"Die USA haben es in Afghanistan verpfuscht!"

U.S. Central Command General Kenneth F. McKenzie am Hamid Karzai Flughafen, Afghanistan, 17. August 2021. Bild: US-Marine/gemeinfrei

Interview mit dem ehemaligen CIA-Agenten Robert Baer

Robert Baer ist ehemaliger Mitarbeiter des US-Geheimdienstes CIA. In seiner aktiven Zeit war er unter anderem im Irak, in Syrien und im Libanon eingesetzt. Seit er den Nachrichtendienst verlassen hat, arbeitet er als Autor und Sicherheitsanalyst.

Mister Baer, was war Ihr erster Gedanke, als Sie von dem Einmarsch der Taliban in Kabul erfahren haben?

Robert Baer: Mein erster Gedanke war, dass sich die Prophezeiungen vieler namhafter Experten, deren Warnungen und Expertisen leider vor 20 Jahren unerhört blieben, bestätigt haben, wonach der "War on Terror" von Anfang an falsch konzipiert war.

Sie gehörten auch zu diesen frühen Warnern. Nachdem Sie jahrzehntelang als CIA-Agent im Nahen und Mittleren Osten aktiv waren, in Zentralasien und auf dem Balkan, veröffentlichten Sie nach 9/11 ihre Bücher "Der Niedergang der CIA" und "Die Saudi-Connection", in denen Sie die Politik der USA im Nahen und Mittleren Osten scharf kritisierten, ja mit dieser abrechneten.

Robert Baer: Richtig, leider habe ich mit meinen düsteren Prognosen recht behalten. Die USA haben es in Afghanistan verpfuscht. Bedauerlicherweise hat es bisher auch noch keinen "Aha-Effekt" in Washington gegeben, also eine grundlegende Revidierung dieser völlig verfehlten Politik.

In den erwähnten Büchern, wie auch in Ihren Analysen, haben Sie immer wieder vor den engen Beziehungen der USA zu Saudi-Arabien gewarnt, Beziehungen, die Sie als "mit dem Teufel schlafen" umschrieben haben. Inwieweit sind diese Beziehungen, Sie sprachen sogar einst von einer "Komplizenschaft" zwischen Washington und Riad, in der Amerika seine Seele verkauft, für die aktuelle Lage in Afghanistan verantwortlich?

Robert Baer: Diese Beziehungen sind zu einem hohen Maße verantwortlich für das Desaster am Hindukusch. Zu Beginn des "War on Terror" baute man in Washington noch auf Pakistan als engen Alliierten beim Vormarsch in Afghanistan, basierend auf den Erfahrungen zur Zeit der sowjetischen Invasion in Afghanistan, wo Pakistan als Rückzugsraum diente für die Mudschahidin.

Washington nutzte diesen Umstand damals in den 1980-er Jahren dazu, den afghanischen Widerstandskämpfern im Kalten Krieg die notwendige militärische Unterstützung zu gewähren, um der Roten Armee maximal zu schaden. Außerdem wollte Washington vor den Augen der Weltöffentlichkeit beweisen, dass die USA als Alliierter der gesamten muslimischen Welt für Afghanistan gegen die gottlosen Kommunisten kämpfte.

Die Saudis nutzen diese Gelegenheit, ihre puritanische Form des Islams, den Wahhabismus, der bis dahin in der islamischen Welt eine Randerscheinung war, schlagartig zu verbreiten, und dabei auch noch die radikalen Hitzköpfe und loszuwerden, die das eigene Königshaus in Frage stellten im besten Fall als Märtyrer im afghanisch-pakistanischen Grenzgebiet.

Es war also eine "Win Win Situation" für die saudischen Wahhabiten, welche sich im Schatten der US-Aufrüstung der Mudschahedin vollzog.

Und diese fatale Entwicklung vollzog sich dann bis zum 11. September 2001, als in New York City die Türme des World Trade Centers einstürzten?

Robert Baer:: Ja, richtig, damals ahnte natürlich niemand, dass diese Freiwilligen ihre ureigenen Pläne verfolgten und letzten Endes ihren Hass gegen die Sowjets, gegen ihre eigenen Regime und letztendlich gegen uns Amerikaner richteten.

Vor allem wollte man der Erkenntnis, dass es sich um ein von Saudis konzipiertes Attentat handelte, keine Kehrtwende in der Beziehung zu diesem Königreich folgen lassen, vorwiegend aus ökonomischen Gründen. Stattdessen blies man zum Feldzug gegen das Afghanistan der Taliban. Gestatten Sie mir bitte aber noch einen Hinweis?

Selbstverständlich...

Robert Baer: Zwischen den 1980-er Jahren und dem 11. September 2001 kam es ja noch zu einem weltpolitischen Ereignis, nämlich dem Zerfall der UdSSR.

In dieser Zeit waren Sie ja auch im Einsatz- in den postsowjetischen, zentralasiatischen Republiken und in Afghanistan selbst.

Robert Baer: Exakt. Während in Afghanistan die Taliban auf dem Vormarsch waren, war ich in der Region im Einsatz. Dort wurde ich Zeuge, wie meine Regierung darum bemüht war, sich einen dauerhaften Zugriff auf die immensen Erdgas- und Erdölreserven Zentralasiens zu sichern, besonders in Turkmenistan und Kasachstan und plante, durch ehrgeizige Pipeline-Projekte, allerdings unter der Umgehung Russlands und Irans, diesen Zugriff abzusichern.

Afghanistan, wir reden jetzt von Mitte der 1990-er Jahre, war zu jener Zeit aus dem Blickfeld der USA geraten?

Robert Baer: Ja und Nein. Das Land hatte sicher seine Funktion erfüllt, als "Friedhof der Imperien" in diesem Fall für die Sowjetunion. Der Vormarsch der Taliban wurde von Washington natürlich wahrgenommen, aber eher nach dem Motto, lasst sie in Kabul einmarschieren und das kommunistische Regime Nadschibulla beseitigen, dann werden wir die Verhandlungen aufnehmen.

Kam es denn damals zu direkten Verhandlungen zwischen den USA und Taliban?

Robert Baer: Ja, im Zuge der erwähnten Pipeline-Projekte wurden die Taliban und Afghanistan plötzlich wieder interessant. Das Unternehmen Unocal "United Oil of California" plante den Bau einer gigantischen Gasleitung von Turkmenistan an die pakistanische Küste, quer durch Afghanistan.

Das Projekt wurde unter anderem von Ex-Außenminister Henry Kissinger protegiert und stieß beim damaligen Präsidenten Clinton auf offene Ohren. Clinton selbst traf sich mit dem turkmenischen Autokraten Saparmurat Niyazov und machte sich für den Bau der Gasleitung stark, die unter Umgehung Russlands und Irans den Zugriff auf das Gas sichern sollte.

Menschenrechte und der Fundamentalismus der Taliban waren damals kein Thema?

Robert Baer: Nein, schon damals dominierten kurzfristige ökonomische Interessen das Primat der US-Außenpolitik, wobei dieses Projekt auch im Interesse Saudi-Arabiens war… Die Taliban waren damals weder gemäßigter noch umgänglicher als heute. In diesen Tagen befand sich der schiitische Iran fast im Kriegszustand mit den radikalsunnitischen afghanischen "Gotteskriegern", was man in Washington auch als Chance wahrnahm.

Die nächste Falle

Hatten denn Sie als CIA-Mitarbeiter und ihre Kollegen die Regierung nicht vor den Folgen warnen können?

Robert Baer: Nein, das State Departement verschloss nicht nur die Augen vor der radikal-islamischen Außenpolitik, die Saudi-Arabien betrieb - vor der wir ständig warnten - gelegentlich leistete es dieser Politik sogar noch Vorschub. Es war klar, dass der Plan der USA und der Saudis, Erdgas- und Erdöl-Pipelines von Zentralasien bis nach Pakistan quer durch Afghanistan hindurchzuführen, den Taliban dabei helfen würde, an der Macht zu bleiben.

Die Sichtweise änderte sich erst am 11. September 2001, um dann in die nächste Falle zu tappen, deren vorläufiges Ende wir dieser Tage erleben.

Also wurden die Erkenntnisse der US-Geheimdienste nicht genutzt?

Robert Baer: So kann man es ausdrücken. Zu jener Zeit begann schon der Prozess der Bürokratisierung der CIA, flankiert von der Digitalisierung. Man ging davon aus, Kriege lassen sich durch Drohnen gewinnen und geheimdienstliche Erkenntnisse seien durch Internet-Recherche oder Abhörung der Kommunikationswege zu generieren. Beides hat sich als trügerisch erwiesen.

Diesbezüglich läuft alles auf die Erkenntnis hinaus, dass wir wieder anfangen müssen, Leuten zuzuhören, unabhängig davon, wie unangenehm und bedrohlich das Gehörte sein kann. Die CIA, wenn sie ihrer Aufgabe gewachsen sein möchte, hat keine Wahl, außer sich wieder vor Ort zu begeben, mit Leuten, die etwas von der Kultur und Geschichte der Region verstehen.

Das war die CIA, der ich selbst 1976 beigetreten bin: keine durch Hochtechnologie aufgerüstete Behörde, deren Mitarbeiter Washington nie verlassen. Solange das nicht wieder der Fall ist, werden wir weiter von Niederlage zu Niederlage taumeln.

Sie sprechen von Niederlagen, aber die USA befanden sich doch nach dem Untergang der UdSSR auf dem Höhepunkt ihrer Macht?

Robert Baer: Dabei handelte es sich um einen Pyrrhussieg. Bei genauer Betrachtung fällt auf, dass seit dem Triumph der Alliierten über Deutschland und Japan kein einziger Krieg mehr nachhaltig gewonnen wurde?

Sehen wir einmal von den konventionellen Großeinsätzen in Korea und Vietnam ab, so gab es nirgendwo, nicht einmal bei den belanglosen Scharmützeln von Somalia, beim gescheiterten Blue-Strike-Unternehmen im Iran, beim Einsatz der Contras in Nicaragua, vom Debakel Kennedys in der Schweinebucht ganz abgesehen, einen Sieg zu vermelden.

Im Südlibanon, im Irak, in Afghanistan hat sich längst bestätigt, dass die konventionelle Kriegsführung der Nato-Stäbe, aber auch Russlands und Israels, mit der Abnutzungsstrategie, die den Kern des asymmetrischen Krieges bildet, nicht zurechtkommt.

Welche innen- und außenpolitischen Folgen fürchten Sie, angesichts der Niederlage des Westens in Afghanistan?

Robert Baer: Innenpolitisch wird Präsident Biden stark unter Druck geraten, da meine amerikanischen Landsleute nur über ein kurzes historisches Gedächtnis verfügen. Biden wird, angesichts der Umstände des Rückzugs als Versager dastehen, ein Image, das er nur schwer wieder loswird.

Außenpolitisch wird es für die USA schwerer werden, Alliierte gegen die Volksrepublik China zu mobilisieren, da vor aller Augen sichtbar wurde, wie schnell sich die USA aus Konfliktzonen zurückziehen und ihre Verbündeten ihrem Schicksal überlassen.

Vielen Dank Robert Baer.

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