Die Ukraine und die "Büchse der Pandora"
- Die Ukraine und die "Büchse der Pandora"
- Berufung auf das Minsker Abkommen, aber nur wenn es passt
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Das Atomwaffenarsenal der Nato meinte der heutige Bundespräsident Steinmeier nicht, als er als Außenminister die Metapher aus der griechischen Mythologie nutzte
Ende Januar verhandelte der Weltsicherheitsrat auf Antrag der USA über die Ukraine-Krise - die Positionen prallten offen aufeinander: Die Nato-Staaten werfen Moskau vor, einen Einmarsch in die Ost-Ukraine vorzubereiten. Russland wirft der Nato umgekehrt vor, die Prinzipien gleicher Sicherheit mit der Nato-Osterweiterung, Manövern und Waffen unweit der russischen Westgrenze zu verletzen.
Deutschlands neue Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) warnt vor einer "erneuten Aggression" Russlands und nimmt damit Bezug auf das Nato-Narrativ, demzufolge die Krim-Krise 2014 das Sicherheitsumfeld in Europa komplett geändert habe. Russland breche die Regeln der internationalen Politik und der Demokratie, die der Westen verteidige.
Die Gegenaufklärung hat es schwer, der Einseitigkeit dieses Narrativs die Entwicklung ohne Ausblendung eines Teils der entscheidenden Fakten entgegen zu halten: Im April 2014 warnte der damalige Außenminister und heutige Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier (SPD) im Bundestag, wer "sieben Jahrzehnte nach Kriegsende beginnt, bestehende Grenzen in Europa mutwillig zu korrigieren, der verletzt nicht nur Völkerrecht, sondern der öffnet eine Büchse der Pandora, aus der Unfrieden immer wieder neu entstehen wird".
Die Aussage, dass Russland zum ersten Mal nach dem Zweiten Weltkrieg in Europa mit einer Grenzverschiebung Völkerrecht gebrochen habe, nimmt zwar ein großer Teil der Öffentlichkeit der Nato ab, obwohl sie falsch ist. Denn sie übergeht z.B. die gewaltsame Landnahme der türkischen Armee auf Zypern, die seit 1974 kein Staat außer der Türkei selbst anerkannt hat und die heftige Zerwürfnisse in der EU hervorgerufen hat. Und sie macht den völkerrechtswidrigen Balkankrieg der Nato vergessen, der die Zerlegung Jugoslawiens nach sich zog.
Quorum für die Absetzung der Regierung in Kiew war nicht erreicht
Die Aussage, dass Russland in der Ukraine einen Rechtsbruch vornahm, auf den der Westen zu reagieren habe, übergeht den Fakt, dass der Krim-Krise die von der Verfassung nicht gedeckte, aber vom Westen gestützte Absetzung der Regierung der Ukraine vorausging. Dieser Vorgang führte zur Installierung der sogenannten Übergangsregierung Jazenjuk, die prowestlich ausgerichtet war.
Der damalige Präsident Janukowitsch wurde am 22. Februar 2014 aus dem Amt entfernt. Für die Absetzung wurden nur 72,89 Prozent der Stimmen im Parlament erreicht. Die ukrainische Verfassung schreibt 75 Prozent vor. Somit verfehlten die prowestlichen Kräfte das notwendige Quorum für diesen Akt. Und das, obwohl zum Zeitpunkt der Abstimmung bewaffnete Kräfte im Parlament waren. Zur sogenannten Übergangsregierung zählten Faschisten, wie es Gregor Gysi, damals Vorsitzender der Bundestagsfraktion Die Linke, in einer Rede am 13. März 2014 darlegte:
Der Vizepremierminister, der Verteidigungsminister, der Landwirtschaftsminister, der Umweltminister, der Generalstaatsanwalt das sind Faschisten. Der Chef des nationalen Sicherheitsrates war Gründungsmitglied der faschistischen Swoboda-Partei. Faschisten haben wichtige Posten und dominieren zum Beispiel den Sicherheitssektor. Noch nie haben Faschisten freiwillig die Macht wieder abgetreten, wenn sie einmal einen Teil davon erobert hatten. (…)
Swoboda hat engste Kontakte zur NPD und zu anderen Naziparteien in Europa. Der Vorsitzende dieser Partei, Oleg Tjagnibok, hat Folgendes wörtlich erklärt. Ich zitiere jetzt; Sie müssen sich anhören, was er wörtlich gesagt hat: "Schnappt euch die Gewehre, bekämpft die Russensäue, die Deutschen, die Judenschweine und andere Unarten."
Gregor Gysi, 13. März 2014
Diese Entwicklung wurde bis zum Staatsstreich – wie die frühere ARD-Moskau-Korrespondentin Gabriele Krone-Schmalz es in ihrem Buch "Eiszeit" juristisch korrekt nennt – und darüber hinaus von westlicher Seite unterstützt.
Die "Nebenaußenpolitik" von Stiftungen
Diese Unterstützung lief über Politikerinnen und Politiker sowie weniger offizielle Kanäle: Die Forschung beschreibe Stiftungen unter anderem "als 'diplomatische Hilfstruppen', die eine 'Nebenaußenpolitik' betreiben", schrieb Matthias Rude 2014 im Magazin Hintergrund. "Unabhängige Untersuchungen kommen zu dem Ergebnis, dass die rechtsradikalen Kräfte im Zuge der Proteste stark gewachsen sind. Die Heinrich Böll Stiftung (HBS) will davon nichts wissen."
Dabei habe Kyryl Savin, Leiter des Ukraine-Büros der Stiftung, noch 2012 den Zuwachs, den die Swoboda-Partei erzielt hatte, als bedenklich eingestuft und vom Vorsitzenden der Partei als einem Faschisten gesprochen.
16 Monate später hatte der Wind sich offenbar gedreht: Andreas Umland, wissenschaftlicher Mitarbeiter des Instituts für Euro-Atlantische Kooperation Kiew, schrieb in einem Beitrag der HBS, Begriffe wie "Faschisten" seien zur Bezeichnung der Swoboda-Anhänger unangebracht. Umland selbst sparte aber nicht mit Nazivergleichen und schrieb, beim russischen Präsidenten Wladimir Putin fänden sich "Ideen und Praktiken, die an die Politik des Dritten Reiches erinnern".
Nach diesen Ereignissen beschloss das ukrainische Parlament das Verbot von Russisch als Amtssprache und stieß damit die Bevölkerung in den östlichen und südlichen Landesteilen vor den Kopf:
In der mehrheitlich russischsprachigen Ost- und Südukraine nahmen viele Menschen angstvoll wahr, wie nationalistische Bewegungen, die keinen Hehl aus ihrer Russenfeindlichkeit machten, in Kiew Oberwasser bekamen. Die durchaus berechtigten Sorgen der Menschen im Osten und Süden des Landes wurden jedoch in der westlichen Welt in keiner Weise ernst genommen.
Gabriele Krone-Schmalz in "Eiszeit", 2017
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