Ukraine-Krieg: Wie gut sind die Storm-Shadow-Marschflugkörper?
Hitzige Debatte über Verwundbarkeit, Einsatzmöglichkeiten und Treffsicherheit. Französische Fachleute halten gegen "Bashing". Kreml überlegt angemessene Antwort.
Da hat es doch tatsächlich ein Unterstützer der Ukraine gewagt, die Wunderwaffe als "Schrott"-Lieferung bezeichnet. Nicht nur bei Telepolis wird die britische Lieferung der Storm-Shadow-Marschflugkörper an die Ukraine hitzig diskutiert.
Der Tabubruch (Le Monde) beschäftigt Medien, Experten und Fachpublikum. Noch bevor bekannt ist, wie viele der Marschflugkörper in die Ukraine geliefert werden und wann sie eingesetzt werden können, geht die Erregung darüber schon in steile Kurvenfahrten.
Verwundbarkeit
Ganz oben steht die Erwartung, dass es sich um eine Waffe handeln könnte, die den Kriegsverlauf verändern könnte, dass sie ein möglicher "Game-Changer" sei. Ganz unten steht die Einschätzung, dass sie "kleinen Erfolgen zum Trotz" (Moon of Alabama) leicht von der russischen Abwehr abgeschossen werden kann. Großbritannien habe lediglich "seinen Schrott" hergegeben, kommentiert nicht etwa, wie zu erwarten wäre, ein Putin-Unterstützer, sondern ein Unterstützer der Ukraine.
Interessant sind seine Argumente. Sie stammen von einem jungen Forscher, der gerade am Oslo Nuclear Project an einer Promotion über Verbreitung, Einsatz und Verwendung nichtnuklearer strategischer Waffen arbeitet. Fabian Hoffman stellt die Storm Shadow in Bildern und Beschreibungen detailliert vor und dämpft beim Punkt der Verwundbarkeit die Erwartungen:
Bislang hat dieser Krieg gezeigt, dass niedrig fliegende Unterschallflugkörper abgefangen werden können, vielleicht sogar leichter als bisher angenommen. Wenn diese S-300 (gezeigt wird dazu das Foto eines ukrainischen S-300-Fahrzeugs, Einf. d. V.) tatsächlich 22 Kalibr-Marschflugkörper abgeschossen hat, gibt es keinen Grund anzunehmen, dass die russischen S-300 keine Storm Shadows abfangen können.
Ich gehe zwar davon aus, dass Storm Shadow über bessere aktive und passive Gegenmaßnahmen verfügt als die russischen Pendants, aber unverwundbar ist es nicht. Das System ist schließlich mehr als 20 Jahre alt. Der Einsatz gegen stark verteidigte Ziele wie die Brücke von Kertsch bleibt daher eine Herausforderung.
Fabian Hoffmann
Führende Zeitschrift für Verteidigungsfragen: Widerspruch
Dies erregte den Widerspruch der französischen Zeitung Défense & Sécurité Internationale (DSI), bescheidene Selbstbezeichnung: "seit 2005 die führende Zeitschrift für Verteidigungsfragen in Frankreich und der Welt". Immerhin ist der Storm Shadow-Marschflugkörper aus einer gemeinsamen britisch-französischen Produktion hervorgegangen, Frankreichs Marschflugkörper heißt Scalp. Es geht um die Ehre: "Es gibt ein ‚Aber‘ beim ‚Storm Shadow-Bashing‘ (das auch ein Scalp-Bashing ist)."
Das "aber" sieht so aus: Scalp "klebe" anders als Kalibr am Gelände, die Radarfläche sei auf Entfernung X geringer. Scalp sei weniger vom GPS abhängig als vergleichbare Lenkraketen und die Präzision sei höher. Im Fazit:
Tatsächlich ist es bei diesem "Schrott" wahrscheinlicher, dass er 1/ weiter weg, 2/ mit mehr Sprengladung, 3/ präziser 4/ ein Target trifft, das vergraben wird, als bei jeder Variante der HIMARS.
Défense & Sécurité Internationale (DSI)
Alles hänge von der Menge der gelieferten Marschflugkörper ab, heißt es am Ende. Die Schlagkraft könnte zum möglichen Ziel der "Brücke von Kertsch", der russischen Landverbindung zur Krim, passen.
Für den Einsatz gegen verbunkerte Kommandozentralen
Das Ziel wird in den Debatten öfter genannt, vor allem wegen der Sprengkraft der Ladung, die die Storm Shadow-Marschflugkörper mit sich führen können. Das System sei "vor allem für den Einsatz gegen verbunkerte Kommandozentralen und ähnliche gehärtete Stellungen vorgesehen", informiert das Militärblog Augen Geradeaus!.
Auch ein Spiegel-Artikel, der sich mit technischen Fragen befasst, hebt hervor, dass die Bezeichnung Langstreckenwaffe "missverständlich" sei, zumal die Exportversion eine auf 250 Kilometer reduzierte Reichweite habe. Es gehe um anderes.
Anpassung an ukrainische Kampfjets und Treffsicherheit
Einmal darum, dass mit diesen Raketen geplante Angriffe hinter der Front – auf wichtige Ziele für das Kommando und die Logistik des Gegners – unterstützt werden können, um die Schlagkraft und die Trefferwahrscheinlichkeit.
Allerdings spricht der Artikel, wie andere auch, davon, dass die Anpassung des Systems auf die Kampfflugzeuge, die der Ukraine zur Verfügung stehen, keine einfache Sache ist und dies auch mit einer größeren Treffsicherheit in Zusammenhang steht.
Kurz gesagt, es hat ganze Zeit gedauert, um Kampfjets der Ukraine ("MiG-29, Suchois der Typen Su 24, 25 und 27") dank polnischer Techniker dazu zu bringen, dass sie Shadow-Marschflugkörper transportieren und abfeuern können, aber die Verbindung der Systeme sei noch nicht komplett.
Der Artikel zitiert Douglas Barrie, einen Experten für militärische Luft- und Raumfahrt vom Thinktank International Institute for Strategic Studies (IISS), mit der Einschätzung, dass mehr Informationen mit den Lenkflugkörpern ausgetauscht werden müssten:
"Anspruchsvoller wären vielleicht das Einsatzplanungssystem und die Art der Informationen, die erforderlich sind, um die Fähigkeiten des Flugkörpers voll auszuschöpfen."
Der Spiegel-Artikel folgert daraus, dass die Waffen, um Punktziele mit hoher Wahrscheinlichkeit zu treffen, mit vielen präzisen Daten gefüttert werden müssten, andernfalls:
Wird das mit den ukrainischen Jets nicht gelingen oder werden zu viele von ihnen abgeschossen, könnte langfristig die Diskussion über die Lieferung von westlichen Kampfjets wieder Fahrt aufnehmen.
Spiegel
Für Le Monde steht die russische Führung von all diesen Schwierigkeiten abgesehen schon mit der Lieferung der Storm Shadow-Marschflugkörper vor einem grundsätzlichen Dilemma: Die Militärführung werde "sich entscheiden müssen, ob sie ihre strategischen Standorte in Schussweite lassen, mit dem Risiko, dass sie zerstört werden, oder ob sie sie über 250 Kilometer verlagern, was ihre Kriegsführung behindern wird".
Aus Russland ließ Kreml-Sprecher Peskow trocken verlauten: Die russische Führung stehe einer möglichen(!) Lieferung von Langstreckenraketen durch Großbritannien an Kiew ablehnend gegenüber und sei zu einer angemessenen Reaktion bereit.
Wie viele der Marschflugkörper bereits geliefert wurden und ob sie schon in der Ukraine sind, bleibt trotz der Äußerungen des britischen Verteidigungsministers Wallace noch unbestimmt.