Der Streich der Wächter

Iran: Streit zwischen Konservativen und Reformern eskaliert

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"Das ist ein ziviler Staatsstreich!" Khatami, der iranische Präsident, tobt und hofft - wie so oft und vergeblich in seiner bisherigen Amtszeit - darauf, dass der Streit zwischen Reformern und konservativen Kräften innerhalb der "legalen Kanäle" zu entscheiden sei. Dabei ist es ja gerade das Gesetz, die Verfassung, die es dem Wächterrat gestattet, über 2.000 Kandidaten für Die am 20.Februar anstehenden Parlamentswahlen zu sperren.

Nur der höchste Führer, Ayatollah Ali Khamenei, hätte verfassungsrechtlich und faktisch die Macht dem starken Wächterrat Einhalt zu gebieten. Doch der Ayatollah vertraut ebenfalls auf "legale Kanäle", nämlich die seinen.

Die Macht der Konservativen

Khamenei ist eindeutig auf der Seite des Wächterrates, dessen Personal zur Hälfte von ihm ausgesucht wird und die andere Hälfte wird vom wahrlich nicht reformistischen Richterstand ("Head of Judiciary") bestückt. Die politische Voreingenommenheit der Beurteilungen des Wächterrats zeigt sich insbesondere in dem Ausschluss von mehr als 80 derzeitigen Parlamentsmitgliedern, darunter "Schlüsselfiguren" der Reformer wie Muhamed Resa Khatami, der Bruder des Präsidenten und Führer der größten Reformer-Fraktion. Alles deutet darauf hin, dass die Konservativen mit allen Mitteln die Übermacht im Parlament zurück gewinnen wollen.

Gegen 2.033 der 8.200 Kandidaten habe der Wächterrat ein Veto eingelegt, gab der Sprecher des Rates vor einigen Tagen bekannt. Was für die Reformer die "größte Disqualifikation von Kandidaten in der parlamentarischen Geschichte des Landes", ein coup d'état ist, schockierend und "nicht rational", gilt dem konservativen Lager als verfassungskonformer Schritt gegen "Extremisten".

Die meisten der von den Neuwahlen ausgeschlossenen Madschlis-Mitglieder sind nach Angaben der BBC Reformisten und freimütige Kritiker der Menschenrechts-Situation im Land. Für die Presse, die hinter dem obersten Führer, Ayatollah Khamenei, steht, sind die Gründe, weshalb die Kandidaten disqualifiziert wurden, so "empfindlich, dass man diese Individuen von der Gesellschaft ausschließen würde, wenn sie denn bekannt würden". Nichtsweniger als Hochverrat, den Wunsch nach "Auflösung des Iran", würden entsprechende Dokumente nachweisen.

Wie viele Reformpolitiker den Machtkampf, der mittlerweile zu einem "sit-in"-Protest im Parlament geführt hat, politisch überleben werden, ist ungewiss. Die größte Reform-Partei ("Islamic Iran Participation Front") unter Leitung von Muhamed Resa Khatami, des Bruders des Präsidenten, erwägt jetzt einen Wahlboykott.

Beobachter räumen den Reformisten ohnehin wenig Chancen ein; das Land versinke in politische Apathie, man erwartet eine geringe Wahlbeteiligung von einer Bevölkerung, die sich nach Jahren erfolgloser Reformbemühungen des Lagers um den Präsidenten desillusioniert zeige. Schon im Sommer des letzten Jahres war Khatami mit zwei Eingaben, welche die Macht des Wächterrates (z.B. bezüglich des Vetorechts bei Kandidaten) begrenzen sollten, um eigene politische Vorstellungen vorantreiben zu können, gescheitert. Die teils wütende, teils resignative Stimmung gegenüber den Reformern, insbesondere Khatami, wurde auch während der Studentenunruhen deutlich (vgl. Satanischer Sommer für die Bärte).

Die Macht der Blogger

Die Konservativen würden jeden Preis bezahlen, um die Mehrheit im Parlament und die Regierung wieder zu erlangen, meint Irans berühmtester Blogger im Exil, Hossein Derakhshan und schöpft bei aller Gegnerschaft und Widerwillen eine überraschende Hoffnung auf die "neuen Konservativen":

Ich wette, dass die neuen Konservativen in den Startlöchern stehen, um das Leben der Jungen zu erleichtern, sobald sie das Parlament und die Regierung erobert haben. Ich mag die Konservativen wirklich nicht, nicht mal die jüngeren; aber ich glaube, dass nach einigen Jahren des Reformprozesses, der tatsächlich in vieler Weise Spuren hinterlassen hat, es notwendig ist, einige Grenzen zu überschreiten. Und das können nur die Konservativen.

Man müsse sich nur mal die Statistiken der populärsten iranischen Webseiten anschauen, um einen Beweis dafür zu bekommen, dass die iranischen "Youngsters" kein Interesse an der Politik hätten, schreibt Derakhshan. Wenn man sich beispielsweise die Details der Statistiken von jeegar.com (mehr als 100.000 Zugriffe am Tag) betrachte, zeige sich, dass junge Iraner sich nicht notwendigerweise eine offene, transparente Regierung wünschten, sondern "fun" haben wollen wie jeder andere in ihrem Alter auf der ganzen Welt.

Dass iranische Offizielle dieses Interesse am Internet erkannt haben, sieht man daran, dass die Regierung der Firma Pars Online die Zulassung für eine ADSL-Verbindung im Iran ausgestellt hat. Für Derakhshan ein bemerkenswerter Schritt, da Pars Online der erste Internet Provider war, der "blogspot, persianblog und andere populäre weblogs" (inkl. den seinen) gefiltert hat.

Es gibt etwa 100.000 persische Blogger nach Angaben von Derakhshan (mit der Einschränkung, dass nicht alle aktiv seinen), die als wichtige Informationsquelle immer wieder genannt werden und deren möglicher Einfluss auf die iranische Gesellschaft mittlerweile in Dutzenden von Artikeln gewürdigt wurde.

Das sieht auch die iranische Regierung ähnlich, die die Weblogs mittlerweile auch offiziell zur Kenntnis nimmt und immer wieder mal mit allen Mitteln versucht, die iranischen Blogs zu stören, zum Beispiel während der Studentenunruhen im Sommer, und deren Betreiber gegebenenfalls verhaftet. So geschehen im Fall Sina Motallebi im April letzten Jahres.

Wie sich jetzt heraustellte, hat Montallebi seine Freilassung vor einigen Wochen vor allem der aktiven Unterstützung seiner Blogger-Community zu verdanken. Es wäre den zur Zeit in Iran inhaftierten elf Journalisten, gegen deren Haftbedingungen die "Reporter ohne Grenzen" am Samstag protestierten, zu wünschen, dass sie eine ähnlich starke Unterstützung bekommen, die zum gleichen Ergebnis führt.