Die Wahrheit im Morgenland
Nicht Objektivität macht Al-Dschasira zur beliebtesten Nachrichtenquelle in der arabischen Welt, sondern Grundüberzeugungen, die al-Hurra niemals teilen wird
Uns kennen zu lernen, heißt uns zu lieben zu lernen: auf dieses optimistische Kernaxiom baut die groß angelegte Public Diplomacy-Anstrengung der US-Regierung. Eine Milliarde Dollar gibt die Bush-Regierung jährlich dafür aus, dass sich das Ansehen der USA in der Welt und besonders in den arabischen Staaten verbessert. Die Gründung eines arabischsprachigen Radiosenders, Al-Sawa (vgl. dazu USA vs. Demokratie "Arab Style"), und einer arabischsprachigen Fernsehstation, Al-Hurrah (vgl. dazu Saudischer Richter will das Anschauen des neuen US-Senders al-Hurra verhindern), sollte der arabischen Öffentlichkeit Augen und Ohren für das Verständnis der guten Absichten der Supermacht öffnen.
Es schaut und hört aber selbst unter den Studenten, die in den meisten Fällen noch offener sind als das ältere Publikum, kaum einer hin. Stattdessen hält man in der arabischen Welt unbeirrt daran fest, dass Al-Dschasira (vgl."Al-Dschasira verliert seine kritische Funktion") und al-Arabyia die wesentlich glaubwürdigere Berichterstattung über den Mittleren Osten liefern; selbst die großen Nachrichtensender wie BBC und CNN fallen gegen diese Präferenzen stark ab.
Zu diesem Ergebnis kommt eine kleine, aber bemerkenswerte Studie der amerikanischen Botschaft in den Vereinigten Arabischen Emiraten.
535 Fragebögen wurden hauptsächlich an der United Arab Emirates Universität in Al Ain verteilt (92%), der Rest in Shopping Malls. Das Alter der Befragten lag zwischen 18 und 25 Jahren. Zwischen den Antworten der Studenten und denjenigen ihrer nicht studierenden Altersgenossen gab es kaum Unterschiede: Die Verhaltensstrukturen und Meinungen waren beinahe "identisch", so die Studie. Gefragt wurde nach Präferenzen in der Mediennutzung und nach der Einschätzung der Glaubwürdigkeit der benutzten Medien und Nachrichtenquellen.
Die überwiegende Mehrheit (91%) der Studenten holen sich ihre Informationen vor allem aus Fernsehen (69 %) und Zeitungen (22%). Das Internet wird in den Emiraten, obgleich dort die höchsten Anschlussraten in der arabischen Welt verzeichnet werden, nur von 8 % als primäre Nachrichtenquelle benutzt, das Radio gerade mal von einem Prozent.
Bei der Internetnutzung war die Al-Dschasira-Webseite mit großem Abstand die meist besuchte. Vor allem aber wird der TV-Sender von Al-Dschasira als hauptsächliche Nachrichten quelle benutzt. Etwas beliebter war nur Abu Dhabi TV was aber an einer lokalen Bevorzugung der Studenten in den Emiraten liegen kann, an dritter Stelle folgt Al-Arabiya-TV.
Im Vergleich zu Al-Dschasira, das von 20% der Befragten regelmäßig und von 32% manchmal gesehen wird, verfolgen nur ganze 2% der Studenten die News des von den USA lancierten Senders Al-Hurrah regelmäßig. 9% schalten Al-Hurrah manchmal ein.
Wertegemeinschaft wichtiger als Objektivität
Die Ergebnisse korrelieren direkt mit der Glaubwürdigkeit, die man den Sendern unterstellt. Aufhorchen lässt hier, die Überzeugung der Befragten, dass keine Nachrichtenquelle als "objektiv" begriffen wird, Al-Dschasira aber als der Fernsehsender gilt, der am wenigsten vorurteilsbelastet ist und einmal wegen der Reportagen vor Ort und zum anderen wegen der Darstellung eines großen Spektrums an Meinungen und Perspektiven, was sich am deutlichsten in der Sendung Opposite Directions manifestieren soll, von den anderen Stationen abhebt. Al-Dschasira, dessen Sendungen auch die saudi-arabische Führung kritisieren, wird als freier angesehen als Al-Arabiya, das von den Saudis und Kuweit gegründet wurde, um al-Dschasira eine Konkurrenz entgegenzustellen. In die arabischen Staatssender hatte man demgegenüber gar kein Vertrauen.
Interessanterweise ist für die arabischen Studenten, die in ihrer großen Mehrheit (über 80%) zweisprachig sind - Arabisch und Englisch - die Verwendung des Wortes "Märtyrer" bzw. Schahid anstelle "Terroristen" und "Selbstmordattentäter" in der Berichterstattung ausschlaggebend in ihrer Beurteilung der Nachrichtenquellen.
Wie sich bei einzelne Interviews mit den Befragten herausstellte, sind Märtyrer bzw. Schahid keine "value-laden terms", keine Begriffe also, die von einem aufgeladenen Wert strapaziert werden; ihr Gebrauch sei "angemessen und glaubwürdig", da "innerhalb von Arabern und Muslimen" die Überzeugung herrsche, dass einige der Selbstmordattentäter Märtyrer sind und keine Terroristen. Die Glaubwürdigkeit, so die Folgerung des Berichts, stelle sich mithin nicht über Basis "tendenzloser" Berichterstattung über Fakten her, sondern bilde sich über eine gemeinsame Meinung, die eine vertrauenswürdige Beziehung zwischen dem Publikationsorgan und dem Nutzer herstellt.
So gesehen wird al-Hurra wohl auch in Zukunft keine Chance in der arabischen Öffentlichkeit haben. Die Public-Diplomacy -Initiative der Vereinigten Staaten stößt hier laut Verfasser der Studie an ihre politischen Grenzen:
Das Problem ist: Viele Araber, die fest davon überzeugt sind, die Amerikaner im Irak seien Besatzer, die palästinensischen Selbstmordattentäter "Märtyrer" und ihre Regierungen korrupt, ohne jede Unterstützung in der Bevölkerung, sehen die US-Medien-Alternativen, die diese fundamentalen a-priori-Überzeugungen verleugnen, niemals als so glaubwürdig an wie deren arabische Konkurrenz, die solches anerkennt und damit sympathisiert.