Die Ursachen für die Ausschreitungen in Baltimore
90 Prozent der von der Polizei Festgenommenen sind Schwarze, Polizeibrutalität ist ein bekanntes Phänomen und in der 600.000-Einwohner-Stadt gab es 2012 60.000 Festnahmen
In der Nacht von Montag auf Dienstag brach sich Wut in Baltimore nach dem Begräbnis von Freddie Gray Bahn. Der junge Schwarze war vermutlich bei der Festnahme durch Polizisten verletzt worden. Der Grund der Festnahme ist noch unbekannt. Die Polizisten hatten den vor Schmerzen schreienden Schwerverletzten noch ohne einen Notarzt zu rufen abtransportiert. Als er schließlich in ein Krankenhaus eingeliefert wurde, fiel er ins Koma und starb eine Woche später. Ein Großteil seines Rückenmarks soll verletzt und sein Kehlkopf eingedrückt worden sein, was auf Polizeigewalt hindeutet. Später räumte die Polizeibehörde ein, dass die festnehmenden Polizisten sofort einen Arzt hätten rufen müssen.
In der dem Begräbnis des 25-Jährigen folgenden Nacht wurden 19 Polizisten verletzt, 15 Gebäude und 144 Autos angezündet und 200 Personen festgenommen. Larry Hogan, der Gouverneur von Maryland, ein Republikaner, rief den Ausnahmezustand in der 600.000-Einwohner-Stadt aus und forderte die Nationalgarde an. Gestern zogen bereits die ersten 1000 Mann der Nationalgarde in die Stadt, in der es ruhig blieb. Bis zu 5000 könnten in die Stadt kommen, dazu kommen 5000 Polizisten. Hogan drohte, es werde keine Wiederholung der Ausschreitungen mehr geben. Man werde so viele Sicherheitskräfte und Ressourcen zusammenziehen.
US-Präsident Barack Obama verurteilte die Gewalt und diejenigen, die mit Brecheisen ausgerüstet Türen aufstemmen und plündern, sagte aber, dass "einige Polizisten nicht das Richtige machen" und dass die Spannung zwischen der Polizei und den Schwarzen von einer seit Jahrzehnten schwelenden Krise verursacht werde. Die sei nicht neu. Was die Brandstifter und Einbrecher gemacht hätten, sei kein Protest, man müsse sie wie Kriminelle versfolgen. Sie hätten auch die Aufmerksamkeit von den tagelangen friedlichen Protesten abgelenkt. Seit Ferguson habe man bemerkt, wie Polizisten vornehmlich mit jungen, meist armen Schwarzen umgehen.
Es sei gut, dass man nun mit Videokameras und in Sozialen Netzwerken besser darauf aufmerksam machen kann. Man versuche, die Kommunen dazu zu bewegen, die Polizei besser zu schulen. Obama setzt auch auf Bodycameras für die Polizisten, um deren Handlungen zu dokumentieren. Und er erklärt, dass man die Armut in manchen Stadtvierteln angehen müsse. Hier würde man der Polizei die Dreckarbeit überlassen. Man müsse mehr in die Städte investieren, eine Reform des Strafrechts durchführen, damit es keine Pipeline von den Schulen in die Gefängnisse gibt und Menschen mit einer Vorstrafe keine Chance mehr auf einen Job haben, und die Ausbildung verbessern, so dass Kinder aus den armen Vierteln möglichst früh in den Genuss von Bildung kommen. Aus seinen Äußerungen geht aber auch hervor, dass er nicht daran glaubt, dass politisch solche Reformen umgesetzt werden, die einen langen Atem bräuchten.
Baltimore ist eine Stadt, auch wenn es dort seit 2010 mit Stephanie Rawlings-Blake eine schwarze Bürgermeisterin und einen schwarzen Polizeichef gibt, in der die lange schwelende Krise ziemlich deutlich auf der Hand liegt. Ob es Gangs waren, die zur Gewalt aufriefen, wie die Polizei sagte, ist nicht klar, diese streiten dies ab. Es gab Gerüchte, dass Highschool-Schüler in Baltimore von einer "Säuberung" phantasiert haben sollen. Am Montagnachmittag gab es jedenfalls Auseinandersetzungen zwischen Studenten und der Polizei.
Beleuchtend für die Stimmung in der Stadt dürfte aber das langjährige Vorgehen der Polizei sein, worauf CityLab hinwies. 2012 gab es 58.000 Festnahmen in der Stadt mit etwas mehr als 600.000 Einwohnern. 2011 waren gab es 62.000 Festnahmen. Die Jahre davor waren die Zahlen sogar noch höher, 2005 konnte ein "Rekord" mit mehr als 100.000 Festnahmen durch die Polizei von Baltimore verzeichnet werden. Ganz offensichtlich ging man hart und forsch vor, obwohl die Kriminalität rückgängig war. Zwischen 2006 und 2013 fiel die Kriminalität um mehr als 8 Prozent.
Wie die Baltimore Sun herausgefunden hat, zahlte die Stadt in den letzten vier Jahren 5,7 Millionen US-Dollar in mehr als 100 Fällen der Polizeibrutalität und Verletzungen der Bürgerrechte an die Opfer, zur Verteidigung der Polizisten wurden 5,8 Millionen US-Dollar ausgegeben. Das weist darauf hin, dass es in Baltimore Probleme gibt.
Dass es so viele Festnahmen und auch Verurteilungen zu Gefängnisstrafen gibt, auch wenn die meisten Menschen für Vergehen ohne Gewalt oder wegen Drogen verurteilt werden, könnte auch daran liegen, dass die Gefängnisse nicht von der Stadt, sondern vom Land betrieben werden. Die Stadt würde versuchen, die Zahl der Gefängnisinsassen allein wegen der Kosten zu reduzieren. Die Polizei in Baltimore kann hingegen so viele festnehmen, wie sie will, die Stadt muss für die Gefängniskosten ja nicht aufkommen.
Baltimore besitzt eines der größten Gefängnisse der USA und hat relativ zur Einwohnerzahl die größte Zahl der Gefängnisinsassen. 2010 saßen täglich 4000 Menschen im Gefängnis, die meisten in Untersuchungshaft. 73.000 Menschen wurden in den Gefängnissen aufgenommen, 35.000 kommen jährlich in das Baltimore City Detention Center. 90 Prozent der Festgenommen und Inhaftierten sind in Baltimore Schwarze und 60 Prozent jünger als 35 Jahre.