Die Tschetschenen kommen - oder nicht?
Geschichte einer Terrorwarnung vor dem Champions-League-Finale
Am Samstag war es nicht nur der Regen, der Fußballfans die Laune verdorben hat. Eine Terrorwarnung geisterte durch die Medien. Islamisten planten womöglich einen Anschlag auf die Berliner Fanmeile (Anschlagspläne auf Public-Viewing-Veranstaltungen heute abend?). Was war an der Meldung dran?
Sechs Wochen ist es her, da rissen zwei Bomben während des Bostoner Marathons drei Menschen in den Tod und verletzten über 250 weitere teilweise schwer. Die Bombenleger: Tamerlan und Dhzokhar Zarnajew, Brüder mit tschetschenischen Wurzeln. Vermutlich islamistisch motiviert.
Der Terroranschlag von Boston kam für die US-Behörden wie aus dem Nichts. Dabei hatte es bereits zwei Jahre zuvor konkrete Hinweise auf einen der Bombenleger gegeben. Der russische Inlands-Nachrichtendienst FSB wandte sich im März 2011 an einen Verbindungsbeamten des FBI in der amerikanische Botschaft in Moskau. Ein in den USA lebender mutmaßlicher Islamist habe sich vermutlich "stark verändert", sprich radikalisiert, und plane eine Reise in den Kaukasus, um sich dort einer Terrorgruppe anzuschließen. Gemeint war Tamerlan Zarnajew.
Das FBI besuchte die Familie Zarnajew und befragte Tamerlan. Ohne Ergebnis. Es gab keine Hinweise, so heißt es von Seiten des FBI, dass der Kaukasier ein Terrorist sei. Kurze Zeit später erfolgte eine zweite Anfrage der russischen Behörden zu Tamerlan Zarnajew, diesmal bei der CIA. Wieder ergaben sich keine Beweise für terroristische Aktivitäten. Die US-Behörden nahmen Zarnajew dennoch auf eine Warnliste auf.
Hinweise auf mögliche geplante Terroranschläge in Deutschland
Hannover am vergangenen Donnerstag, 23.Mai 2013. Die Innenminister-Konferenz (IMK) tagt. Mit dabei auch der Präsident des Bundeskriminalamtes (BKA), Jörg Ziercke. Er bittet die Innenminister des Bundes und der Länder an jenem Tag in einer kleinen, vertraulichen Runde zusammen zu kommen. Der BKA-Chef möchte über die Terrorgefahr in Deutschland sprechen. Aus konkretem Anlass.
Die Kollegen des russischen FSB hätten das BKA vor kurzem kontaktiert, so berichtet Ziercke der Runde. Es gebe Hinweise über möglicherweise geplante Terroranschläge in Deutschland. Die Russen hätten einige Telefonate zwischen radikalen Islamisten abgehört und dabei beunruhigende Informationen aufgegriffen.
Konkret soll es um drei Islamisten aus der Kaukasus-Republik gehen. Alle drei besäßen Mobiltelefone mit deutschen SIM-Karten. Möglicherweise seien die Personen auf dem Weg nach Deutschland. Ein Islamist halte sich vermutlich bereits in der Bundesrepublik auf.
Ein deutsches Nachrichtenportal vermeldete daraufhin am Samstagvormittag, das BKA warne vor einem möglichen Terroranschlag auf der Fanmeile in Berlin während des Champions-League-Finales. Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) ruderte umgehend zurück. Es gäbe keine konkreten Hinweise auf Anschlagspläne und demnach auch keinerlei Grund zur Panik.
Und tatsächlich waren die Informationen des FSB eher vage und keineswegs konkret, was den Ort und den Zeitpunkt eines etwaigen Terroranschlags betrifft. Es gab keine Hinweise, dass explizit Fußball-Fans im Visier der Islamisten stehen. Nicht einmal, wie weit die Terrorpläne fortgeschritten sind, war aus dem russischen Hinweis ersichtlich.
Niemand soll sagen können, man sei nicht gewarnt worden
Trotzdem nahm das BKA die Warnung aus Moskau durchaus ernst. Gemeinsam mit den Kollegen des Verfassungsschutzes wurde umgehend nach den kaukasischen Extremisten gesucht. Wer könnte der potentielle Terrorist sein? Hält er sich in Deutschland auf? Falls ja, wo?
Mittlerweile, so ist aus Sicherheitskreisen zu vernehmen, ist zumindest eine der Personen, ein gebürtiger Tschetschene, identifiziert worden. Er soll Anhänger der kaukasischen Terrorgruppe "Kaukasisches Emirat" sein. Einer von mehreren hundert Sympathisanten der Organisation, die in Deutschland leben.
Die Ereignisse von Boston haben weltweit Konsequenzen innerhalb der Sicherheitsbehörden. Für die deutschen Vertreter des Verfassungsschutzes und des Bundeskriminalamtes bedeutet dies: Es kam vor kurzem zu Gesprächen mit den russischen Kollegen über die Gefahr, die von kaukasischen Islamisten ausgeht.
Niemand soll sagen können, man sei nicht gewarnt worden. So lässt sich vermutlich auch Zierckes Unterrichtigung der IMK-Runde verstehen. Das FBI ging Hinweisen aus Russland wohl nicht energisch genug nach. Sonst hätte man Tamerlan Zarnajew wohl wesentlich früher im Visier gehabt.
Der Fall der jüngsten Terrorwarnung zeigt, wie ernst deutsche Sicherheitsbehörden die Hinweise ausländischer Partnerdienste nehmen. Auch jene aus Russland, deren Nachrichtendienste nicht unbedingt in allen Bereichen - insbesondere der Spionage - als Partner verstanden werden.
Mitunter entsteht unnötig Hysterie
Dass aber die Kooperation zwischen deutschen und russischen Terroristenjägern seit Jahren gut und solide funktioniert, ist in der Sicherheits-Community kein Geheimnis. Der Kampf gegen den islamistischen Terrorismus wird sowohl in Berlin als auch in Moskau als eine absolute Priorität betrachtet.
Wenn es darum geht, die Reisebewegungen von Dschihadisten zu verfolgen, Terrorzellen zu identifizieren oder Unterstützernetzwerke aufzudecken, so hört man aus den Behörden, dann arbeitet die russische Seite geradezu vorbildlich mit den deutschen Kollegen von BKA, BfV und BND zusammen.
Beispiel Berlin, Oktober 2009. Der russische FSB wandte sich an die deutschen Kollegen mit dem Hinweis auf eine islamistische Terrorzelle in der Hauptstadt. Die Männer arbeiteten an Anschlagsplänen in der Kaukasus-Region oder in Russland, so die Information des FSB.
Die Berliner Sicherheitsbehörden gingen den Hinweisen nach und stießen auf drei arabischstämmige Deutsche. Nach mehreren Monaten Ermittlungsarbeit durchsuchten 140 Beamte des Landeskriminalamtes schließlich insgesamt 26 Wohnungen in Berlin. Drei Männer im Alter zwischen 28 und 36 Jahren wurden festgenommen.
Abschließend bleibt zur Terrorwarnung im Vorfeld des Champions-League-Finales zu sagen: Informationen über potentielle Terroristen und deren Anschlagspläne gibt es regelmäßig. Nicht immer sind sie belastbar. Manchmal entsteht unnötig Hysterie. Insbesondere wenn Informationen nach draußen sickern.