorgte Bürger" ist selbstredend doppelbödig. Es ist die - zumindest - anfängliche Selbstcharakterisierung jener Menschen, die bei Pegida demonstrieren oder AfD wählen à la: Wir sind nicht rechts, wir sind besorgte Bürger. Die Medien griffen das beschönigende Etikett auf, bis sie differenzierter berichteten. Kurzum: Der Begriff ist ein Behelfsbehälter für all jene Positionen und Aussagen, die seit einigen Jahren mit Autoren wie Thilo Sarrazin und Akif Pirinçci, Pegida und AfD salonfähig wurden, aber auch woanders herumspuken, etwa wenn Wolfgang Schäuble entmenschlichend von "Flüchtlingslawine" spricht.
Aus den Wörtern könnte man eine Grafik erstellen, welche Wörter die Welt der besorgten Bürger abgrenzen und welche Wörter im Kern des Weltbilds stehen. Welche wären das?
Tobias Prüwer: So klar abgrenzen lässt sich Sprache nicht. Bei Begriffen wie "Etablierte" kommt es etwa darauf an, wer sie verwendet. Man kann damit Parteien meinen, die schon lang im politischen Geschäft sind im Gegensatz zu neueren wie den Piraten oder der AfD. Die Besorgten meinen mit "etablierten Parteien" aber alle anderen, weil sie der Vorstellung nach als korrupte "Systemlinge" Wahrheiten unterdrücken, "Minderheitenterror" fördern und Deutschland abschaffen.
Zentral aber ist die Idee einer abstammungsgebundenen - qua Blut - Volksgemeinschaft, der das Individuum untergeordnet ist. Davon leiten sich viele Vorstellungen wie die "BRD GmbH" und der "Merkelfaschismus" oder von der Bundesregierung gesteuerte Antifa-Gruppen ab.
"Wörterbücher über politische Sprache können nie neutral sein"
Die Wörter tauchen häufig im Internet bei Kommentaren auf. Sind sie also auch Troll-Sprache?
Tobias Prüwer: Sie sind auf jeden Fall als Teil der Besorgtenkommunikation auch massiv in Kommentaren zu finden. Sie dienen der Selbstvergewisserung ("Danke, Merkel!", "Klartext reden") und/oder der Herabwürdigung aller anderen Positionen ("Schreikinder", "Lügenpresse", "Rapefugees"), die als monolithisch "volksschädlich" wahrgenommen werden. Strategien wie digitales Niederschreien durch massives Kommentieren, verkürzte Cui-bono?-Argumentation, Whataboutism und Zensurbehauptungen gehören auch hier zum Standartrepertoire.
Die Wörterbuch-Einträge sind kritische Kommentare zu dem Glossar. In einem regulären Wörterbuch würden die verschiedenen Kontexte und Bedeutungsvarianten neutral erklärt werden.
Tobias Prüwer: Wörterbücher über politische Sprache können nie neutral sein, weil sich keine Perspektive einer Positionierung, und sei sie nur unterschwellig, entziehen kann. Aber ja, unsere kritische Herangehensweise ist gezielt gewählt. Wir wollten nicht nur beschreiben, wo Vorstellungen wie "Volkstod" herkommen, sondern auch, dass dieser lediglich eingebildet ist. Oder dass bei "linksversifft" auch eine Reinheits- und damit Säuberungsfantasie handlungsanleitend mitschwingt, weil "Siff" von der Krankheit Syphilis stammt.
Gerade das im Besorgtensprech enthaltene Gewaltpotenzial ist gefährlich, weshalb wir dem Kritik und Aufklärung entgegensetzen wollen. Der feuilletonistische Einschlag schließlich dient der Lesbarkeit und manches Stück Besorgtenweltbild ist an Skurrilität kaum zu überbieten, da muss man auch mal lachen können.
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