Die Ökonomie des Terrors

In einem neuen Buch wird der islamische Terrorismus als Wirtschaftsphänomen untersucht und ein Kampf der Wirtschaftssysteme postuliert; 1,5 Billionen Dollar soll die Ökonomie des Terrors an Umsatz erzielen

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Nach dem 11.9. hat die These vom Kampf der Kulturen, die der Harvard-Professor Samuel Huntington vor 10 Jahren das erste Mal unter dem noch beeindruckenderen Originaltitel "Clash of Civilizations" in plakativen Zügen als globales Szenario nach dem Ende des Kalten Kriegs aufstellte, erneut Aktualität erfahren (Kampf der Kulturen: Der Westen geht gegen den Rest der Welt). Man könnte meinen, dass sowohl Terroristen, als auch die US-Regierung das Szenario mitsamt Kreuzzugs- bzw. Dschihad-Rhetorik Schritt für Schritt umsetzen wollten. Nun hat Loretta Napoleoni in einem neuen Buch das ebenso beeindruckende Szenario eines Kampfs zwischen zwei Ökonomien aufgespannt, der seit den 90er Jahren begonnen habe.

Loretta Napoleoni, die aus Italien stammt, hat ihre Doktorarbeit über die Roten Brigaden gemacht und seitdem das Phänomen des Terrorismus verfolgt. Ihrer Ansicht nach hat sich der Terrorismus, dessen Definition politisch ambivalent bleibt, seit dieser Zeit erheblich gewandelt. Zur Zeit des Kalten Kriegs seien Terrorbewegungen vor allem von Staaten wie Russland oder der USA gefördert worden. In den 70er Jahren sei dann beispielsweise mit der PLO oder der IRA ein privat finanzierter Terrorismus aufgekommen. Auch wenn es weltweite Verbindungen der Terrorgruppen bereits gegeben habe, sei die "Terrorökonomie" weitgehend lokal geblieben. Das aber habe sich grundsätzlich in den 90er Jahren, anfänglich vor allem in Afghanistan und in Tschetschenien geändert, als der "islamische Terror" oder der "Moderne Dschihad" - so auch der Titel ihres Buches - auf die Bühne getreten sei - vor allem mit saudischer und US-amerikanischer Förderung.

Der islamische Terror sei ein multinationales Phänomen, die muslimischen Terroristen wie die Gefolgsleute von al-Qaida operieren in vielen Ländern und beziehen auch ihr Geld von vielen Ländern. Der Terrorismus sei damit global geworden - und zu einem Wirtschaftszweig. Napoleoni will allerdings den Terrorismus nicht als primär politisches Phänomen untersuchen, sondern als wirtschaftliches. Mit der Analyse der "Ökonomie des Terrors" sollen möglichst die Einseitigkeiten politischer Definitionen vermieden werden, weswegen sie in ihrem Buch Modern Jihad: Tracing the Dollars Behind the Terror Networks auch nicht von Terrorismus, sondern von Terror als dem "Rekurs von bewaffneten Gruppen auf Gewalt" spreche.

Der islamische Terror sei davon geprägt, dass er oft in den Staaten von den politischen Kräften verfolgt werde, die ihn andererseits aber auch im Ausland gefördert hätten, weil sie meinten, ihn so von sich abhalten zu können. Er habe dabei gleichzeitig den arabischen Oligarchien und westlichen ökonomischen Interessen gedient sowie eine eigene Ökonomie aufhaben können, die Napoleoni als "Neue Ökonomie des Terrors" bezeichnet. Und in diesem Zusammenhang nennt die Autorin eine Zahl, die wohl für Diskussion sorgen dürfte (und dies wohl auch soll):

Ich habe dieses Phänomen als Neue Ökonomie des Terrors definiert, das ein internationales Netzwerk ist, das die unterstützenden und logistischen Systeme bewaffneter Gruppen verbindet. Heute ist die Neue Ökonomie des Terrors ein schnell wachsendes internationales Wirtschaftssystem mit einem Umsatz von etwa 1,5 Billionen US-Dollar, doppelt so groß als das Bruttoinlandsprodukt von Großbritannien.

Das wäre in der Tat eine gewaltige Summe, die sich nach Napoleoni sowohl aus illegalen Aktivitäten wie Waffen- und Drogenschmuggel oder Geldwäsche als auch aus legalen Aktivitäten wie Spenden von Wohlfahrtsorganisationen zusammensetzt. Das entspräche fast dem Bruttosozialprodukt Deutschlands (1.847 Milliarden Dollar) und 5 Prozent des globalen Bruttosozialprodukts (31.300 Milliarden Dollar) des Jahres 2001. Napoleoni spitzt ihre These zu, indem sie nicht nur auf die Bedeutung dieses Terrormarktes hinweist, sondern auch von einem Kampf der Ökonomien spricht, durch den die "westliche Hegemonie" bedroht werde:

Wir beobachten heute den globalen Kampf zwischen zwei ökonomischen Systemen. Das eine - der westliche Kapitalismus - ist dominant, der andere erhebt sich: die Neue Ökonomie des Terrors.

Die Religion sei dabei, so Napoleoni, wie einst bei den Kreuzzügen nur ein Vorwand, um Mitglieder zu rekrutieren. Das von den Moscheen geprägt Netzwerk, das vielfach mit saudischen Geldern gebaut und unterhalten wird, sei der Nährboden für den modernen Dschihad. Auch die radikalen extremistischen Gruppen und Religionsführer setzen ihrer Ansicht etwas anderes durch, als sie womöglich beabsichtigen. In Wirklichkeit gehe es um die Ökonomie, stecke ein Geflecht von Banken, Finanzinstitutionen, karitativen Organisationen, religiösen Gruppen und Geschäftsleuten dahinter. Und die "Neue Ökonomie des Terrors" sei zu einem Bestandteil der illegalen Wirtschaft geworden, in der viel Geld stecke, das in die westlichen Wirtschaftssysteme fließe und die Verflechtung zwischen diesen und der Ökonomie des Terrors stärke. Neben dem Cash-Fluss, der aus der Verflechtung von Terrorgruppen, organisiertem Verbrechen, Drogenhandel oder Geldwäsche stammt, sieht Napoleoni in dem Hawala-System einen völlig unkontrollierbaren Geldfluss, der nicht in das westliche System integriert sei und eine Art globale islamische Parallelwirtschaft darstelle. Dazu kommen noch weitere Eigenheiten arabischer Länder:

Das Steuersystem islamischer Länder macht es besonders schwer, den Geldfluss zu karitativen Organisationen zu überwachen. In Saudi-Arabien gibt es beispielsweise überhaupt kein Steuersystem, daher überprüft auch niemand die Konten und verfolgt die Ein- und Auszahlungen. Die Struktur des islamischen Bankensystems, das von der wahhabitischen religiösen Elite nach den Lehren des Islam geformt wurde, hilft auch nicht weiter. Die meisten Transaktionen erfolgen in Bargeld und hinterlassen keine Spuren. Daher ist nicht überraschen, wenn Carl W. Ford Jr., Staatssekretär im Außenministerium für Information und Forschung dem Geheimdienstausschuss des Senats am 6. Februar 2002 sagte, dass "das saudische Bankensystem nicht völlig transparent ist und dass Riad keine strikte Kontrolle über es besitzt". Das Scheitern beim Einfrieren der Terrorgelder hat den Geldpool, der den islamistischen Gruppen offen steht, fast unberührt gelassen, schätzungsweise zwischen 5 und 16 Milliarden Dollar jährlich.

Loretta Napoleoni: Sleeping with the Enemy

Das alles ist nicht ganz neu, zumal man sich auch auf der Ebene der UN darum bemüht, das finanzielle Netzwerk auszutrocknen und so den Geldfluss an die Terrororganisationen auszudünnen. Das aber hat bislang nach einem UN-Bericht keine wirklichen großen Erfolge gezeitigt (Letzter Stand des Finanzkrieges gegen den Terrorismus). Nach Napoleoni haben die USA und die UN bislang kaum an die Oberfläche gekratzt. Der US-Regierung wirft sie vor, nicht genug zu tun, zumal vor allem Republikaner mit der saudischen Elite verbunden seien. Beispielsweise löse sie sich nicht entschieden genug von Saudi-Arabien, wo die meisten islamischen Banken angesiedelt sind und woher vermutlich auch das meiste Geld zur Förderung radikaler islamischer Gruppen stammt. Das wahhabitische Saudi-Arabien hatte als einziges Land das Taliban-Regime in Afghanistan anerkannt. Auch die karitativen Organisationen, die oft von der saudischen politischen Elite geleitet werden, würden in Ruhe gelassen werden. Die saudische Regierung habe gerade einmal 6 von fast 250 solcher Organisationen verboten, die zudem nur in den Einkaufszentren gesammelt hätten. Allerdings ginge die verfehlte US-Politik weiter zurück. Schon die Clinton-Regierung habe die Verbindung der saudischen Oligarchie mit islamischen Terroristen trotz ausreichender Informationen nicht wirklich zur Kenntnis nehmen wollen.

Aber Napoleoni hat noch weitere Warnungen. Weil nämlich die "Neue Ökonomie des Terrors" so riesig und so verflochten mit den Wirtschaftssystemen der westlichen Länder sei, könnte es womöglich zu einer Wirtschaftskrise kommen, wenn man zu schnell vorginge. Gleichwohl müsse man so vorgehen, während die von der US-Regierung geführten Kriege in Afghanistan und im Irak sowie die Unterstützung von Regimen wie dem in Saudi-Arabien nur den Terror fördern. Im Augenblick, so sagte sie in einem Interview, sehe es so aus, als würden die Terroristen gewinnen.