Die Ukraine, der Krieg und der Westen: Wann endet die Solidarität?
Seite 2: Ukraine-Partner: Die Atmosphäre ändert sich
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Dass sich die Atmosphäre verändert hat, stellte jüngst auch die britische Wochenzeitung The Economist fest. Drei Monate nach Beginn ihrer Gegenoffensive habe die Ukraine nur "bescheidene Fortschritte an der wichtigen Südfront in der Region Saporischschja" gemacht.
Dort versuchten die ukrainischen Streitkräfte, die Verbindung zwischen Russland und der Krim zu unterbrechen. "Die Frage, wie lange das dauert und ob es gelingen wird, beschäftigt die führenden Politiker des Westens", stellt der Economist fest und schreibt weiter:
Sie versprechen immer noch, der Ukraine zu helfen, "so lange es dauert". Aber Selenskyj, ein ehemaliger Fernsehschauspieler mit einem guten Gespür für sein Publikum, hat bei einigen seiner Partner einen Stimmungswandel bemerkt. "Ich habe diese Intuition, ich lese, höre und sehe ihre Augen, wenn sie sagen: 'Wir werden immer bei dir sein'", sagt er, "aber ich sehe, dass er oder sie nicht hier ist, nicht bei uns.
Einige Partner könnten die jüngsten Schwierigkeiten der Ukraine auf dem Schlachtfeld als Grund sehen, sie zu Verhandlungen mit Russland zu zwingen. Aber "das ist ein schlechter Zeitpunkt, weil Putin das auch merkt".
Wolodymyr Selenskyj im Economist
Auch in Deutschland könnte die Stimmung kippen. Derzeit ist eine Mehrheit von 56 Prozent skeptisch, dass der Krieg in der Ukraine auf diplomatischem Weg beendet werden kann, 41 Prozent glauben daran, ermittelte das ZDF-Politbarometer Mitte September.
Zum Meinungsbild gehört aber auch, dass der Ukraine-Krieg in der Problemwahrnehmung der Deutschen deutlich zurückgefallen ist. Nur noch neun Prozent der Bundesbürger bewegt der Krieg, ein Minus von 16 Prozentpunkten von April bis September, so der ARD-Deutschlandtrend Ende August.
Wichtiger seien den Menschen die wirtschaftliche Lage, Zuwanderung und Flucht, Umweltschutz und Klimawandel, soziale Ungerechtigkeit und die Energiewende.
Defizite der Ukraine-Debatte in Deutschland
Ein Grund für die Kriegsmüdigkeit der Deutschen mag auch in der Verengung des Diskussionskorridors liegen: Bestimmte Positionen wie die Forderung nach einem Verhandlungsfrieden werden im öffentlichen Diskurs kontinuierlich delegitimiert.
Aber auch die politische Kommunikation der Bundesregierung erschüttert die grundsätzliche Solidarität mit der Ukraine. Wenn Außenministerin Annalena Baerbock an die Ukraine gewandt etwa sagt: "Wir stehen an eurer Seite, solange ihr uns braucht – dann möchte ich es einlösen, egal, was meine deutschen Wähler denken."
Oder wenn sie auf einer Pressekonferenz mit ihrem ukrainischen Amtskollegen Dmytro Kuleba sagte, im Falle von Sanktionen gegen Russland, sei Deutschland "bereit, dafür einen hohen wirtschaftlichen Preis zu zahlen".
Die Situation ist auf vielen Ebenen verfahren. Und die traurigste Perspektive haben die Menschen in der Ukraine. Was wurde ihnen nicht alles versprochen? Die goldene Zukunft in der Europäischen Union. Die Mitgliedschaft in der Nato. Ein nationalstolzer Aufbruch unter gelb-blauer Flagge.
Bekommen haben sie ein Land mit derzeit gut 5,8 Millionen Flüchtlingen, Leid und Enttäuschung über hohle Hilfsversprechen.
Die Sommeroffensive 2023 war nicht der erhoffte Befreiungsschlag. Der Winter droht. Und entgegen allen Fehlprognosen schlagen täglich Drohnen und Raketen in ukrainischen Städten ein.
Es steht eine spürbare Angst im Raum: Nicht die ukrainischen Kämpfer an der Front könnten die Entscheidung herbeiführen. Entscheidend könnte der Wahlkampf für die Präsidentschaftswahlen in den USA in gut einem Jahr werden.
Vor allem die Republikaner nutzen die Milliardenhilfen für die Ukraine, um Stimmung gegen den politisch ohnehin angeschlagenen Präsidenten Joe Biden zu machen.
Und in Deutschland formiert sich eine Allianz von Sicherheitspolitikern über die Wagenknecht-Linke bis hin zur AfD, die – wenn auch sehr unterschiedlich motiviert – eine Exit-Strategie fordert.
"As long as it takes" – dieser Slogan könnte bald verhallt sein.
Es ist an der Zeit, dass wir uns Gedanken über die Zeit danach machen.
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