Keine Wahl, sondern eine Verabredung
Iran: Khamenei, der Sieger der Murmeltiere
Zwei Drittel der abgegebenen Stimmen sind gezählt und alle beiden großen politischen Lager in Iran reklamieren einen "Sieg": die Konservativen den "faktischen Wahlsieg", weil sie die Mehrheit der Stimmen gewonnen haben und die Reformer den "moralischen Wahlsieg", weil die Mehrheit ihre Stimme gar nicht abgegeben habe und ihrem Aufruf zum Boykott gefolgt sei.
Doch eindeutig ist der "moralische Sieg" der Reformer nicht. Unbestritten ist nur, dass diesmal weniger Iraner wählten als bei der letzten Parlamentswahl vor vier Jahren. Während das Innenministerium - in der Hand der Reformer - eine 43,3 prozentige Wahlbeteiligung (gegenüber 67, 2% im Jahr 2000) behauptet, liegt die Zahl, welche von den staatlichen Medien - unter der Kontrolle der Konservativen - ausgegeben wird bei 60%, also so nahe am Wert der letzten Wahl, dass von einem "moralischen Sieg" der Reformer nicht gesprochen werden kann. Der Informationsminister bejubelte entsprechend die "enthusiastische Beteiligung".
Dass für die Konservativen Entscheidendes auf dem Spiel stand, lässt sich leicht ausmachen: angefangen von der Nichtzulassung von über 2500 Kandidaten, meist aus dem Reformer-Lager, durch den Wächterrat bis zur scharfen Rhetorik in den Tagen vor und nach der Wahl. Es wurde kräftig getrommelt - vor allem gegen die USA.
Jede abgegebene Stimme sei "eine Kugel in das Herz von Bush", predigte der Vorsitzende des Wächterrates, Jannati, am Wahltag. Durch rege Wahlbeteiligung solle die "Verschwörung" Lügen gestraft werden. Die Wahl sei "religiöse Pflicht" mahnte der "Höchste Führer" Ayatollah Khamenei, der den Wahlsieg tags darauf in einer Fernsehansprache als nichts weniger als einen Sieg über "die USA, den Zionismus und die Feinde der iranischen Nation" sehen will.
Der "Satan" im Irak vor der Haustür, der wachsende ausländische Druck auf Iran wegen der obskuren Atompolitik: ein Sieg der Konservativen war als Rückendeckung für die Machtelite um die Mullahs unbedingt nötig, um für stabile Verhältnisse zu einem "sensiblen Zeitpunkt im Mittleren Osten" zu sorgen, so die Meinung westlicher Beobachter.
Der faktische Sieger bei dieser Parlamentswahl steht fest: Khamenei, der mit dem ihm untergebenen Wächterrat, demonstrierte wie groß seine Macht tatsächlich ist, dennoch bleiben Fragen offen, ob die Wahl wirklich so "fair und glaubwürdig" war, wie von Khamenei in seiner Siegesrede behauptet.
Dem stehen zum "Gerüchte" entgegen, dass man ganze Lastwagenladungen gefälschter Identitätspapiere in die Wahlbezirke geschafft habe, um die Zahlen der abgegebenen Stimmen zu vergrößern. Verschwörung? Zumindest unterscheiden sich die in einem Blog gesammelten Berichte über den Besuch von Wahllokalen drastisch von der Darstellung in den offiziellen Medien.
Der eigens für die Wahl eingerichtete Blog - wieder einmal initiiert vom fleißigen iranischen Exil-Blogger Hossein Derakhshan (vgl. Der Streich der Wächter) zeigt vor allem eins: die Jugend hielt sich größtenteils fern von der Wahl und einige Iraner gingen wählen, weil sie dafür einen Stempel in ihren Ausweisen bekamen; das Fehlen dieses Stempels könnte sie in Schwierigkeiten bringen, so die Süddeutsche Zeitung am Wochenende.
Von einem "moralischen Sieg" für die Reformer bei der Mehrheit des iranischen Volkes, der Jugend, kann keine Rede sein.
Die Reformbewegung hat eine Sackgasse innerhalb des Regimes erreicht. Es wird eine geraume Zeit dauern, bis sich zivile Organisationen ausbilden, um dem Regime zu opponieren...Wir denken, dass wir stärker werden. Die Studentenbewegung ist keine Partei und keine Zeitung, die man schließen oder verbieten kann.
Sadjat Ghoroghi, Studentenführer.
Das sei keine Wahl im Sinne eines Wettbewerbs, sondern eine Verabredung Khameneis mit Leuten, die er im Parlament haben will gewesen, so das düstere Fazit von Derakhshan.
Unter den Kandidaten der Konservativen war übrigens keine Frau.