Die Symbolische Kommunikation der Bienen

Seite 3: Die Karte in Bienenkopf

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Einer meiner wissenschaftlichen Helden ist Prof. Randolf Menzel von der FU Berlin, vorher bereits erwähnt. Seit Jahren unterstreicht der berühmte Bienenforscher die Bedeutung und fast Notwendigkeit einer "kognitiven Karte" für die Navigation von Bienen im Gelände. Mit seinem harmonischen Radar, womit er Bienen beim Fliegen aufzeichnen kann, hat er gezeigt, dass die Bienen ein Gelände zuerst "kartieren", bevor sie sich auf die Suche nach Futter machen.

Wie kann man sich eine solche kognitive Karte vorstellen? Eine Möglichkeit ist, dass die Bienen sich bei ihren Explorationsflügen markante visuelle Merkmale einprägen (wie ein Graben, eine Waldgrenze, ein Baum), dazu noch ihre Beziehungen untereinander und die Richtung zurück zum Bienenstock.

Der Nestplatz scheint der "Ursprung" im Bezugssystem der Bienen zu sein, da wenn diese gefangen und an einem anderen Ort freigelassen werden, sie anschließend nach einer Orientierungsphase direkt zum Bienenstock fliegen können. Von Frisch selbst hat auch nachgewiesen, dass Bienen spontan zu einer von Tagen zuvor bekannten Futterstelle tanzen können, ohne die Futterstelle vorher wieder besucht zu haben. D.h. in ihren kleinen Gehirnen können die Bienen solche Richtungsvektoren aufbewahren.

Wenn also eine Biene den Schwänzeltanz durchführt, ist es dann naheliegend, dass die Nachfolgerinnen ihren Informationsstand (d.h. ihre private Karte) mit den neuen Informationen vergleichen. Ist der Duft des mitgebrachten Nektars sehr prägnant, können die Bienen den Rest des Tanzes ignorieren und zu einem ihnen bekannten Platz fliegen (wie oben erwähnt). Ist der Duft des Nektars jedoch nicht eindeutig, lauschen die Bienen wohl dem Tanz, schauen aber immer noch auf ihre Karte, und wenn der Richtungsvektor nicht so weit entfernt von einer zuvor erlernten Futterquelle liegt, fliegen die Nachfolgerinnen anschließend eher zur dieser Stelle.

Wenn da nichts zu finden ist, können diese Bienen allerdings direkt einen "shortcut" zu der von der Tänzerin angezeigten Stelle fliegen. Das tun die Bienen aber nur, wenn die neue Futterstelle nicht übermäßig weit entfernt von der aktuellen Position liegt.

Kritiker einer "kognitiven Karte" bei der Bienen denken, dass der Sonnenkompass allein solche Kunststücke (die shortcuts) ermöglichen kann. Dafür haben Menzel und Kollegen in einem aufregenden Experiment den Sonnenkompass "verdreht".10 Bienen können die Bewegung der Sonne im Laufe des Tages "im Kopf" nachverfolgen. Das ist notwendig, weil sich alle Richtungsinformationen im Laufe des Tages relativ zur Sonne ändern.

Menzel und Kollegen haben die Bienen anästhesiert und damit dieses Bienen-Chronometer gestoppt. Nach mehreren Stunden wurden die Bienen geweckt und an eine andere Stelle im Gelände versetzt. Nach kurzem Orientierungsflug konnten diese Bienen direkt zurück zum Bienenstock fliegen. D.h. obwohl der Sonnenkompass verschoben war (was eine Drehung der Richtungsvektoren im Gelände entspricht), konnten die Bienen aus den visuellen Merkmalen den Weg nach Hause ablesen. Das zeigt, dass Bienen wohl visuelle Merkmale mit Richtungsinformationen koppeln, die nicht unbedingt mit Bezug auf den Sonnenstand im Gedächtnis gespeichert sind.

Der Bienentanz: ein komplexes Phänomen

Das oben Gesagte mag genügen, um den Leser die Faszination des Bienentanzes für die Forscher nachvollziehbar zu machen. Es ist ein Geheimnis in einem Rätsel verpackt. Es ist nicht nur so, dass eine Biene in eine Richtung tanzt. Die Nachfolgerinnen tanzen durch die Antennenkontakte mit. Außerdem ist es wie Square Dance: viele Tänzer tanzen in der Tanzarena. Wir wissen heute, dass dabei die Tänzer um die eigene Futterquelle werben. Je besser der Nektar (in Bezug auf die Konzentration von Zucker), desto höher die Motivation zum Tanzen.

Die Beobachter können aber die Tänzer durch wiederholte "peeping sounds" und durch Kopfstöße stoppen. So sabotieren sie den Tanz regelrecht: Kennen einige Sammlerinnen eine sehr gute Futterstelle und beobachten sie eine andere Biene, die Werbung für eine zweite Futterstelle macht, unterbrechen sie die Tänzerin durch Piepen und Kopfstöße.11

Wer durch die Qualität des Nektars mehr Claqueure im Nest einwerben kann, so dass sie andere tanzende Bienen stören, der gewinnt den Tanzwettweberb. Irgendwann tanzen alle Bienen nur für die eine Futterstelle und wiederum hat eine demokratische Mehrheit entschieden. Das ist was man heute "Schwarmintelligenz" nennt, wovon viele Beispiele bei den sozialen Insekten bekannt sind.

Der Bienentanz ist demnach, um es mit den Worten der Theaterforscher zu sagen, ein "performatives Ereignis" mit ausgiebigen Ingredienzien. Mit Düften, Pheromonen und Sonnenkompass, mit einer Karte des Geländes und angekoppelten Erinnerungen, mit einem Chronometer im Kopf der Biene, und aufgeführt in einem Tanzsalon, wo alle Anwesenden mitbestimmen, was und wofür getanzt wird. Die attraktivsten Tänzerinnen gewinnen mehr Publikum.12

Alle Rätsel des Bienentanzes zu entziffern wird noch Jahre dauern. Jemand der es schon heute wissen will ist Tim Landgraf, von der FU Berlin. Gemeinsam mit seinen Studenten haben sie das BeesBook-Projekt gestartet, bei dem sie automatisch das soziale Netzwerk der Bieneninteraktionen automatisch per Computer verfolgen (BeesBook wegen FaceBook). Mit Videokameras, die ununterbrochen das Treiben im Bienenstock verfolgen, wobei alle Bienen mit einer Art Barcode markiert sind, beobachten sie die Schwänzeltänze und welche der umherstehenden Bienen nachtanzen.

Seit von Frisch ist bekannt, dass die Bienen Cliquen im Nest bilden und, dass sie präferentiell Bienen aus ihrer Untergruppe folgen. Dies könnte eine genetische Komponente haben, könnte aber auch rein zufällig sein. Das BeesBook-System ist deswegen ein echtes "Big Brother" für alle Bienen im Stock, da alle ihre Bewegungen und Interaktionen potentiell in Echtzeit verfolgt werden können.

Abb. 8: Oben, Bild eines Bienenstocks. Die Bienen sind alle mit einem speziellen Code markiert worden. Unten steht ein Infrarot-Bild (Bienen können Infrarot nicht sehen) mit der überlagerten automatischen Erkennung des Bienencodes. Durch Interpolation der Position der Bienen, lässt sich ein Großteil der Kolonie laufend verfolgen (Bild aus dem BeesBook-Projekt)

Obwohl dies ein Horrorszenario für angehende Biologen sein könnte, da nun der Computer die Beobachtung des Bienenstocks übernimmt, löst die Automatik das Problem der Ausschaltung von menschlichen Erwartungen. Früher haben Beobachter Plastikfolien über die Scheiben der Bienenstöcke gehängt und per Hand die Tanzrichtung der schwänzelnden Bienen abgepaust. Per "Augenmaß" wurde dann entschieden in welche Richtung die Biene tanzt. Heute macht man es mit Videoaufnahmen, aber man kann kaum verhindern, dass der Beobachter eigene Erwartungen einfließen lässt.

Die Variabilität des Winkels der tanzenden Biene ist jedoch so groß, dass nur eine Integration der Tanzrichtung, Bild für Bild, Auskunft darüber geben kann, was die anderen Bienen im Bienenstock sensorisch erfassen könnten.13 Ein Beispiel, was der Computer automatisch messen kann, findet sich in Abb. 9.

Abb. 9: Mit dem Computer ausgewertete Variabilität des Bienentanzes für zwei verschiedene Experimente. Die Tanzrichtung streut fast um 60 Grad. Nicht alle Bienen, die dem Tanz folgen, können alle Läufe wahrnehmen. Wie sie aus nur einigen detektierten Läufen einen guten Mittelwert bestimmen können, bleibt rätselhaft (Abb. aus Landgraf et al., Appendix)

Hier wird die Tanzrichtung von einigen Schwänzeltänzen aufgetragen, wobei die Nullrichung die echte Position der Futterstelle darstellt. Wie man sieht, schwanken die Links- und Rechtsläufe des Tanzes fast um 60 Grad, eine enorme Variabilität. Die Bienen finden aber den Weg zur Futterstelle, so dass gewiss mehrere sensorische Modalitäten "eingeschaltet" werden. Diese zu verstehen, sowie die Interaktion des Tanzes mit der kognitiven Karte der Biene, das ist und bleibt -- fast 100 Jahre nach den ersten Experimenten von Karl Ritter von Frisch - ein spannendes Forschungsfeld.

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