Die Ukraine unter dem neuen Präsidenten
Seite 2: Das voraussichtliche Scheitern Selenskyis
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Er wird seine Entspannungspolitik im Donbaskonflikt wahrscheinlich nicht umsetzen können. Zum einen besetzen Rechtsradikale zentrale Schaltstellen der Macht. Zu ihnen gehören der Parlamentspräsident Andrij Parubij oder der Polizeichef Kiews. Die Rechtsextremen stellen nur etwa zwei Prozent der Bevölkerung, sind aber entschlossen, kampferprobt und oft bewaffnet.
Kann sich Präsident Selenskyi auf eine Polizei verlassen, die einem Innenminister untersteht, der als Patron rechtsradikale Einheiten gilt? Kann Selenskyi im Konfliktfall auf die Streitkräfte bauen, die teilweise Neo-Nazi-Formationen integriert haben? Wie werden die rund 25% der Ukrainer, die lang-verwurzelte nicht-ukrainische Kulturelemente ausmerzen wollen, auf eine Toleranz- und Entspannungspolitik reagieren?
Die extreme Rechte ist nicht stark genug, um die Ukraine zu destabilisieren, sie könnte in instabilen Verhältnissen aber einen Einfluss haben, der ihre Zahl weit übersteigt. Dies war unter Poroschenko teilweise der Fall, für die Zukunft könnte dies verstärkt gelten.
Poroschenko war zu Beginn seiner Amtszeit kein Hardliner, musste sich aber den extremen Nationalisten in zentralen Fragen beugen, z.B. der Blockade der Rebellengebiete. Nicht einmal der bisherige Präsident, seit langen Jahren Insider und Oligarch, konnte sich gegen eine radikale Minderheit durchsetzen, die von der breiten Mehrheit der Bevölkerung abgelehnt bis verabscheut wird. Wie soll dies dann dem Neuling gelingen?
Zudem will Selenskyi nur für eine Amtszeit antreten. Das schafft vielleicht zu viel Zeitdruck. Die Ausmerzung der Korruption, die Versöhnung der unterschiedlichen Lager innerhalb der Ukraine sowie die Lösung der Probleme im Donbas verlangen wohl mehr als nur eine fünfjährige Amtszeit.
Selenskyi und seine Mitarbeiter werden einige Dutzend führende Köpfe austauschen können. Viele Entscheidungsträger wie der Ministerpräsident und der Innenminister werden voraussichtlich bis zur Parlamentswahl im Oktober jedoch auf ihren Posten bleiben müssen. Und was ist mit dem - letztlich entscheidenden - mittleren Management in Exekutive und Judikative? Wäre es nicht erforderlich, tausende Abteilungs- und Referatsleiter aus Ministerien, Leiter von Finanzämtern Direktoren von Staatsbetrieben oder etwa Richter aus ihren Ämtern zu entfernen?
Viele belastete Apparatschiks werden auf die Seite des neuen Präsidenten wechseln wollen. Ist es möglich bzw. sinnvoll auf sie zu verzichten? Wer soll die entsprechenden Entscheidungen fällen? Selenskyi und die meisten seines Teams verfügen über keinerlei politische Erfahrung oder erprobte Strukturen.
Selenskyi will das korrupte System schreddern. Das ist deren Profiteuren nicht Recht. Was könnte man folglich im kommenden halben Jahr erwarten? Einen Vorgeschmack darauf gab es am Abend vor der Wahl: Ein Kiewer Gericht gab einer Klage statt, dass die Zulassung Selenskyis zur Präsidentschaftswahl unrechtmäßig erfolgt sein könnte. Es bestand die Gefahr, dass Selenskyi noch am Vorwahlabend vor dem Wahlsonntag die Nominierung entzogen werden könnte. Das war ein Warnschuss an Selenskyi
Vielleicht können wir in den kommenden Monaten etwas wie einen "rasenden Stillstand" erwarten: Selenskyi und seine Mannschaft werden zahlreiche Initiativen ergreifen. Alte Kader und Oligarchen werden dagegen tausendfach vor Gericht ziehen. Und die Initiativen bleiben im Sumpf des korrupten juristischen Systems stecken. Selenskyis Handlungsunfähigkeit würde oft als Inkompetenz gewertet. Sein Stern würde sinken. Aber so weit sind wir noch nicht, die Gefahren jedoch sind hoch.
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