Die UNO ist einfach korrupt!
Ken Loach über den Episodenfilm 11'09''01 SEPTEMBER 11 und dessen politische Hintergründe
Das von dem französischen Produzenten Alain Brigand initiierte Filmprojekt "11'09''01 SEPTEMBER 11" (vgl. 11 mal 11), das auf dem Festival von Venedig Premiere hatte, ist eines der Filmereignisse des Jahres: 11 exakt gleich lange Kurzfilme von 11 namhaften Regisseuren, die hier völlig frei in der Gestaltung persönliche Gedanken zu den New Yorker Terrorakten des vergangenen Jahres in Filmbilder fassen. Unter ihnen: Samira Makhmalbaf, Alejandro González Iñárritu, Sean Penn. Einer der eindrucksvollsten Beiträge ("Land & Freedom", "My Name is Joe") stammt vom Briten Ken Loach (vgl. "Der Kapitalismus wird untergehen!"): Eine perfekte Gratwanderung, die mit Kritik nicht spart, aber jene nach dem 11.September grassierende wohlfeile Salonrhetorik der Amerikakritik vermeidet, nach der es "ein wenig auch die Richtigen trifft".
Wie haben Sie den 11. September 2001 persönlich erlebt?
Loach: Ich war im Haus meiner Mutter, man rief mich an und wie sehr viele Menschen habe ich dann den Fernseher angeschaltet und den zweiten Teil des Desasters dort mit angesehen. Es schien mir ein irgendwie fantastisches, irreales Ereignis und auch ein Spektakel zu sein. Das Überraschendste daran war für mich aber am Ende gar nicht das Ereignis selbst, sondern die Tatsache, dass es nicht schon früher passiert ist. Die Amerikaner haben sich in der ganzen Welt so viele Feinde gemacht, dass früher oder später jemand zurückschlagen musste! Diese Art der Reaktion hatte ich aber natürlich auch nicht erwartet.
Hat der Westen etwas aus den Ereignissen gelernt?
Loach: Nein, die Anschläge wurden vielmehr umgehend ein Teil der US-Propaganda. Sie befeuerten noch zusätzlich ihre aggressive Außenpolitik. Sie halfen Bush und den Rechten in Amerika enorm. Das ist nur ein weiterer Beleg dafür, dass individueller Terrorismus nie sein Ziel erreicht. Es stärkte Bush und seine Kapazität, Krieg zu führen. Es zeigte sich bald, dass es auch in der Trauer eine Ungleichheit gibt: Die Trauer der amerikanischen Hinterbliebenen wurde in einer Art Endlosschleife über die ganze Welt verbreitet. Aber in Afghanistan haben die US-Truppen viel mehr Zivilisten getötet, als am 11.September in New York getötet wurden. Doch diese Toten sind vergessen, komplett anonym. Keiner legt eine Schweigeminute für sie ein.
In Ihrem Beitrag für "11'09''01 September 11" haben Sie die Attentate mit dem von den USA inszenierten Militärputch in Chile parallelisiert...
Loach: Ja, diese Datumsgleichheit ist eine bittere Ironie. Der Musiker Vladimir Vega hat ja bereits in meinem Film "Ladybird, Ladybird" mitgespielt. Er hat mich daran erinnert, dass der Staatsstreich in Chile auch an einem 11.September stattfand. Damals haben die USA Terroristen finanziert und die Demokratie angegriffen.
Einige Regisseure verweigerten sich dem Filmprojekt. War es für Sie von Anfang an klar, dass Sie mitmachen würden?
Loach: Ja, ich fand es sofort eine gute Idee. Eben weil das Ereignis sofort propagandistischen Zwecken unterworfen war, weil man nur eine Interpretation erlaubte. Dabei haben die USA eben anderenorts Freiheit und Demokratie angegriffen, zerstört. Ein solcher Film konnte dem andere, pluralistischere Blickwinkel gegenüberstellen.
Wie kann man den immergleichen Bildern, die sich in unserer Gedächtnis gebrannt haben entgehen?
Loach: Man muss sie benutzen, aber eben bewusst, und man muss sie variieren. Ich habe das in meinem Beitrag zum Film versucht: Die Bilder der Bombardierung des chilenischen Präsidentenpalastes sind denen aus New York überraschend ähnlich. Das hat die beabsichtigte Parallele verstärkt.
Wie war die praktische Zusammenarbeit unter den Teilnehmern?
Loach: Eine richtige Zusammenarbeit im Sinne gemeinsamer Abstimmung gab es nicht. Von den anderen Regisseuren habe ich nur ein oder zwei in Cannes getroffen, bevor der Film gemacht wurde. Alle haben die gleiche Summe Geld bekommen und konnten dann machen, was sie wollten. Produzent André Brigand, der alles ins Leben gerufen hatte, gab uns totale Freiheit. Wir haben ihm einmal unser Script gezeigt - aber eher aus Höflichkeit.
Was denken Sie über jene Reaktionen - vor allem aus den USA -, die dem fertigen Film nun "Antiamerikanismus" vorwerfen und von "Obszönität" sprechen?
Loach: Die sind ziemlich erfreulich, denn sie zeigen: Der Film tut weh. Wenn die Amerikaner zuviel applaudiert hätten, wäre es die Mühe nicht wert gewesen. Wobei: Ich glaube, die normalen Amerikaner verstehen den Film sehr gut, sehen, worum es uns geht. Und die Rechten werden ihn hoffentlich angreifen. Wenn sie es nicht tun würden, müsste ich mir Sorgen machen. Die USA sind eine sehr geschlossene Gesellschaft gegenüber Leuten, die abweichende Meinungen vertreten. Sie sind intolerant, schauen nur nach innen.
Ist die zivile demokratische Linke seit dem 11. September geschwächt?
Loach: Im Augenblick schon. Der 11. September hat den Rechten die Initiative zurückgegeben. Alle Menschen sind erschreckt, um ihre Sicherheit besorgt. Aber derzeit bildet sich eine starke Anti-Kriegsbewegung. Wenn die USA anfangen, den Irak zu bombardieren, wird sie noch stärker werden. Die Regierungen von Deutschland und Frankreich haben hier große Verantwortung. Sie müssen sich gegen den Krieg stellen.
Gerade scheint das Gegenteil zu passieren...
Loach: Ja, leider. Auch die UNO ist einfach korrupt! Es ist wirklich pervers, wie die UNO manipuliert wird, den Amerikanern zu gehorchen. Andererseits kann man schon spüren, dass der Widerstand stärker wird. Ich möchte nur daran erinnern, dass kurz vor dem 11. September der Weltwirtschaftsgipfel von Genua durch Demonstranten fast zum Platzen gebracht wurde.
Was machen Sie selber als nächstes?
Loach: Wieder einen Film, für den Paul Laverty, der bereits einige Filme für mich geschrieben hat. Er spielt in Nordirland, hat etwas mit dem dortigen Konflikt zu tun. Aber das ist alles bisher nur ein Einfall, nicht mehr. Ich kann nicht wirklich darüber sprechen.