"Der Kapitalismus wird untergehen!"
Regisseur und Trotzkist Ken Loach über falsches Leben und seinen Film "Bread and Roses"
Leben und Arbeiten der unteren Klassen ist das große Thema des britischen Filmregisseurs und bekennenden Trotzkisten Ken Loach, das er seit den sechziger Jahren in zahlreichen Varianten verfolgt hat. Während er mit Filmen wie "Riff Raff", "Raining Stones" oder "My Name is Joe" witzig-bewegende Alltagsportraits zeichnete, verknüpfte er in "Land and Freedom" und "Carla's Song" über den spanischen bzw. nicaraguanischen Bürgerkrieg Weltgeschichte mit dem Schicksal des Einzelnen. Mit "Bread and Roses" der gerade in deutschen Kinos läuft, drehte der 1936 geborene Loach erstmals in den USA, und erzählt anhand des Lebens zweier Schwestern mit leichter Hand vom Kampf des aus lateinamerikanischen Einwanderern bestehenden Reinigungspersonals für gerechte Löhne und Sozialversorgung. Das Interview wurde während des Filmfestivals von Venedig geführt, wo Loach bereits seinen nächsten Film vorstellte: "The Navigators" über eine Gruppe von Bahnarbeitern, die 1995 ein Opfer der Privatisierung wird.
"Bread and Roses" ist eine Feier der Kämpfe der Sans-Papiers, der illegalen Einwanderer die für elementare Rechte kämpfen. Diese Probleme gibt es auch in Europa. Warum haben Sie in den USA gedreht?
Loach: Der Film geht auf ein Drehbuch von Paul Laverty zurück, der in Los Angeles lebt, und der sich auf eine tatsächliche Geschichte bezieht. Wie er bin auch ich sehr beeindruckt von der Art und Weise, wie die Arbeiter sich dort organisiert haben. Auch für mich war es hochinteressant zu sehen: Dort sind die Gewerkschaften besser organisiert, der Kampf ist entschiedener. Natürlich sind die USA als das klassische Land von Toleranz und Einwanderung - in der Theorie - gerade auch für dieses Thema ein interessanter Schauplatz. Man kann sie an ihren eigenen Maßstäben messen - und sie sehen nicht gut aus. Ich zeige sie in einer Weise, in der sie nicht gesehen werden wollen. Davon abgesehen ist es stilistisch das geworden, was ich immer mache - kein Hollywood-Film.
Wie war es für Sie als Europäer, in Los Angeles zu drehen?
Loach: Los Angeles ist sicher einer der Orte, in denen es am schwierigsten ist, einen Film zu machen. Es geht immer ums Geld. Zudem gibt es viele Regeln, viel Reglementierung...
Nicht zuletzt durch die Gewerkschaften...
Loach: Ja schon. Aber die Funktionäre sind Weiße mittleren Alters, während die Mehrheit der Arbeiter Schwarze oder Latinos sind. Aber wir haben gute Erfahrungen gemacht: Viele Menschen voller Hilfsbereitschaft und Energie. Zudem wurden unsere Dreharbeiten mitunter behindert. Viele Unternehmer haben eine enorme Macht, die nicht wirklich in Frage gestellt wird.
In Ihren letzten Filmen beschreiben Sie die Veränderungen, denen das Leben von Arbeitern gegenwärtig unterworfen ist - Folgen der wirtschaftlichen Globalisierung. Wie haben sich die Produktionsbedingungen für Sie selbst verändert?
Loach: Auch ich spüre die Globalisierung. Alles wird viel intensiver, Arbeitsprozesse, die man früher ruhig und gelassen anging, müssen gerafft werden. Die kommerzielle Dominanz aller Tätigkeiten, aber auch in Vertriebsfragen und bereits bei der Planung von Drehbüchern wird immer größer. Das bildet der Film keine Ausnahme. Und es scheint keinerlei politischen Willen zu geben, der dem widersteht. Die Europäische Union ist im Prinzip eine Union für die großen Firmen. So ist die Macht der Studios größer denn je. Der Kampf für einen eigenständigen europäischen Film scheint nur da Erfolg zu haben, wo die Budget klein und bescheiden bleiben, die Regisseure daher unabhängig sind. So arbeite ich selbst auch, und im Vergleich zu anderen geht es mir gut. Aber natürlich war früher vieles einfacher.
In früheren Jahren arbeiteten die Regisseure enger zusammen, teilten ihre politischen Perspektiven. Wie verhält es sich heute? Fühlen Sie sich heute als einer Art letzter einsamer Reiter Ihrer Generation?
Loach: Nein, nicht wirklich. Ich war auch nie an irgendeiner Form von "Bewegung" beteiligt. Filmregisseure tendieren dazu, allein zu arbeiten, müssen das auch. Von diesen Gruppenprojekten habe ich nie so viel gehalten. Andererseits gibt es Figuren wie Bertrand Tavernier in Frankreich, den ich sehr schätze: Sehr engagiert, sehr politisch. Meine Vorstellung von Kino wird in England öffentlich nicht gerade unterstützt: Man will lieber "Full Monty", nette, ungefährliche Komödien mit "britischer" Note.
Woher kommt das?
Loach: Das ist das Erbe der 80er. Intelligente Dinge machen bestimmte Leute aggressiv. Das ist die Herrschaft des Kleinbürgertums und seiner Werte, die Ladenbesitzer-Mentalität. Alle studieren Business-Studies, Bilanzen schreiben, oder "Medien-Studien". Ich weiß nicht, was das überhaupt sein soll. Unsere ganze Gesellschaft wird seit den 80er Jahren von dieser Ideologie der thatcherschen Konterrevolution geprägt, die den Markt verabsolutiert: Achte nur auf Dich selbst, Wirtschaft und Effizienz regieren - wie ich das auch in "Bread and Roses" beschreibe. Auch Leute, die sich als anti-thatcheristisch bezeichnen würden, sind von diesem Denken infiziert. Denken Sie nur an Tony Blair, an diese ganze Labour-Party, die von der neoliberalen Ideologie durchdrungen ist. Der beweist nur: Es gibt ja gar keine Sozialdemokraten mehr! Die klassischen sozialdemokratischen Ideen einer vernünftigen Mischung von Privateigentum und öffentlichem Eigentum sind alle verschwunden! Ebenso der Glaube an mehr Gerechtigkeit durch Wohlfahrtsstaat. Die sozialdemokratische Linke existiert nicht mehr. Es bleibt nur die Frage, durch wen sie ersetzt wird: Wir haben Bush, wir haben Sharon, Berlusconi... - ein ganz rechte Hegemonie, die keinen kümmert!
Aber was würden Sie tun? Was ist die polische Alternative? Ihre Filme vermeiden zu einfache Lösungen...
Loach: Früher oder später werden das die Leute herausfinden. Die Antiglobalisierungs-Bewegung ist ein Anfang. Neue soziale Allianzen entwickeln sich. Aber viele Leute wählen gar nicht mehr, aus Enttäuschung. Und wenn sie wählen, dann Sozialdemokraten. Doch viele ihrer Wähler wollen diese nur noch scheinbar linken Parteien nicht. Sie wählen Sie im falschen Glauben, meinen Old-Labour, aber wählen Blair.
Wäre die Antiglobalisierungsbewegung ein Thema für Sie? Etwa ein paar Jugendliche, die nach Genua fahren, um zu demonstrieren?
Loach: Ja, das wäre gewiss interessant. Diese Bewegung ist wirklich ein optimistisches Signal. Man kann lange über Einzelheiten debattieren und über die richtigen Mittel, Globalisierung zu bekämpfen. Aber was sich nicht beiseite wischen lässt, ist dieses Gefühl, dass unser derzeitiges Leben nicht die richtige Lebensweise ist. Der Kampf verleiht Kraft. Man fühlt sich stärker, allein weil man etwas versucht hat. Wenn man abends nach Hause kommt, ist man erfüllter als am Morgen. Abgesehen davon müssen wir aber auch einfach an ein paar Ideen festhalten, oder an sie erinnern, die gerade nicht in Mode sind. Wir müssen die klassischen Texte von Marx lesen, müssen analysieren, was 1917 oder 1936 im Spanischen Bürgerkrieg falsch gelaufen ist. Man darf nicht zu pessimistisch sein, darf nicht glauben, dass ein Wechsel nicht möglich wäre. Man muss aber die Mechanismen unseres Systems verstehen.
Ihre Filme handeln ja weniger von der Schwäche der Linken, als von der Stärke der Rechten. "Bread and Roses" zeigt sehr genau, wie Kapitalismus funktioniert...
Loach:...und wie er an seinen eigenen Selbstwidersprüchen zugrunde gehen wird. Die Arbeiter in "Bread and Roses" haben Intelligenz, Energie. Sie organisieren sich auf neue Weise. Eine Kampagne, Kampf setzt Energie frei, Kameradschaft, Humor, Solidarität. Auch wenn es nicht gut läuft, kann man einen Witz erzählen. Diese Haltung wollte ich in dem Film feiern. Für das Brot kämpfen und für die Rosen. Zudem ist offensichtlich: Der Kapitalismus befindet auf Kollisionskurs. Man kann nicht immer noch mehr einsparen, nicht ewig Vergünstigungen kürzen, man kann das Familiensilber nicht zweimal verkaufen. Wir zerstören den Planeten. Dieses System muss und wird zusammenbrechen!
Das heißt: Es muss erst schlechter werden, damit alles besser wird?
Loach: In gewissem Sinn ja. Leider. Oder es gelingt, die Menschen so zu verschmelzen, dass sie vorher schon etwas tun. Auf politische Führung kann man nicht hoffen. Die Putzfrauen in "Bread & Roses" führen vor, was man tun kann: zusammenhalten und zumindest ein bisschen Widerstand leisten.