Die "Terrorflotte" oder: "Osama's Navy"

Wieder einmal werden angstmachende Gerüchte über angeblich existierende al-Qaida-Schiffe verbreitet, während sich die Erkenntnis verdichtet, dass al-Qaida sich vornehmlich über den Heroinhandel finanziert

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Über bin Ladin und "sein" Terrornetzwerk al-Qaida ist schon viel geschrieben und auch fantasiert worden. Das gehört vermutlich zu geheimnisvollen angsterregenden Bösewichten oder bewunderten Kürzlich hieß es wieder einmal, dass er schon in den Taliban-Afghanistan-Zeiten Atombomben von Ukraine gekauft haben soll, die bei Kandahar verbuddelt seien. Schon lange wird auch von Schiffen gemunkelt, die al-Qaida besitzen soll. Der britische Mirror hat nun die erste "Terrorflotte" ausgemacht: "Osama's Navy".

Ob bin Ladin überhaupt noch lebt, ist ungewiss. Immerhin will das Pentagon im Frühjahr in Afghanistan eine Großoffensive starten, um rechtzeitig vor den amerikanischen Präsidentschaftswahlen noch den ranghöchsten Schurken zu fassen oder zu töten, nachdem man bereits Saddam Hussein in einem Erdloch gestellt hat. Möglicherweise ging man trotz der Aufdeckung des Handelsnetzwerks für Atomwaffentechnologie des pakistanischen "Vaters der Atombombe" mit Pakistans Regierungschef Musharraf, der angeblich von nichts wusste, milde um. Schließlich wird vermutet, dass sich Bin Ladin im Grenzgebiet zwischen Afghanistan und Pakistan verstecken könnte. Für die Jagd bräuchte man die Mithilfe Pakistans.

Nach den Anschlägen mit den Passagierflugzeugen am 11.9. und der darauf folgenden Serie von Anthrax-Briefen wuchs die Angst. Alles war plötzlich möglich, vor allem den al-Qaida-Terroristen, deren Netzwerk an Zellen und Schläfern um die ganze Welt reicht. Auch wenn bislang alle Anschläge mit "konventionellen" Mitteln, wenn auch gut koordiniert durchgeführt wurden, um maximale Opferzahlen und Medienaufmerksamkeit zu erzielen, so haben die islamistischen Terroristen, denen mittlerweile im Irak ein neues Betätigungsfeld geschaffen wurde, weder Massenvernichtungswaffen eingesetzt, noch gibt es einen Nachweis dafür, dass sie in Besitz von solchen sind.

Wiederkehrende Geschichten über die geheimnisvollen Terrorschiffe

Autos und Flugzeuge sind die Fahrzeuge, mit denen die Terroristen normalerweise ihre Selbstmordanschläge auf Gebäude durchführen. Ende Januar warnten FBI und Heimatschutzministerium jedoch davor, dass auch U-Bahnen und Züge gefährdet seien. Allerdings hatten al-Qaida-nahe Terroristen bereits im Oktober 2000 mit einem mit Sprengstoff gefüllten Schnellboot einen Anschlag auf den US-Zerstörer "Cole" in Jemen ausgeführt. Angeblich hatte es sich bei der Explosion auf dem Öltanker "Limburg" vor der Küste Jemens im Oktober 2002 auch um einen al-Qaida-Anschlag gehandelt. Schon Ende 2001 aber kamen die ersten Gerüchte auf, dass al-Qaida im Besitz einer ganzen Flotte an Schiffen sei. 15-20 oder auch mehr Frachter sollten es sein, die im Auftrag bin Ladins Waffen oder Sprengstoff, aber auch Terroristen über die Meere transportieren. Informationen amerikanischer britischer und anderer europäischer Geheimdienste hätten dies ergeben, aber ob denen heute noch jemand ohne weiteres Glauben schenkt, ist schon eine andere Frage. Ein auf Waffen untersuchtes Schiff transportierte dann allerdings nur Zucker.

Schon damals wurde beschworen, wie gefährlich es sei, wenn mit Sprengstoff aufgefüllte Schiffe beispielsweise über die Themse London zum Anschlagsziel machen könnten. Dazu wäre auch nur eine gekaperte Yacht notwendig. Später war dann auch die Rede davon, dass bin Ladin mit einem Schiff aus Pakistan geflohen und in den Mittleren Osten gereist sein könnte. Die im Mittelmeer und im Golf von Aden stationierten Kriegsschiffe haben dann zwar einige Funde machen können, aber ein al-Qaida-Schiff wurde nicht entdeckt. Pünktlich ein Jahr später wurde wieder davon gesprochen, dass al-Qaida 15 Frachter besitzen würde. Die würden zwar über Satelliten, Überwachungsflugzeuge, befreundete Geheimdienste oder Informanten verfolgt, aber man verliere sie immer aus dem Blick, weil sie neue Namen erhalten oder umgestrichen werden, hieß es damals. Auch dies schien sich dann wieder zu verlaufen. Allerdings wollte angeblich al-Qaida mit zwei Schiffen, die für die Reederei Nova unter der Flagge von Tonga fuhren, heimlich Pakistani nach Italien bringen. Gefunden habe man Geld, gefälschte Ausweise und Stadtpläne italienischer Städte.

Nun also wieder ein Jahr später wieder eine ähnliche Geschichte. Dieses Mal meldet Mirror, dass nach Informationen der Polizei von London Bin Ladin 15 Frachtschiffe besitze. Scotland Yard habe zudem vor einem Anschlag mit einen Schiff auf London gewarnt: "Die Schiffe, die tödliche Chemikalien oder eine schmutzige Bombe befördern können, könnten auch Kreuzschiffe oder Ölbohrinseln rammen oder in Häfen mit dem Ziel der Zerstörung einfahren." Das von der Londoner Polizei stammende Memo spricht von der "ersten Terrorflotte". Die Schiffe würden unter der Flagge Somalias oder Jemens fahren.

Wie es so oft der Fall ist, wird nach der Ankündigung eines möglichen Anschlags auf London aber gesagt, die al-Qaida-Schiffe würden sich im Indischen Ozean oder im Pazifik befinden, was dann doch ein Stück von Großbritannien entfernt sei. Angeblich würde Lloyd's of London denm britsichen Geheimdienst MI6 und der CIA helfen, Schiffe aufzuspüren, die al-Qaida angeblich von einem griechischen Reede gekauft habe. Verdächtigt würden aber auch Schiffe, die unter der Flagge Senegals, Liberias oder St Vincents fahren. Immerhin, die Überschrift ist interessant und verspricht, die nötige Aufmerksamkeit zu erzielen: "OSAMA'S NAVY. Bin Laden has bought fleet of 15 ships for terror attacks."

Rauschgiftterrorismus

Vermutlich richtig dürfte sein, dass neben den einschlägigen "Warlords" al-Qaida, Taliban und andere islamistische Gruppen verstärkt Gelder mit dem Drogenhandel verdienen. Nach dem Sieg über die Taliban, die zuletzt den Opiumanbau in Afghanistan gedrosselt hatten, ist das Land wieder zum weltweit größten Opiumproduzent geworden. Nach einem UN-Bericht hat sich der Opium-Anbau seit 2001 um das 20-Fache von 185 auf 3.600 Tonnen gesteigert und findet auf 80.000 Hektar Land statt. 1,7 Millionen Afghanen sollen vom Opiumanbau abhängen und mit der Teilnahme an diesem Milliardenmarkt erheblich mehr verdienen als das Durchschnittseinkommen der Afghanen. Mit dem afghanischen Opium wurde nach Schätzungen der UN 2003 ein weltweiter Umsatz von 30 Milliarden Dollar erzielt, etwa 2 Milliarden bleiben davon im Land. Teilweise also finanzieren sich die Gruppen, vornehmlich die Taliban, sicherlich aus dem Rauschgifthandel, den sie vielleicht auch weltweit mit organisieren. Terrorismus oder Widerstand ist dann ähnlich wie bei den nationalen Armeen nicht eine Sache der Überzeugung allein, sondern auch der Bezahlung - zumindest bei denjenigen, die keine Selbstmordanschläge begehen.

So hat die US-Navy angeblich im Persischen Golf einige kleine Boote angefangen, die nicht nur Heroin und Haschisch transportierten, sondern mit denen auch al-Qaida-Mitglieder mitfuhren. Ob man diese Schmugglerboote nun unbedingt als Flotte al-Qaidas bezeichnen will, dürfte ohne größeres Wissen erst einmal Auslegungsfrage sein. Deutlich aber wird, dass es wohl nicht die Stiftungen und Spenden oder das Vermögen etwa von Bin Ladin sind, die die Terrornetzwerke am Leben erhalten, sondern der Handel mit Rauschgift, vielleicht auch mit Waffen. Edelsteine oder Honig, wie man auch vermutete (Al-Qaida und das Internet), dürften wohl eher am Rande stehen.

Dass Terrorismus und Organisierte Kriminalität zwar nicht unbedingt verschmelzen, aber doch gegenseitig von Kooperationen profitieren, ist kein Geheimnis - und trifft nicht nur in Kolumbien, sondern auch auf die islamistischen Märtyrer und Dschihad-Kämpfer zu. Insofern könnte schon stimmen, was der republikanische Kongressabgeordnete Mark Steven Kirk von einem Aufenthalt in Afghanistan und Pakistan berichtete:

Für mich ist klar, dass Heroin das Haupteinkommen von Osama bin Ladin ist. ... Die Ansicht, dass Osama bin Ladin sich auf Wahhabi-Spenden aus dem Ausland stützt, ist überholt. Und die Ansicht, dass er eine der größten Heroinhändler weltweit ist, ist die genauere und neuere Ansicht.

Am wichtigsten, die Kirk, sei es, Bin Ladin nicht mehr als Terroristen zu verstehen, sondern als Rauschgiftterroristen (narco-terrorist). Das könnte auch auf allen Seiten den Konflikt entmystifizieren. Kein Kreuzzug und kein Dschihad findet statt, sondern organisierte Banden, die sich mit Afghanistan schon einmal ein ganzes Land aneignen konnten, suchen durch Vermischung von kriminellen Geschäftsfeldern mit politischen und religiösen Ideologien und entsprechenden Handlungen zur Legitimation zu überleben und im Untergrund an Macht zu gewinnen. Damit freilich sind sie manchmal nur das Gegenstück zu Regierungen und Regimen, die sich, wenn auch nicht immer, auf die legale Wirtschaft und die legale Macht stützen, um ihren Interessen nachzugehen. Loretta Napoleoni spricht in ihrem Buch "Die Ökonomie des Terrors", das nächsten Monat auf deutsch im Kunstmann Verlag erscheint, vom globalen Kampf zwischen dem Kapitalismus und der "Neuen Ökonomie des Terrors". Das ist vermutlich eine Perspektive, die bislang noch zu wenig beachtet wurde (Die Ökonomie des Terrors).