Die VLBs des Web: Google Print & Amazon
Wenige werden den noch in der Testphase befindlichen Service "Google Print" kennen, aber er könnte, zusammen mit Amazon, ein Monopol zur Suche und zum Kauf von Büchern werden
Wir müssen den 768 Seiten starken Antrag der Suchmaschinen-Firma Google auf die Zulassung zur Börse schon sehr genau lesen, um auf Seite 62 der "Form S-1" über den eigenständig ausgewiesenen Service "Google Print" zu stolpern. Wie bitte? Google macht in Print, in Bücher? Der auch auf der amerikanischen Homepage von Google nicht leicht zu findende Geschäftsbereich Google Print wird uns dann auch erst einmal als ein Google Service in der Testphase (Beta) vorgestellt, den es seit einem halben Jahr gibt.
Klar, jetzt so kurz vor dem Börsengang gehört Klappern zum Handwerk und es vergeht keine Woche, in der Google nicht irgendeine "News" oder "Info" in die Welt setzt. Gerade erst hat Google sich für die Technologiebörse Nasdaq als Handelsplatz für seine Aktien entschieden und Jeff Bezos, der Chef von Amazon, unterstützt, als "initial investors", öffentlich den Börsengang der wohl größten Suchmaschine des Internet.
Über "Google Print" allerdings gibt es so gut wie nichts zu lesen. Doch was ist das genau? Zusammengefasst können wir sagen: Der Service soll uns Informationen, die es im Internet nicht, aber eben in Buch-, Zeitschriften- oder Zeitungsform gibt, nahe bringen. "Für dieses Experiment", wie Google es nennt, "haben wir mit einer Anzahl von Verlagen ausprobiert, wie wir ihre Inhalte online darstellen können."
Die Inhalte der Verlage werden dabei von Google "gehostet" und nach dem gleichen System und mit der gleichen Technik katalogisiert und angezeigt, wie sie Google auch für die Suche nach Websites benutzt. Mit anderen Worten: Google möchte gerne, mit Hilfe der Verlage, Autoren, Agenten und/oder Rechteinhabern von Büchern, eine spezielle "Google-Suchmaschine für Bücher" machen. Statt also einfach in der Google-Maske und damit im Web zu suchen, können wir vielleicht eines Tages in der "Google Print"-Maske explizit nach Büchern suchen.
Wer ausprobieren möchte, wie das geht und aussieht, ruft die Google-Website auf und gibt in die Suchmaske NACH seinem Suchbegriff ein: "site:print.google.com". Die Suche nach einem unserem Lieblingsautoren sieht dann so aus: "Neal Stephenson site:print.google.com". Das Ergebnis spricht sofort für sich.
Statt Tausenden von Treffern bei einer normalen Google Web-Anfrage zu "Neal Stephenson" bekommen wir hier lediglich 42 Treffer anzeigt, die jeweils links oben mit dem Hinweis (BOOK) oder (MAGAZINE) versehen sind. Rechts neben der Treffer-Headline steht dabei, ob es einen Auszug aus dem Buch bei "Google Print" gibt. Alle Basisdaten, wie Umfang, Erscheinungsjahr, die ISBN, der Verlag, einige Pressestimmen und wo wir das Buch im Web kaufen können, werden selbstverständlich mit dem Auszug mitgeliefert. Guter Service, und ganz am Ende gibt es auch schon einen ersten bezahlten Web-Link. Über 60.000 durchwegs englische Titel soll Google bereits in "das Experiment" eingefüttert haben. Sollte der Börsengang über die Bühne sein, wird bei Google mehr als genug Kapital zur Verfügung stehen, um "Google Print" zügigst weiter zu entwickeln.
Was es nicht bei Amazon und Google Print gibt, gibt es nicht
Warum betrifft uns das, als Verlage, Buchhandlungen, Büchermenschen, Autoren oder Rechteinhaber? Die Antwort ist wieder ein Frage: Wer heute im Web ein Buch sucht, geht wohin? Natürlich zu Amazon. Er geht nicht zum "Verzeichnis lieferbarer Büchere" (VLB), weil er dort als normaler Mensch überhaupt nichts bekommt. Und er geht auch nicht zu dem inzwischen "outgesourcesten" buchhandel.de. Und das nicht nur, weil er diese Web-Adresse gar nicht kennt, sondern weil er dort, wenn er "Neal Stephenson" eingibt, keinen einzigen Treffer hat! Er müsste, Bibliografier-Logik, "Stephenson, Neal" in die dann erscheinende, unübersichtliche Suchmaske eingeben, um auf 15 Treffer zu kommen. Amazon bildet inzwischen ab, welche Bücher es gibt und welche nicht. Für den normalen Menschen und Internetnutzer ist Amazon zum VLB geworden: Was es hier nicht gibt, gibt's nicht. Basta! Und zwar auch in der "richtigen" Welt nicht. Das ist schon schlimm genug.
Und dass der Börsenverein des deutschen Buchhandels einer (1!) kommerziellen Buchhandlung dieses Feld kampflos überlassen hat, ist ohnehin absolut unverständlich. Wenn nun "Google Print" seine Pforten für weitere Titel, Autoren, Verlage und Agenten öffnen wird, ist absehbar, was passiert: In Kombination mit Google, Google News und dem hauseigenen Verkaufsdienst Froogle wird "Google Print" zum 2. VLB des Webs werden. Und hier wird nicht mehr getrennt werden zwischen lieferbar (VLB) und antiquarisch (ZVAB - Zentrales Verzeichnis Antiquarischer Bücher).
Nur: Wer hier nicht stehen wird mit seinem Buch, den wird's nicht geben. Basta. Denn Amazon und Google bilden für 95% der Nutzer ab, was das Web und damit die Welt für sie parat hält oder eben nicht. Laut der FOCUS -Studie "Der Markt der Bücher 2003" kaufen bereits 3,44 Millionen Menschen der insgesamt 37,9 Millionen deutschen Buchkäufer ihre Bücher im Web. Im Vergleich: 2002 gab es 2,9 Millionen Online-Käufer. Weitere 4,9 Millionen Menschen könnten sich das sehr gut vorstellen oder beabsichtigen es in Jahr 2004. Anders formuliert: Der Markt ist, bei gut 33 Millionen Bundesbürgern, die inzwischen einen Internetzugang besitzen, also längst noch nicht gesättigt - ganz im Gegenteil.
Die Verlage und alle Rechteinhaber müssen sich Gedanken machen, ob sie den Kardinalsfehler, den sie bei Amazon gemacht haben, bei "Google Print" wiederholen möchten: Sich wieder auf einen Web-Anbieter zu konzentrieren und sich ihm auszuliefern. Im Moment ist ihnen dazu nur zu raten, denn eine Alternative ist nicht in Sicht. Wer mitmachen möchte bei "Google Print" ruft die Website auf. Dort gibt es dann ein Kontakt-Formular.
Die Frage, die allerdings unter den Nägel brennt ist: Wer, wenn nicht der Börsenverein des deutschen Buchhandels und sein vielgelobter Wirtschaftsbetrieb MVB, wären besser geeignet, DIE neutrale "Buch-Suchmaschine" für das Web aufzubauen und anzubieten? Warum werden die von den Verlagen gelieferten und bezahlten VLB-Einträge nicht endlich so gut aufbereitet, dass sie für eine solche "Web-Buch-Suchmaschine" wirklich verwendbar sind? Warum gibt es nach wie vor keine neutrale Anlaufstelle im Web für Menschen, die sich für Bücher interessieren?
Hier braucht es kein Institutionengesabbel, keinen Branchendienst, kein Barsortiment und keine Buchhandlung, sondern die Website, die alle Bücher abbildet, die es gibt. Und zwar so, dass wir auch etwas über die Bücher erfahren und nicht mit Preis und Umfang abgespeist werden. Das ist Arbeit und keiner sagt, dass das leicht ist. Aber die Basis dafür ist mit dem VLB und ZVAB ja vorhanden. Und: "Google Print" wird es sowieso machen. Es ist also eine durchaus existenzielle Frage, die sich hier stellt: Wollen wir die Abbildung der "Buch-Welt" im Web weiterhin nur Amazon und "Google Print" überlassen oder glauben wir nach wie vor an die Vielfalt der Buchkultur, die wir auch im Web erfassbar, erzählbar und abbildbar machen müssen? Dann sollten wir schleunigst damit anfangen.