Die Stunde des Internationalen Strafgerichtshofes?

Die Weltföderalisten fordern angesichts des Kriegs im Kosovo eine tiefgreifende Reform der UN und die Abschaffung des Veto-Rechts im Sicherheitsrat

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Während Veran Matic, Chefredakteur des zensierten serbischen Radiosenders B92, die Beendigung der Luftangriffe fordert, weil sie auch die demokratischen Kräfte in Jugoslawien zerstören, betrachten die Weltföderalisten die Angriffe wegen des Völkermords durch jugoslawische Militär- und Polizeikräfte im Kosovo zwar auch ohne Mandat des UN-Sicherheitsrates als legitim, aber sie fordern jetzt desto dringender eine neue Weltordnung auf der Grundlage einer reformierten UN.

Die Weltföderalisten verlangen, wie Sir Peter Ustinov und der deutsche Beirat Tilman Zülch, der auch Präsident der Gesellschaft für bedrohte Völker ist, in einer Pressemitteilung bekanntgeben, die Abschaffung des Vetorechts im Sicherheitsrat. Der Krieg im Kosovo mache deutlich, daß die internationale Gemeinschaft ein klares Mandat und Machtbefugnisse benötige: "Die internationalen Normen der Staaten-Souveränität und der Nicht-Einmischung sind nach den in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte von 1947 niedergelegten Maßstäben auszurichten", sagte Zülch. Subjekte im Völkerrecht hätten nicht die souveränen Staaten zu sein, sondern die Menschen selbst: Es könne nicht hingenommen werden, "daß ein Staat mit der Berufung auf seine Souveränität Minderheiten brutal unterdrückt und ermordet."

Das 1947 gegründete World Federalist Movement (WEM ist Initiator und Koordinator der von mehr als 900 NGOs unterstützen Koalition für einen Internationalen Strafgerichtshof. Erste Schritte zu dessen Einrichtung wurden in Rom 1998 gelegt. Ratifiziert wurde das Abkommen bislang aber erst von Senegal, unterschrieben von etwa 60 Staaten, wobei aber die wichtigsten Staaten wie die USA, China oder Rußland - und natürlich auch die Bundesrepublik sich gegen die Einrichtung des Internationalen Gerichtshofes sträuben, der es möglich machen würde, gegen Milosevich wegen Völkermords zu ermitteln, aber natürlich auch, dieselbe, von den Serben gegenüber der NATO erhobene Anklage gegen die westliche Allianz zu erheben. Übrigens entstand der Beschluß zur Einrichtung des permanenten Strafgerichtshofs 1993 angesichts der ethnischen Säuberungen und des Völkermords in Bosnien.

Die Weltföderalisten freilich streben noch mehr an, aber schon ein Internationaler Strafgerichtshof, sollte er denn überhaupt etabliert werden, stellt die Frage, wie die Strafverfolgung durchgesetzt werden könne, wenn es sich beispielsweise um Regierungen handelt, die ihn nicht anerkennen. Wer sollte dann mit Waffengewalt eingreifen? Sollte die UN zu diesem Zweck eine eigene Armee aufstellen? Würde der Vorrang der Menschenrechte vor der Souveränität von Staaten nicht eher eine Vielzahl von Kriegen mit sich bringen müssen, anstatt den Frieden zu sichern? Andererseits ist sicherlich zutreffend, daß sich die meisten Kriegsverbrecher hinter der Souveränität der Nationalstaaten verstecken und straffrei ausgehen, während die Ad-hoc-Tribunale wie im Fall von Bosnien oder Ruanda nicht wirklich für Gerechtigkeit sorgen können.

Louise Arbour, Anklägerin des Internationalen Gerichtshofs, hatte sich bereits am 26.3. bereits direkt an Milosevich und andere Regierungsmitglieder gewandt und sie an ihre Verpflichtungen durch das internationale Gesetz erinnert. Sie kündigte an, daß sie alle schweren Verletzungen des internationalen Rechts untersuchen werden, vor allem wenn es sich um Angriffe gegen die Zivilbevölkerung handelt. Sie fordert Milosevich auf, seine Autorität über seine Untergebenen auszuüben und alle notwendigen Schritte einzuleiten, alle Untergebenen zu bestrafen, die sich im Kosovo schwerer Übertretungen des internationalen Gesetzes schuldig gemacht haben. Jetzt hat sie zudem Anklage gegen Zeljko Raznatovic alias Arkan erhoben, der mit seinen paramilitärischen Verbänden, wie er selbst bekundet, noch nicht im Kosovo eingegriffen hat. Die Festnahme von Arkan, der schwerer Kriegsverbrechen in Bosnien und Kroatien beschuldigt wird, fordern Menschenrechtsorganisationen schon lange Zeit. Arbour wird der jugoslawischen Regierung einen Haftbefehl zustellen, doch die hat bislang auch in anderen Fällen jede Mithilfe beim Internationalen Gerichtshof verweigert.

In der Tat ist eigentlich kaum mehr denkbar, daß Milosevich, wenn er denn des Völkermords beschuldigt werden sollte, gleichzeitig an möglichen Friedensverhandlungen teilnehmen kann oder sollte. Andererseits dürfte er kaum willens sein, den internationalen Gerichtshof im Fall von Arkan und von Kosovo anzuerkennen oder sich gar selbst einem Prozeß zu stellen. Der Gerichtshof agiert für ihn einseitig, zudem behauptet er, die jugoslawische Armee würde nur gegen die Terroristen kämpfen, während die Vertreibung der Menschen aus dem Kosovo ein gemeinsames Unternehmen der UCK und der NATO sei, um durch diese "künstliche humanitäre Katastrophe" größeren Einfluß auf dem Balkan zu gewinnen.