Die Türklinkentheorie als Schwachstelle im Skripal-Fall
Seite 3: Wenig glaubwürdige offizielle Erklärungen
- Die Türklinkentheorie als Schwachstelle im Skripal-Fall
- Kompetenzmangel und unzureichende Faktenkenntnisse
- Wenig glaubwürdige offizielle Erklärungen
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Dem Normalbürger fehlen sowohl Faktenwissen als auch medizinische und toxikologische Kenntnisse, um über die Art und Schwere der Vergiftung urteilen zu können. Allerdings dürfte ihn stutzig machen, dass die Skripals überlebten und offenbar wohlauf sind, obwohl bislang angenommen wurde, Nowitschok würde als eines der stärksten Nervengifte innerhalb kurzer Zeit zum Tod führen. Erste Zweifel dürften also geweckt worden sein. Für das Hinterfragen der zweiten Behauptung, die Infizierung sei durch Berühren der Türklinke erfolgt, bedarf es keiner Fachkenntnisse, sondern allein kriminalistischen Gespürs.
Gemäß der Videoaufnahmen der Kameraüberwachung, die von den Ermittlern am 5. September präsentiert wurden, hätte eine Präparierung der Türklinke durch Petrow und Boschirow zwischen 12:05 und 12:50 erfolgt sein müssen. Sergej und Julia Skripal wurden aber erst um 16:03 auf einer Parkbank im Avon Playground in bewusstlosem Zustand aufgefunden. Zwischen der Kontamination und dem Einsetzen der Wirkung klafften demnach drei bis vier Stunden. Während dieser Zeitspanne befanden sich Sergej und Julia Skripal in normaler Verfassung, wie ihre Aktivitäten und Zeugenaussagen belegen.
Wurde anfänglich die Anbringung des Gifts an der Türklinke durch ein geruchloses Gel vermutet, so geht die Polizei aktuell davon aus, dass es aufgesprüht wurde. Diese Wendung erscheint seltsam, da es bereits für einen Laien möglich sein dürfte, den Unterschied festzustellen. Dass die vermeintlichen Attentäter ihr Werk am helllichten Tag verrichtet und keine Schutzkleidung benutzt haben sollen, würde sie nicht gerade als professionelle Killer ausweisen. Augenscheinlich hatten sie weder die Absicht gehabt, ihre Identität zu verbergen, noch befürchteten sie infiziert zu werden. Beides erscheint wenig glaubhaft. Werden diese Bedenken zur Seite geschoben, dann muss die offizielle Theorie dennoch den Nachweis erbringen, dass
- eine Form des Nowitschok existiert, das mit zeitlicher Verzögerung wirkt
- und Nowitschok an der Türklinke haften bleibt und sich auf die Opfer überträgt.
Laut dem vom "Guardian" veröffentlichten Brief des britischen Sicherheitsbeauftragten Mark Sedwill an den NATO-Generalsekretär vom 13. April hätte Russland bis in die letzten Jahre an der Entwicklung von Nervenkampfstoffen gearbeitet und dabei speziell deren Anbringung an Türklinken getestet. Weder nannte er die Informationsquelle noch wurde deutlich, ob er über vage Hinweise oder einwandfreie Belege verfügt. Bezeichnenderweise wirft er der britischen Regierung vor, verunsichert durch die damaligen Falschinformationen über Massenvernichtungswaffen im Irak geneigt zu sein, "alle möglichen Indizien zu vernichten".
Ergänzend berichtete die "Daily Mail" unter Berufung auf britische Geheimdienstquellen, dass es Russland gelungen sei, eine Nowitschok-Version zu entwickeln, die erst mit Verzögerung wirke. Es hätte dabei die Absicht im Vordergrund gestanden, die eigenen Agenten rechtzeitig in Sicherheit zu bringen. Auch hier bleibt offen, auf welche Indizien oder Beweise sich der MI6 stützt.
Wie die meisten anderen Staaten unterwarf sich Russland in der Chemiewaffenkonvention dem "Verbot der Entwicklung, Herstellung, Lagerung und des Einsatzes chemischer Waffen". Diese trat im Jahr 1997 in Kraft. Wenn die britische Seite nun belegen kann, dass Russland weiterhin an der Entwicklung von Nervengiften forscht, dann wäre sie verpflichtet, dies der OPCW zu melden. Darüber ist aber nichts bekannt, wobei angenommen werden kann, dass London kaum auf die Gelegenheit verzichtet hätte, einen solchen Verdacht publik zu machen. Der Zeitpunkt der erhobenen Anschuldigungen stärkt die Vermutung, dass sie zu dem Zweck kreiert wurden, die offizielle Version im Skripal-Fall zu untermauern.
Annahmen mit geringer Wahrscheinlichkeit
Warum als Attentatsform ausgerechnet eine Präparierung der Türklinke mit Nowitschok gewählt worden sein soll, lässt sich nicht rational erklären. Neben den Gefahren für die Täter, überrascht zu werden und sich zu infizieren, bestand ein hohes Risiko, dass eine andere als die Zielperson nach der Klinke greift.
Dass es Russland gelungen sein soll, eine Form von Nowitschok zu entwickeln, deren Wirkung mit mehrstündiger Verzögerung eintritt, erscheint angesichts der bisherigen wissenschaftlichen Erkenntnisse recht zweifelhaft. Gleichwohl dürfte schwer zu erklären sein, wie unter realen Bedingungen hätte experimentiert werden können, was für einen erfolgreichen Einsatz unumgänglich gewesen wäre. Sollte die russische Führung - oder eine eigenmächtig handelnde Behörde - einen Anschlag auf die Skripals geplant haben, dann hätten reichlich Optionen zur Verfügung gestanden, die zuverlässiger und weniger riskant sind.
Ferner ist zu berücksichtigen, dass es sich bei den Opfern um Personen unterschiedlicher Kondition sowie verschiedenen Alters und Geschlechts handelt. Auch dürften sie kaum die gleiche Menge des Nervengifts abbekommen haben. Es wäre daher höchst unwahrscheinlich, dass die Wirkung bei beiden nach mehr als drei Stunden gleichzeitig eintreten würde. Dies musste aber der Fall gewesen sein, da andernfalls der zuletzt Betroffene einen Notarzt alarmiert hätte.
Da sich die Skripals durch Hautkontakt infiziert haben sollen, wären alle Personen akut bedroht gewesen, die dieselben Gegenstände zu einem späteren Zeitpunkt berührten. Die Ermittler verwiesen auf Spuren von Nowitschok in mehreren Proben, u.a. aus dem Restaurant "Zizzi" und dem "Bishops Mill Pub", in denen die Skripals verkehrten. Das Nervengift müsste ebenso auf Menschen übertragen worden sein. War ursprünglich beim Verdacht einer Fentanyl-Vergiftung von mehreren Infizierten die Rede, so tauchte diese Information später nicht mehr auf.
Einzig der Polizeibeamte Nick Bailey war nach offiziellen Angaben in Behandlung. Da er bei der vermeintlichen Übertragung des Nervengifts Handschuhe trug, müsste die Vergiftungsgefahr außerordentlich groß gewesen sein. Es wäre daher sehr wahrscheinlich, dass Teile des Krankenhauspersonals infiziert worden wären, zumal die polizeiliche Bekanntmachung einer Verwendung des Nowitschoks erst Tage später erfolgte.
Der Blogger Rob Slane sieht im Fall Nick Bailey eine der Achillesfersen der offiziellen Version. Da er sich an demselben Tag wie die Skripals infiziert haben soll, bestand anfangs die Vermutung, dies sei bei der Parkbank geschehen. Später hieß es, die Vergiftung wäre über die Türklinke von Sergej Skripals Haus erfolgt. Warum sollte Bailey aber dorthin geschickt worden sein, da zu diesem Zeitpunkt noch kein Kriminaldelikt angenommen wurde? Falls er dennoch das Haus aufsuchte und dabei mit dem Gift in Berührung kam, wäre es dann nicht naheliegend gewesen, sofort mit dessen Inspektion zu beginnen? Bis dahin vergingen nach offiziellen Angaben mehr als zwei Wochen und schließlich noch eine dritte, bis die Türklinke als vermeintliche Übertragungsquelle identifiziert wurde.
Um an der offiziellen Version festhalten zu können, müssten die folgenden Annahmen zutreffen:
- Die Tatverdächtigen agierten höchst unprofessionell; sie riskierten, überrascht zu werden und sich zu infizieren.
- Ob Nowitschok auf die Klinke durch ein Gel aufgetragen oder aufgesprüht wurde, konnte während der Probenahmen nicht korrekt festgestellt werden.
- Die für das Attentat Verantwortlichen haben sich für das Nervengift Nowitschok entschieden, obwohl es zuverlässigere Alternativen mit geringerem Risiko gibt.
- Russischen Experten war es im Widerspruch zu bisherigen wissenschaftlichen Erkenntnissen gelungen, eine Nowitschok-Version mit um Stunden verzögerter Wirkung zu entwickeln.
- Die britische Seite hatte Indizien oder sogar Beweise zu russischen Experimenten mit Nervengiften, die sie entgegen ihrer Verpflichtung nicht der OPCW meldete.
- Kondition, Alter und Geschlecht der Opfer sowie die Intensität des Kontakts hatten keinen Einfluss auf die Zeitspanne zwischen Infizierung und Wirkungseintritt.
- Außer den Skripals und dem Polizeibeamten Nick Bailey ist trotz des hohen Übertragungsrisikos keine weitere Person infiziert worden.
- Nick Bailey wurde zu Skripals Haus geschickt, obwohl noch kein Verdacht eines Kriminaldelikts bestand. Ungeachtet der hohen Wahrscheinlichkeit, dass er sich dort infiziert haben könnte, begann die Inspektion des Hauses erst Wochen später.
- Trotz unterschiedlicher Symptome einer Fentanyl- und Nowitschok-Vergiftung haben die Ärzte irrtümlich angenommen, dass die Skripals an der erstgenannten litten.
- Entgegen aller bisherigen wissenschaftlichen Erkenntnisse gelang es nicht nur, die Opfer nach der Infizierung mit Nowitschok am Leben zu halten, sondern offenbar auch mögliche Langzeitschäden abzuwenden.
Jede einzelne dieser Behauptungen erscheint als höchst zweifelhaft. Werden sie in ihrer Gesamtheit betrachtet, dann geht die Wahrscheinlichkeit des Wahrheitsgehalts gegen Null. Es bedarf offenkundig keiner speziellen Fachkenntnisse oder zusätzlichen Faktenwissens, um die Türklinkentheorie zu widerlegen. Simple Plausibilitätserwägungen erweisen sich als ausreichend.
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