Die Uni ist heute tot
Sie wurde von der Unternehmenskultur umgebracht
Die Hochschule soll nicht Jobs verschaffen, die im Übrigen heute flexibel und prekär sind: Sie muss gebildete und fähige Menschen erziehen, die sich ihrer eigenen Geschichte und der eigenen Zukunftsaussichten bewusst sind.
Das lehrt uns der Philosoph John Stuart Mill. Er sagte 1867 in seiner Rektoratsrede an der St. Andrew Universität:
"Die Universität ist nicht darauf ausgerichtet, das Wissen zu lehren, das für eine bestimmte Weise, den Lebensunterhalt zu bestreiten, notwendig ist. Es ist nicht ihr Zweck, kompetente Anwälte, Ärzte oder Ingenieure auszubilden, sondern gebildete und fähige Menschen."
Mills Rede wurde im Jahr 1867 gehalten (dem Jahr, in dem, Ironie der Geschichte, "Das Kapital" von Karl Marx veröffentlicht wurde) und scheint heute eine gnadenlose Tirade gegen die Ökonomisierung der Hochschulen zu sein, die gerade in Italien, aber nicht nur dort stattfindet.
Die Universität - warnt Mill - soll nicht Jobs verschaffen, sie muss hingegen gebildete und fähige Menschen heranbilden, die sich, fügen wir hinzu, ihrer eigenen Geschichte und der eigenen Zukunftsaussichten, ihrer Wurzeln und der eigenen Pläne bewusst sind; d.h. kritische und denkende Köpfe, die nicht nur berechnen, sondern in der Lage sind, falls erforderlich, gegen die heute dominante Ordnung der vollständigen Daseinsfälschung zu protestieren.
Zweck der Universität bleibt, laut Mill, die Förderung freier, denkender Individualitäten: Ihre Nützlichkeit besteht darin, Menschen auszubilden, die niemandem und nichts nützen, die also im höchsten Sinne des Wortes frei sind. Das Telos der Universität - nach Mills Worten - ist, das Wachstum "gebildeter und fähiger Menschen" zu fördern: Die Betonung liegt auf "Kultur", auf "Fähigkeit", sich in der Welt behaupten zu können, und vor allem auf "Menschen".
Schon die Wahl der Fakultät wegen deren Beschäftigungsmöglichkeiten ist, legt Mill nahe, irreführend: Die Universität ist nicht dazu da. Sie so zu verstehen, bedeutet, sie falsch aufzufassen und in die Verdinglichung der Ökonomisierung von Wirklichkeit und Bewusstsein abzusacken. Denn wer hätte sich jemals in Platons Akademie oder in Aristoteles' Lyzeum wegen der konkreten Möglichkeit, später "einen Job zu finden", "eingeschrieben"?
Übersetzung Jenny Perelli.
Diego Fusaro, 1983 in Turin geboren, lehrt Philosophie an der Mailänder Universität. Als unabhängiger Freidenker, intellektueller Dissident, der politisch weder rechts noch links anzusetzen ist, verblüfft er seit geraumer Zeit ganz Italien mit seiner eigenwilligen, neoidealistischen Auslegung des Marxschen Gedanken. In seinen Büchern beschreibt er die Widersprüche des Systems und des Lebens des postmodernen Menschen. Fusaro betreibt die Website filosofico.net.