Kein Gesetz darf den Prinzipien des Islam widersprechen
Der mit Spannung erwartete Verfassungsentwurf für die "Islamische Republik Afghanistan" ist ein Kompromiss, der vieles gefährlich offen für islamistische Fundamentalisten lässt
Am Montag wurde der Entwurf für die neue Verfassung Afghanistans nach langen Verzögerungen veröffentlicht. Grund für die Verzögerung war die Schwierigkeit für die 35-köpfige Verfassungskommission, die Prinzipien der islamischen Gesellschaft mit einer Demokratie nach westlichem Muster zu verbinden. Obgleich man sich im Weißen Haus beeilte, das Ergebnis als "wichtigen Meilenstein in der politischen Entwicklung Afghanistans" zu feiern, ist noch keineswegs sicher, ob nicht doch noch die Scharia, das islamische Recht, in der endgültigen Verfassung gestärkt wird. Interessant ist dieser Prozess einer Verfassungsgebung für eine islamische Demokratie im vom Westen "befreiten" Afghanistan natürlich auch für den Irak und für die gesamte muslimische Welt.
Im Dezember wird von der 500-köpfigen Loya Dschirga, deren Wahl Anfang Dezember erfolgt, die endgültige Verfassung festgelegt. Der Verfassungsentwurf mit 12 Kapiteln und 160 Artikeln, der von Interimspräsident Hamid Karsai im Präsidentenpalast am Montag im Beisein des ehemaligen Königs Mohammed Zahir Shah vorgestellt wurde, wird in Kabul in einer Auflage von über 100.000 gedruckt und im ganzen Land verteilt, sowie in den Zeitschriften Kellid und Morsal veröffentlicht. Damit sollen alle politischen Kräfte und im Prinzip die gesamte Öffentlichkeit die Möglichkeit besitzen, über den Verfassungsentwurf der Kommission, die von Karsai im Oktober 2002 einberufen wurde, zu beraten. Im Juni nächsten Jahres sollen dann die Präsidentenwahlen stattfinden, spätestens ein Jahr danach die Parlamentswahlen.
Der Entwurf für die "Islamische Republik Afghanistan" ist, wie allgemein beschrieben, sicherlich ein Kompromiss, der aber die Bewährung noch bevorsteht, weil er sich bei wichtigen Fragen, die die Bindung an den Islam betreffen, doch bedeckt oder im Ungefähren hält. Im Vordergrund stehen zumindest noch die Bemühungen, aus Afghanistan nicht nur wieder einen einheitlichen und souveränen Staat zu machen, was bislang keineswegs der Wirklichkeit entspricht, sondern auch eine Demokratie, die westlichen Mustern entspricht. Klar wird die Einhaltung der Menschenrechte, die Meinungs- und Pressefreiheit sowie die Gleichheit aller Bürger vor dem Recht betont. Das betrifft vor allem die Frauen, denen auch in den beiden Kammern des Parlaments ein Mindestanteil gesichert wird. Zudem wurde das Recht auf Bildung in die Verfassung aufgenommen. Gefördert werden soll ausdrücklich die Ausbildung von Frauen und die der Nomaden.
Nach amerikanischem Vorbild - und wohl zunächst auf Karsai zugeschnitten - ist die Staatsform auf den Präsidenten ausgerichtet, der vom Volk für fünf Jahre gewählt wird und die Regierung bestimmt. Der Präsident muss nicht nur 40 Jahre alt sein und von afghanischen Eltern abstammen, sondern er muss auch Muslim sein und schwören, die "Prinzipien der geheiligten Religion des Islam" zu beachten. Neben den beiden Kammern mit gewählten Abgeordneten, die Wolesi Jirga und die Meshrano Jirga, wird es aber weiterhin auch die Loya Dschirga, bestehend aus Abgeordneten und lokalen Gesandten, als höchste Instanz für Entscheidungen im Rahmen der nationalen Souveränität und der "höchsten Interessen des Landes sowie für Verfassungsänderungen geben. Präsident, Minister und Abgeordnete dürfen kein Verbrechen gegen die Menschlichkeit, also Menschenrechtsverletzungen, begangen haben und auch sonst nicht vorbestraft sein.
Die islamischen Prinzipien werden offen gelassen
Garantiert wird auch die Unabhängigkeit der Rechtssprechung. Hier wird explizit nur die Einbeziehung der Scharia in Artikel 130 in Fällen aufgeführt, in denen es um "persönliche Angelegenheiten" von Muslims geht. Der Verfassungsentwurf macht aber deutlich, dass die Verfassung auf "islamischen Prinzipien" basiert - und dass kein Gesetz dem Islam widersprechen darf. Zwar ist die Religionsfreiheit garantiert, aber die Staatsreligion ist der Islam und der Staat wird als islamisch definiert. Auf der Staatsflagge muss das islamische Glaubensbekenntnis stehen: "Es gibt keinen Gott außer Allah, und Mohammed ist der Gesandte Gottes, und Gott ist der Größte." Dieser "Kompromiss" einer "islamischen Republik", bei dem die relevanten Prinzipien nicht festgelegt sind, dürfte noch zu Problemen führen.
Schon allein die Formulierung, dass zwar die "Ungerechtigkeit" in der Vergangenheit anerkannt wird, ohne dies genauer zu bekennen, wird ergänzt durch die Würdigung "der Opfer und der historischen Schlachten, des richtigen Dschihad und des Widerstands der Nation". Anerkannt werden auch "die hohe Stellung der Märtyrer für die Freiheit Afghanistans". Damit ist wohl in erster Linie der Kampf gegen die russischen Besatzer gemeint, andererseits würde dies eben auch die Kämpfer der Taliban und der al-Qaida einschließen.
Artikel 3 dürfte sich insgesamt als Knackpunkt erweisen: "Kein Gesetz darf in Afghanistan mit der geheiligten Religion des Islam und den Werten dieser Verfassung in Widerspruch stehen." Die Kommission hat sich darum bemüht, diese beiden Pfeiler des Islams und der Demokratie untrennbar zu verschränken, aber da die Prinzipien des Islam nicht aufgeführt werden, können über eine mögliche Verletzung des Islam stets Dispute ausgefochten werden. Zudem soll sich der Staat verpflichten, für eine ausreichende religiöse Erziehung zu sorgen und "Moscheen, Madrasas und religiöse Zentren" zu fördern.
Die Meinungsfreiheit könnte zu dem eingeschränkt sein, denn sie wird von den Verfassungsprinzipien begrenzt, die wiederum den Islam zugrunde legen. Das betrifft auch die Bildung von politischen Parteien, die ebenso nicht den Prinzipien des Islam widersprechen dürfen. Gleichzeitig wird gesagt, dass keine Partei auf der Grundlage einer Ethnie, einer Sprache, einer Region oder eben auch einer Religion aufgebaut werden darf. Und bei der Familie, die als "fundamentale Einheit der Gesellschaft" vom Staat unterstützt werden soll, heißt es vieldeutig und möglicherweise auch an die Frauen gerichtet, der Staat sei verpflichtet, die "Traditionen zu beseitigen, die im Widerspruch zur geheiligten Religion des Islam stehen". Immerhin aber soll aber eine unabhängige Menschenrechtskommission eingerichtet werden.