Saudischer Richter will das Anschauen des neuen US-Senders al-Hurra verhindern

Die Annahme der irakischen Übergangsverfassung ist ein wichtiger Beginn für eine andere Politik im Irak, gleichwohl könnte die von außen auferlegte Demokratisierung einer wirklichen Veränderung der Region auch schaden

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Wie brüchig und vorläufig die irakische Übergangsverfassung auch immer sein mag, die gestern von den Mitgliedern des von der US-Regierung eingesetzten Regierungsrats unterzeichnet wurde, so ist sie gleichwohl ein wichtiger Schritt nach vorne auf dem Weg zu einer Demokratie und könnte für die Region vorbildlich werden. In Afghanistan wurde die Chance vertan und Konflikte durch die starke Betonung des Islam programmiert (Kein Gesetz darf den Prinzipien des Islam widersprechen). In anderen Ländern wie im Iran (Iran säubert das Netz; Keine Wahl, sondern eine Verabredung) oder in Saudi-Arabien suchen die Konservativen sich jedoch gegen Veränderungen zu stemmen.

Manche der Regierungen von arabischen Staaten haben wohl auch unter dem Druck der Neuorganisation des Nahen Osten seitens der US-Regierung meist sehr vorsichtig damit begonnen, mehr Demokratie zuzulassen und vor allem auch den Frauen mehr Rechte einzuräumen. Die Männerdominanz in den muslimischen Gesellschaften ist wohl einer der Gründe für deren Situation und für die fundamentalistische Auslegung des Islam. Während in der afghanischen Verfassung steht, dass keine Gesetze dem Islam widersprechen dürfen, betont die irakische Übergangsverfassung, dass der Islam zwar die Staatsreligion sei und als "eine Quelle der Rechtsprechung" betrachtet werde, aber dass künftige Gesetze weder die allgemein anerkannten islamischen Prinzipien noch die demokratischen Prinzipien und die in der Verfassung aufgeführten Menschenrechte verletzen darf. Mindestens ein Viertel der Sitze im Parlament sollen von Frauen besetzt werden. Allerdings scheint die Lage der Frauen und Mädchen im Irak derzeit durchaus prekär zu sein.

Wie die Verfassung umgesetzt wird, ist natürlich eine andere Frage, zumal offenbar der Widerstand der Schiiten gegen diese groß gewesen ist. Nur mühsam überdeckt werden damit die bestehenden Differenzen über die künftige Machtverteilung und die Ansprüche an Autonomie in dem Staat, der lange Zeit durch die Diktatur Husseins zusammen gehalten wurde. Tatsächlich ist aber auch schon die Legitimität der Übergangsverfassung, die ja nur vom dem nicht vom irakischen Volk, sondern von der USA eingesetzten Regierungsrat gebilligt wurde, angreifbar. Ajatollah Ali el Sistani, der einflussreichste schiitische Geistliche, kritisierte bereits die Übergangsverfassung, die die Einheit des Landes gefährde, und sprach ihr in einer Fatwa die Legitimation ab, wenn sie nicht von einem gewählten Parlament angenommen wird.

Problematisch dürfte auch schon die Bildung einer Übergangsregierung werden, die ab 30.6.2004 die Macht übernehmen soll ("This government shall be constituted in accordance with a process of extensive deliberations and consultations with cross-sections of the Iraqi people conducted by the Governing Council and the Coalition Provisional Authority and possibly in consultation with the United Nations.") Die Übergangsregierung soll die Wahlen vorbereiten, die bis 31.12.2004, spätestens aber bis 31.1.2005 stattfinden müssen.

Die starke Betonung von pluraler Demokratie, unbedingter Achtung der Menschenrechte sowie der Frauenrechte ist natürlich auch dem Druck der US-Regierung zu verdanken. US-Zivilgouverneur Paul Bremer hatte bekanntlich mit einem Veto gedroht, wenn der Islam als als die Quelle für das irakische Recht erklärt werde. Die Ankündigung hatte zwar Proteste hervorgerufen, aber die Übergangsverfassung ist eben eine solche und dazu noch dehnbar, weswegen die ernsteren Konflikte eher um die künftige Machtverteilung vor allem zwischen den Schiiten und den Kurden gingen. Der kurdischen Minderheit wurde die Möglichkeit eingeräumt, gegen die endgültige Verfassung ein Veto einzulegen, auch wenn die Mehrheit sie billigt.

Kampf der Medien und Ideologien

Die US-Regierung wollte mit dem Sturz Husseins im Irak im Sinne einer Dominostrategie eine Musterdemokratie errichten, das auf die Region ausstrahlt und diese umkrempelt. Ob dies gelingen wird, ist eine andere Frage, zumal nun demokratische Reformen als amerikanisches Paket erscheinen, das den arabischen Ländern aufgedrängt wird. Die Fundamentalisten erhalten so eine Art Legitimation, die Abwehr von politischen Reformen mit dem Erhalt der muslimischen und nationalen Identität und Souveränität zu verbinden, was auch als ideologischer Sprengstoff von al-Qaida eingesetzt wird.

Gerade eben wieder demonstrierte Sheikh Ibrahim Al-Khudairi, Richter am Obersten Islamischen Gericht in Riad, wie das geht. In einer Fatwa, die in der saudischen Zeitung al-Hayat veröffentlicht wurde, ordnete er an, dass das Anschauen des Programms des amerikanischen Fernsehsenders al-Hurra verboten sei. Es soll auch keine Werbung dort geschaltet, eine Kooperation mit ihm sei auch verboten. Teufelszeug also. Fatwas sind nicht bindend, aber solche Aktionen zeigen doch, dass die reaktionären Kräfte sich zunehmend bedroht fühlen und Angst vor den Inhalten haben, die über die Medien ins Land kommen.

Der durch amerikanische Steuermittel finanzierte (62 Millionen Dollar für das erste Jahr) Fernsehsender al-Hurra (Der Freie) hat letzten Monat mit seinem Programm begonnen und deckt 22 arabische Länder ab. Zunächst sendet er ein kostenloses tägliches 14-Stunden-Programm ohne Werbung, das bald zum 24-Stunden-Programm ausgebaut werden soll. Er soll die von amerikanischer Seite kritisierte einseitige Berichterstattung arabischer Sender wie al-Dschasira ausgleichen und tritt damit als Maßnahme neben den schon länger existierenden Radio Sawa. Im Irak selbst hat das Pentagon den alten Hussein-Sender übernommen und daraus mit bislang eher mäßigem Erfolg das Iraq Media Network aufgebaut. Al-Hurra hingegen wird vom Broadcasting Board of Governors (BBG) betrieben, der u.a. auch verantwortlich ist für Voice of America, Radio Farda, Radio Free Europe/Radio Liberty (RFE/RL) oder Radio Free Asia (RFA). Auftrag des Senders ist die Übermittlung von "genauen, ausgewogenen und umfassenden" Informationen, allgemein sollen die BBG-Programme Demokratie und Meinungsfreiheit fördern:

The mission of U.S. international broadcasting is to promote the open communication of information and ideas, in support of democracy, and the freedom to seek, receive, and impart information, worldwide.

Al-Hurra beschäftigt an die 200, meist arabische Journalisten, hat seinen Hauptsitz aber nicht in der Region, sondern in Springfield bei Washington. Direktor ist Mouafac Harb, der zuvor das Büro der Zeitung al-Hayat in Washington geleitet hat, in der nun wiederum die Fatwa gegen al-Hurra publiziert wurde. Auch wenn der Sender tatsächlich ausgewogen berichten sollte, dürfte er für viele in der Region als Sprachrohr der USA gelten. Vorgeworfen wurde ihm von Beginn an, dass es sein Ziel sei, die islamischen Werte zu zerstören und die Menschen einer Gehirnwäsche zu unterziehen. Auch nach dem Start gab es viele ablehnende Aussagen in den arabischen Medien, die vielleicht auch nur Angst vor Konkurrenz haben.

Der saudische Richter und Geistliche, der sich zwar das Programm nicht näher angeschaut haben soll, aber meint, er habe darüber genug gelesen, behauptet dennoch präventiv, dass er "einen Krieg gegen den Islam führen und die Welt amerikanisieren" will. Er verbreite "Korruption", sein alleiniger Zweck sei es, die Araber "zu schwächen und zu kontrollieren", "amerikanische Agenten" seien bei ihm beschäftigt.

Das Ziel des Senders ist es, die amerikanische Hegemonie über die Welt in den religiösen, politischen und sozialen Bereichen zu befördern.

Für den Richter ist der Sender schlicht ein Bestandteil des "andauernden ideologischen Kriegs, der heimlich darauf ausgerichtet ist, die arabische Identität und die Eigenschaften des Islam zu zerstören". Die Verbreitung des "Unglaubens" sei sein Ziel. Symptomatisch setzt der saudische Richter damit Aufklärung und Demokratie gleich mit amerikanischen Interessen, allerdings konform mit der US-Regierung, die ihre Politik durch weltgeschichtlichen Auftrag zur Demokratisierung begründet sieht.

Liberalisierung und Aufklärung hatten auch in Europa die Macht des Klerus geschwächt und schließlich zur Trennung von Kirche und Staat geführt. Das steht wohl auch in allen muslimischen Ländern früher oder später an, möglicherweise aber haben es die reformerischen Kräfte in der Region nun noch schwerer, weil der Aufbruch nicht von innen kommt, sondern von außen aufgedrängt zu sein scheint (und ist). Wahrscheinlich hätte beispielsweise allein auch schon die Vielzahl der miteinander konkurrierenden Medien, die in der letzten Zeit entstanden sind, neben demokratischen Reformen zu einer allmählichen Veränderung der Kultur geführt, ohne dass die US-Regierung noch einen Regierungssender hätte etablieren müssen, dessen bloße Existenz bereits das Misstrauen schürt.

Aber da die US-Regierung vor allem daran zu glauben scheint, dass die ablehnende Haltung vieler Menschen in der Region vornehmlich durch die falsche Information von einseitigen Medien wie al-Dschasira und Co. verursacht wird und andere Informationen das Image der USA ohne politischen Kurswechsel verbessern würden, ist al-Hurra selbst ein Symptom der wechselseitigen Missverständnisse und der jeweiligen Machtinteressen.