Die Stadt im Krieg

Wie die Kämpfe jetzt wieder im Irak zeigen, werden sich die asymmetrischen Konflikte auf dem Schlachtfeld der Städte abspielen: eine Kurzgeschichte der Stadt aus der Perspektive des Kriegs

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Städte wurden, besonders seit der Möglichkeit der Bombardierung aus der Luft, für die Bewohner besonders gefährlich, während sie für Angreifer, wenn sie keine Rücksicht auf die Zivilbevölkerung nahmen, zu besonders attraktiven Zielen wurden, weil die räumliche Verdichtung das ideale Ziel für eine größtmögliche Vernichtung anbietet. Mit den Anschlägen vom 11.9. auf New York und Washington wurde plötzlich der Weltöffentlichkeit wieder vor Augen geführt, dass jede Stadt zu jeder Zeit und weit weg von existierenden Konfliktfeldern zum Kriegsschauplatz werden kann. Auch im Irak wurde zwar nicht bei der Invasion, aber spätestens ein Jahr nach dem von US-Präsident Bush ausgerufenen "Ende der größeren Kampfhandlungen" mit den Aufständen in Falludscha deutlich, dass sich der moderne "asymmetrische" Krieg vornehmlich in den unübersichtlichen urbanen Gebieten abspielt.

US-Soldat auf dem umkämpften Friedhof von Nadschaf

Wie sich jetzt bei den erneuten Aufständen in den schiitischen Städten zeigt, sind diese ein äußerst schwieriges Terrain für den traditionellen Kampf, wenn kein Vernichtungskrieg mit großflächigen Bombardierungen geführt wird, wie dies zuletzt die Russen in Grosny gemacht haben, sondern Zivilisten möglichst verschont werden sollen, um den Widerstand nicht zu verstärken und die eigene Legitimität nicht zu verspielen. Mit den aktuellen Ereignissen drängt sich auf, Städte wieder einmal aus der Perspektive von Terror und Krieg zu betrachten.

Im Irak sind die Koalitionstruppen bislang davor zurückgeschreckt, mit massiver militärischer Gewalt gegen die Aufständischen vorzugehen. Auch wenn im Fall von Nadschaf erstmals eine Stadt mit militärischer Gewalt eingenommen werden soll, wobei die irakischen Truppen schließlich aus propagandistischen und symbolischen Gründen das Zentrum mit den heiligen Stätten einnehmen (und für die Zerstörungen verantwortlich sein) müssen, haben sich die Kämpfe mit modernsten Waffen geradezu klassisch abgespielt. Die Städte wurden belagert, wie man dies auch früher gemacht hat. Gleichzeitig wurden die Städte dadurch vom übrigen Land abgekoppelt und sind in die Hände der extremistischen Aufständischen geraten, was die Situation noch einmal verschärft und die Einheit des Landes gefährdet, das droht, in Regionen und Stadtstaaten auseinander zu fallen .

Im Unterschied zum offenen Land dürften Überwachungssatelliten, Drohnen oder auch Flugzeuge zur Auskundschaftung von Städten, die von Guerillaverbänden mit leichten Waffen verteidigt werden, kaum von Nutzen sein. Vermutlich sind auch die Karten der irakischen Städte mit ihren zahlreichen Straßen, verwinkelten Gassen, Häusern und Hinterhöfen noch nicht genau und digitalisiert. Zudem ziehen die Feinde von einem Unterschlupf zum anderen, können hinter Mauern und Fernstern oder Balkonen Stellung beziehen und sich in Gegenden aufhalten, in den sich neben den Privathäusern auch Moscheen, Schulen, Krankenhäuser oder andere öffentliche Einrichtungen befinden.

Die Angreifer mit ihrer weit überlegenen Feuerkraft müssen immer damit rechnen, Unbeteiligte zu töten und zu verletzen, während die Soldaten, die mit Fahrzeugen oder zu Fuß von Haus zu Haus vorrücken müssen, stets Zielscheiben für Angriffe aus dem Hinterhalt bleiben. Auch die gezielte Bombardierung von Häusern, in denen Aufständische vermutet werden, durch GPS-gesteuerte Präzisionswaffen ist stets mit dem Risiko behaftet, auf Informationen angewiesen zu sein, die unpräzise sind oder nicht stimmen. Auch wenn sich Städte militärisch einnehmen lassen, können Widerstandzellen sich neu formieren und vom halbwegs offenen Guerillakrieg in den Städten zum versteckten Terrorkampf übergehen. Zudem steht die überlegene Partei, in diesem Fall die US-Truppen, zumal wenn sie für Freiheit, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit eintritt, unter erheblich größerem moralischen Druck der Weltöffentlichkeit und der lokalen Bevölkerung als die militärisch an sich hoffnungslos unterlegenen Aufständischen.

Aufständische in Nadschaf

Ein Kurzgeschichte der Stadt im Krieg

Für einen Großteil der Geschichte der Urbanität boten Städte allerdings Schutz vor Angriffen und galten als Orte, gegen die man keinen Krieg führen sollte, weil dies zu hohe Verluste mit sich brachte. Die Stadt, das ist eben auch lange Zeit der durch und durch künstliche Lebensraum einer Art Insel im Land gewesen, die vor dem Außen durch Mauern geschützt und abgegrenzt war. Wenn die Mauern ausreichend dick und hoch waren, ausreichend für Verpflegung der Einwohner vorgesorgt worden war, sich kein Verrat ereignete oder die Einwohner anderweitig überlistet werden konnten, boten Städte über Jahrtausende auch gegen zahlenmäßig weit überlegene Gegner einen hohen Schutz.

Bis zur Erfindung des Schießpulvers und damit einer mächtigen Distanzwaffe mussten Angriffe auf die Stadt seitens der Belagerer stets aus relativer Nähe geführt werden. Geschosse konnten schon wegen ihres Aufprallwinkels kaum eine gut befestige Mauer zerstören. Daher wurde mit Leitern, Sturmböcken oder Belagerungstürmen angegriffen, während die Festungsbaumeister die Mauern durch Gräben und Türme, vorgeschobene Befestigungen, mehrere Wälle oder innen liegende Zitadellen weiter sicherten. Schon die ersten bekannten Städte wie Jericho lieferten das Vorbild für viele tausend Jahre Stadtbau. Zwei Meter dicke und sechs Meter hohe Mauern aus Felsblöcken umgaben zusammen mit dreistöckigen die Stadt. Davor war ein drei Meter tiefer und neun Meter breiter Graben. Die Möglichkeit, um im heutigen Jargon zu reden, mit asymmetrischen Mitteln eine Stadt gegen eine überlegene Macht zu verteidigen, konnte so auch das Überleben von Stadtstaaten sichern.

In großen Zentralreichen wie Ägypten, Persien oder Rom wurden oft neue Städte nicht durch Mauern gesichert, auch weil dies zu unerwünschtem Widerstand führen konnte, sondern vornehmlich die Grenzen des Reichs durch Festungen und Befestigungsanlagen oder Schutzwällen wie dem Limes oder der Chinesischen Mauer. Dass sich in Europa nach dem Mittelalter und der Ära der Stadtstaaten schließlich eine Zentralgewalt in Form eines größeren Reichs durchsetzen konnte, lag auch an der Durchsetzung des Schießpulvers und damit der Kanonen, die im 15. Jahrhundert begann.

Vornehmlich als die Kanonen leichter und beweglicher und man nicht mehr mit Steinkugeln, sondern mit schmiedeeisernen Kugeln schießen konnte, schien das Ende der ummauerten Stadt und der Stadtstaaten eingeleitet zu sein. Doch raffinierte Festungsbauingenieure erfanden bald noch kompliziertere Schutzanlagen, die für zunächst für einen Aufschub sorgten. Für Kanonenkugeln spielt nicht mehr so sehr die Höhe der Mauer eine Rolle, sondern deren Dicke und Festigkeit. Eine entscheidende Entwicklung war der Bau von Winkelbasteien vor den Mauern, von denen man mit Kanonen und Schusswaffen Angreifer besser abwehren und gleichzeitig die Mauer und Graben sichern konnte. Den Aufprall von Kugeln schwächte man überdies dadurch ab, dass Mauern verstärkt und vorne abgeschrägt wurden. Zumindest die reichen Städte konnten sich neue Festungsanlagen leisten, für die Festungsbauingenieure, darunter auch Leonardo da Vinci oder Michelangelo, war das 16. Jahrhundert eine gute Zeit. Allerdings setzte sich in dieser Zeit der beginnenden Zentralmächte auch wieder durch, dass die Grenzen an wichtigen Punkten mit derartigen Festungen gesichert wurden.

Städte werden mit dem Luftkrieg zur Falle

Mit den größer werdenden Heeren und den Schusswaffen wuchs auch die Zahl der Opfer bei den Schlachten des 19. Jahrhunderts in bislang unbekannten Höhen. Städte waren nicht mehr so entscheidend, wohl aber Befestigungsanlagen, an denen sich die Gegner mit dem Höhepunkt im 1. Weltkrieg in einem Stellungskrieg bekämpften, bei dem Millionen von Menschen ihr Leben verloren. Der Stellungskrieg konnte auch deswegen so lange geführt werden, weil der Nachschub von Material und Menschen im Hinterland gesichert war.

Im Ersten Weltkrieg kamen zwar bereits Flugzeuge oder Tanks zum Einsatz, doch es waren die Festungsanlagen und Gräben, die den Krieg noch prägten. Frankreich hatte zwar noch einmal versucht, durch den Bau der Maginot-Linie oder der "großen Mauer von Frankreich" (Marschall Petain) einen erneuten stationären Massenvernichtungskrieg durch den Bau von Festungen zu verhindern. Neu war allerdings, dass hier Vieles bereits unter die Erde verlagert wurde: Es gab unterirdische Kasernen in der Größe von kleinen Städten, unterirdische Züge und Aufzüge. Genutzt hat dies freilich nichts, weil die deutsche Armee die französische Mauer einfach umgangen hat. Doch schon der italienische General Douhet zog in den 20er Jahren die Konsequenz, dass für künftige Kriege die "Luftherrschaft" für einen Sieg zentral sei. Mit Bombern müsse der Krieg auch in das gegnerische Land getragen und dessen Infrastruktur zerstört werden. Dadurch werden Städte und ihre Einwohner zu einem strategisch wichtigen Ziel der Zerstörung, mit der man die Kampfkraft schwächen und den Widerstandswillen brechen will: Städte wurden so zu Hauptzielen des totale Kriegs.

Im Zweiten Weltkrieg gipfelte der urbane Krieg, nachdem Hitler den Luftkrieg mit wiederholten Anngriffen von in Formation fliegenden Bombern erst einmal in Spanien während des Bürgerkriegs getestet hatte (Guernica), nach der Bombardierung Londons, der Schlacht um Stalingrad oder der Zerstörung der deutschen Städte durch die alliierten Luftkräfte im Abwurf jeweils einer Atombombe auf Nagasaki und Hiroshima. Die Atombombe, durch die eine Stadt und das Leben in ihr in Sekunden zerstört wird, ist Inbegriff einer Massenvernichtungswaffe. Und Massenvernichtungswaffen, auch biologische und chemische Waffen oder schmutzige Bomben, setzen eine räumliche Konzentration der Infrastruktur und eine räumliche Verdichtung, die Existenz von Massen an Menschen, Gebäuden oder Dingen voraus, weswegen man Massenvernichtungswaffen auch als urbane Waffen verstehen kann.

Genauso ließen sie sich aber auch, egal ob sie von Militärs oder Rebellen verwendet werden, als Terrorwaffen verstehen, denn mit der Flächenbombardierung von Städten und dem Abwurf von Atombomben auf Städte hatte man sich im 20. Jahrhundert bereits endgültig von der Ideologie verabschiedet, dass im Krieg Zivilisten möglichst verschont bleiben sollten. Städte bieten keinen Schutz mehr, sie erweisen sich vielmehr im Fall eines totalen Kriegs und von Terroranschlägen als Falle. Wie bei einem Terroranschlag kann und soll nun jeder, zumindest jeder Stadtbewohner, zum Opfer werden und wird dadurch zur Geisel, zu einem möglichen Opfer. Großstädte insgesamt sind so mit ihren Bewohnern zu Geiseln in einem Krieg, aber auch für die sogenannten low intensity conflicts geworden, die oft genug gegen die militärische Übermacht staatlicher Gewalt zur asymmetrischen Gewaltform des Terrorismus greifen.

Ob es durch Systeme wie den von den USA anvisierten Raketenabwehrschild gelingen wird, die Bedrohung aus der Luft wirksam begegnen zu können, muss abgewartet werden. Wichtige militärische Zentralen und Lager werden daher jetzt auch wieder ohne Hinblick auf einen Atomkrieg möglichst tief unter die Erde verlegt und mit meterdickem Stahlbeton geschützt. Das führt allerdings dazu, dass nicht nur sogenannte Bunker Buster entwickelt werden, die vor der Explosion tief in die Erde eindringen können oder mit denen sich Höhlen und unterirdische Anlagen mit großer Hitze ausbrennen lassen, sondern dass auch der Weg zum Einsatz von taktischen Atombomben geebnet wird, was wiederum zu einem Atomkrieg und damit zur Zerstörung ganzer Metropolen führen kann.

Die Stadt wird zum Schlachtfeld der asymmetrischen Kriege

Allerdings sind Städte nicht nur Fallen für ihre Bewohner in einem totalen Krieg oder als Ziel von Terrorangriffen geworden. Werden Kriege nicht total geführt, sollen, aus welchen Gründen auch immer, Zivilisten und Infrastruktur geschont werden, dann verwandeln sich Städte in ein neues Schlachtfeld, dessen Unübersichtlichkeit und Komplexität wiederum auch für weit überlegene Angreifer zu einer blutigen Falle werden kann. In einer globalisierten und vernetzten Welt, die mit immer ausgeklügelteren Mitteln immer besser ausgespäht werden kann, werden Städte mit ihrem großen Rauschen immer attraktiver als Rückzugsorte zum Verstecken und als Kriegsschauplätze für überraschende Überfälle. Städte sind empfindlich für Störungen und bieten den Schutz der Masse. In einem asymmetrischen Konflikt sind nicht mehr Wälder oder Gebirge, sondern Städte die Bühne, die die herkömmliche militärische Strategie in Frage stellen und unterminieren, wenn sie eingenommen oder gehalten werden sollen.

Man wird davon ausgehen können, dass Kriege zwischen Staaten und ihrem Militär kaum mehr geführt werden dürften, während die sogenannten Low intensity conflicts weiter zunehmen. Just diese lassen aber die Metropolen zu den neuen Kampfbühnen werden, was nach der schnellen Niederlage der Taliban in Afghanistan deutlich wurde, die sich teilweise noch dem offenen Kampf gestellt oder sich auf den traditionellen Schauplatz von Bergen und Höhlen verlassen hatten. Die Verlagerung der Konflikte in die Städte wird weiter zur Folge haben, dass sich alle Beteiligten terroristischer Mittel bedienen. Spezialtruppen, kleine, verdeckt arbeitende Gruppen, die sich ähnlich unauffällig wie ihre Gegner auf den neuen Schlachtfeld bewegen können, werden die Armeen ablösen. Nicht umsonst pumpt das Pentagon nicht nur viel Geld in neue Techniken, die auch durch den Einsatz von Robotern, Mini-Drohnen und Überwachungs- und Kommunikationstechnologien einen Krieg aus der Distanz zu führen erlauben, sondern stecken auch Milliarden in den Ausbau von Spezialtruppen für verdeckte Einsätze, die weltweit stattfinden können und wesentlich schneller zuschlagen können als Armeen. Gezielte Anschläge, wie sie Israel schon lange gegen Palästinenser ausführt und wie sie das Pentagon bereits mit ferngesteuerten bewaffneten Drohnen in Afghanistan und Jemen durchgeführt hat, stellen dann das Pendant zu den sogenannten Präzisionsbomben dar.

Der Irak-Krieg brachte nicht, wie manche erwartet hatten, einen wirklichen Stadtkampf mit sich. Das Regime von Hussein zerbrach zu schnell unter der Wucht des Angriffs und der mangelnden Bereitschaft der bewaffneten Truppen, für das Regime zu sterben. Wahrscheinlich war den führenden Militärs auch klar, dass es nach dem ersten Krieg und vor allem dem Zusammenbruch des Taliban-Regimes keine Chance in einem offenen Krieg gibt. Allerdings haben die Besatzungsmächte nicht vorausgesehen, dass sie zwar als Befreier betrachtet werden, schnell aber auch zu unerwünschten Besatzern werden können, wenn Befreiung und Besatzung nicht schnell das Leben für die meisten Menschen verbessern und Sicherheit gewährleisten können und die Besatzer selbst Willkürakte der Repression begehen.

Da all dies aber geschehen ist und vor allem das amerikanische Militär nicht sensibel genug vorgegangen ist, hat sich der Widerstand verstärkt. Ein Jahr, nachdem US-Präsident Bush das Ende der größeren Kampfhandlungen und damit den Erfolg der Mission verkündet hat, hat der Stadtkampf unter Bedingungen begonnen, die eher für die modernen Konflikte kennzeichnend sind: nicht als offener militärischer Kampf zwischen zwei Armeen, sondern als asymmetrischer Konflikt zwischen einer militärischen Macht und Guerillatruppen oder Milizen, die keinen Staat repräsentieren, sondern für Befreiung bzw. Vertreibung der Besatzung oder für eine andere staatliche/religiöse Ordnung kämpfen. Zudem ist der Konflikt im Zeitalter der Globalisierung nicht auf ein Territorium eingrenzbar. Ebenso wie die Besatzer als internationale Koalition in einem weit von ihren Staaten entfernten Land auftreten, kämpfen die Aufständischen, die ebenfalls eine Koalition oder ein loses Netzwerk bilden, nicht nur vor Ort, sondern durch Anschläge weltweit.

Trotzdem haben die lokalen Kämpfer große Vorteile, weil sie über eine genaue Kenntnis der labyrinthischen, viele Ebenen übergreifenden Räumlichkeiten mitsamt der Möglichkeit verfügen, sich überall verstecken und in der Masse der Zivilbevölkerung untertauchen zu können. Die Rückzug des US-Militärs aus Mogadischu 1993 machte bereits deutlich, dass auch technisch weit überlegene Armeen in Städten mit großen Opfern rechnen müssen. Selbst wenn Städte wie Grosny von den Russen, die mit großer Brutalität und wenig Rücksicht auf Zivilisten vorgingen, zerstört werden, lassen sich die in kleinen Gruppen operierenden Rebellen, die zwar für ein Territorium kämpfen, aber keines verteidigen müssen, oft nicht wirklich besiegen. Oft genug aber können Kämpfe in Städten auch nicht unter Ausschluss der Medien stattfinden, zumindest ist die Gefahr größer, wie auch das "Handbook for Joint Operations" warnend sagt, dass Bilder von Kämpfen in die Medien kommen und so die militärische "Arbeit" behindern, während dies oft die Aktionen der Schwächeren stärkt und indirekt wie bei Terroranschlägen für Werbung und Aufmerksamkeit sorgt.

Störendes Rauschen: die Stadt aus der militärischen Perspektive

In dem Handbuch des Pentagon für "urbane Operationen" ist die Definition eines "urbanen Gebiets" einfach: eine "Konzentration an Gebäuden, Einrichtungen und Menschen". Und ganz klar ist es dem Militär, dass Städte als Kriegsschauplatz große Herausforderungen bergen. "Ein urbanes Gebiet ist so vielgestaltig wie komplex". Wie unterscheidet sich das urbane Terrain von anderen Kriegsschauplätzen:

Urbanes Terrain ist eine von Menschen hergestellte Umgebung und besteht aus rechteckigen Formen, wie man sie sonst nur selten in nicht-urbanem Terrain findet. Diese Formen sind nicht nur rechteckig als planimetrisches Muster, als Straßengitter, sondern auch dreidimensional. Vertikalität wird von großer Bedeutung, da sie nicht nur ein extrem schwieriges Hindernis für den Angriff schafft, sondern der Verteidigung eine von Menschen gemacht Form einer 'Hochebene' bietet. Eine große Stadt bietet mehrere Schichten einer "urbanen Hochebene" und normalerweise zusätzlich auch eine unter der Erde gelegene Ebene.

Angriffe können in einer dicht bebauten Struktur, in dem sich umbaute Räume mit offenen Räumen abwechseln, von überall erfolgen. In Städten gibt es einen riesigen Untergrund aus Kellern, Schächten, Tunnels, Kanalisationsrohren, Straßen, Plätze, die Oberflächen von Gebäuden mit Türen, Fenstern, Balkonen, Terrassen und Dächern und eine Vielzahl unterschiedlicher Räumlichkeiten innerhalb von Gebäuden, die bis in eine Höhe von Hunderten von Metern aufragen können. Es gibt unzählige Verstecke und Möglichkeiten, Fallen und Hinterhalte einzurichten. Überdies wird, wie betont wird, die Kriegsführung behindert, weil in einer Stadt Überwachung, Informationsbeschaffung und Kommunikation leicht gestört und stets erschwert sind. Der notwendig in kleinen Gruppen erfolgende Kampf mache die zentralen Entscheidungs- und Kommandostrukturen schwierig und teilweise chaotisch. Schwierig ist weiter die Unterscheidung von eigenen und gegnerischen Kämpfern sowie von Kämpfenden und Nichtkombattanten.

Und weil die Stadt eine total künstliche Welt ist, wird in ihr die Kriegsführung nach dem Pentagon auch mit vielfältigen Formen der Täuschung konfrontiert, die der Angreifer aber natürlich auch selbst einsetzen kann. Der urbane Kampf, so eine weitere Veröffentlichung des Pentagon, erfordert "Die Kunst der Dunkelheit", also die Kunst, den Gegner in irgendeiner Form so zu täuschen, dass sich dies für eigene Zwecke ausbeuten lässt. Seitenweise werden Möglichkeiten aufgezählt, wie sich in Täuschungsstrategien von der psychologischen Kriegsführung über den Infowar bis hin zum Tarnen und Verkleiden ausführen lassen. Besonders wichtig sei Täuschung für den schwächeren Part, weswegen dieser eben gerne den Kampf in die Stadt hineinzutragen versuche. Erleichtert werde die Täuschung, die natürlich den Krieg seit Beginn an begleitet, durch das sowieso existierende urbane "Hintergrundrauschen":

Kein Einsatzgebiet "rauscht" mehr als die Stadt mit ihrem Übermaß an Gebäuden, Straßen, Funk- und Telefonverkehr, Fahrzeugen von Nichtkombattanten und Fußgängern, Krach und Hitze. Es ist nicht nur schwierig, militärisch wichtige 'Signale' vom umgebenden 'Rauschen' zu unterscheiden, sondern ein listiger Gegner wird absichtlich mehr Rauschen herbeiführen und seine Aktivitäten und Intentionen hinter dieser Kulisse verstecken.

Und dann enthalten Städte eben auch noch die großen Material- und Wissensressourcen für Täuschungsstrategien. Da gibt es nicht nur die Energie- und Kommunikationsinfrastruktur, die Medien und die Produktionsmittel zur Herstellung, Verbreitung und Störung von Informationen, sondern auch Fabriken, Werkstätten, Materialien und Experten, um Dinge aller Art herzustellen. So seien beispielsweise in Filmstudios ausgezeichnete Experten zu finden, um Illusionen zu schaffen, eben auch was Attrappen angeht. Vorsichtig wird hinzugefügt:

Auch wenn sicherlich nicht alle bebauten Gebiete lokale Hollywoods haben, wird es dort ein Reservoir an Menschen und Material in der zivilen Bevölkerung und der Infrastruktur geben, dei Kämpfer auf anderen Schlachtfeldern nicht zur Verfügung stehen. Die Mittel können so einfach (und wirksam) sein wie Kopiergeräte und Schaufensterpuppen, mit denen sich hundert schlaue Täuschungen inszenieren lassen.

Das Militär also entdeckt die Stadt als künftig immer wichtig werdendes Schlachtfeld für die Kämpfe zwischen den Davids und Goliaths und als Theaterbühne für ein Wettrüsten der Informationsoperationen. Wie sich Städte langfristig verändern, wenn noch mehr Städte auf der Welt als bislang zum Schauplatz von low intensity conflicts und zu einem neuen Schlachtfeld werden, auf dem zivile, militärische, terroristische und kriminelle Strukturen verschwimmen, ist kaum abzusehen. Wahrscheinlich aber sind gated communities, Hochsicherheitsstadtviertel, neue Mauern, eine Vielzahl von Sicherheitstechnologien und die Zunahme der Überwachung Vorzeichen für Entwicklungen, im Laufe derer neue Strukturen, Städte als Festungen in metropolitanen Gebieten, entstehen werden, für die vermutlich auch die digitale Vernetzung zur Überwindung des Raums immer entscheidender sein dürfte.