"Al-Dschasira verliert seine kritische Funktion"
Der Kommunikationswissenschaftler Kai Hafez im Telepolis-Interview über die arabischen Satellitensender, das politische Umfeld und die neue Konkurrenz aus den USA
Lange Zeit war der seit 1996 im arabischen Wüstenstaat Katar ansässige Satellitensender Al-Dschasira der einzige panarabische Informationskanal. Entgegen seiner heutigen Berichterstattung verfolgte die Redaktion lange Zeit nicht nur eine US-kritische Linie, sondern ließ auch Gegner arabischer Regierungen zu Wort kommen (Sex, Religion und Politik). Mit dem in Washington erklärten "Krieg gegen den Terrorismus" und der Mobilisierung der US-Armee nach Afghanistan (2001) und Irak (2003) hat sich das geändert. Mit der politischen Zuspitzung ging seither auch die Gründung weiterer Sender mit unterschiedlichen Interessen einher. Seit Februar 2003 sendet aus Dubai der saudisch finanzierte Kanal Al-Arabia, im Februar dieses Jahres kam der arabischsprachige US-Sender Al-Hurrah hinzu.
Telepolis sprach mit dem Kommunikationswissenschaftler an der Universität Erfurt und Experten für arabische Medien, Kai Hafez, über Gefahren und Chancen dieser Entwicklung.
Herr Hafez, welche Rolle spielen Sender wie Al-Dschasira oder Al-Arabia im laufenden Konflikt im Irak?
Kai Hafez: Die Rolle dieser Sender ist in der Fachwelt sehr umstritten. Das ist vor wenigen Tagen auch bei einer Konferenz in Berlin deutlich geworden, bei der von Journalisten und Medienforschern aus aller Welt die Entwicklung dieser Medien diskutiert wurde (Die vierte Macht). Auf der einen Seite war dort die Meinung vertreten, dass durch Al-Dschasira und vergleichbare Satellitenfernsehsender ein neuer arabischer Dialograum entstanden ist, in dem erstmals auch wieder regionale Politik diskutiert wird. Diese Debatten wurden in den nationalstaatlichen Medien in der Vergangenheit immer wieder zensiert. Das ist bei diesen neuen Sendern nicht mehr in diesem Maße der Fall, weil sie keiner speziellen Regierung unterstehen.
Wobei Al-Arabia ein saudisches Unternehmen ist ...
Kai Hafez: Graduelle Abstufungen müssen bei diesem Urteil natürlich gemacht werden. Al-Dschasira ist sicherlich der liberalste von allen Sendern. Al-Arabia hingegen sind bei der Berichterstattung über Regierungen, die mit Saudi-Arabien befreundet sind, ganz klare Grenze gesetzt. Der Sender hat zwar eine Meinung zur Weltpolitik, aber nur begrenzt zum regionalen arabischen Geschehen.
Trifft das auch auf die Berichterstattung über den Konflikt in Irak zu?
Kai Hafez: Dabei gibt es im Vergleich zu den nicht-arabischen Medien eine generell andere Perspektive auf die Dinge. Ich sehe die großen arabischen Satellitensender dabei inzwischen leider weniger als ein produktives Politikforum zur Diskussion der Irakfrage, sondern als Propagandaplattform gegen die Amerikaner. Sie knüpfen heute im Grunde an die panarabische Propagandapolitik an, die von dem früheren ägyptischen Präsidenten Gamal Abdel Nasser mit Radiosendern betrieben wurde. Gerade bei Al-Dschasira hat nach dem 11. September 2001 und vor allen Dingen durch den Irakkrieg eine Verschiebung von einem wichtigen systemkritischen Ansatz hin zu einer stärker antiamerikanischen und antiisraelische Propaganda stattgefunden.
Welche Indikatoren stehen dafür?
Kai Hafez: Etwa die ausführliche Berichterstattung über die Beerdigung von Scheich Jassin, dem Anführer der palästinensischen Hamas-Organisation. Das war journalistisch gesehen eine sehr umstrittene Sache. Es ist meiner Meinung nach eine bewusste redaktionelle Entscheidung gewesen, dem Mann diese Art von Publizität zukommen zu lassen, die sich in der Folge wiederum mobilisierend auf der Straße ausgewirkt hat. Eine Redakteurin von Al-Dschasira - übrigens eine der Irakkorrespondenten - hat dies unlängst in Berlin damit verteidigt, dass die Europäer eine solche Berichterstattung beim Tode von Lady Di auch akzeptiert hätten. In einem anderen Gespräch wurde Jassin mit Che Guevara verglichen. Solche Vergleiche halte ich für unausgegoren. Dahinter steht kein journalistisches Konzept. Eine solche Berichterstattung läuft darauf hinaus, dem Volk zu liefern, was es will. Und der Großteil der Araber wünscht sich eben eine antiamerikanische Mobilisierung, möglicherweise mit einem gewissen Sensationalismus, möglicherweise auch um jeden Preis. Al-Dschasira wird daher in zunehmendem Maße Teil einer öffentlichen Mobilisierungsmaschinerie.
Eine zu verallgemeinernde Entwicklung?
Kai Hafez: Ich denke schon. Vor einigen Jahren hat sich Al-Dschasira etwa im arabisch-israelischen Konflikt bemüht, auch israelische Positionen einzubringen. Heute gibt es diese Stimmen zwar immer noch, sie werden aber durch anschließenden Kommentare, Interpretationen oder Diskussionssendungen eindeutig dekonstruiert. Was bleibt, sind isolierte Originaltöne, die gleich im Anschluss für das arabische Publikum in einen kritischen Kontext interpretiert werden. Das ist eine klare Tendenz hin zu einem sehr einseitigen Journalismus.
Welche Konsequenzen hat der Wandel in der Berichterstattung von Al-Dschasira Ihrer Meinung nach?
Kai Hafez: Durch die US-amerikanische Politik in der Region ist Al-Dschasira immer stärker zu einem Sprachrohr der Gegner dieser Politik geworden - was an sich nicht falsch ist. Es besteht aber die Tendenz, dass die innerarabischen Probleme immer weiter in den Hintergrund gedrängt werden und dem Sender dadurch ein Teil seiner kritischen und aufklärerischen Funktion verloren gehen könnte.
Nun ist bei den US-amerikanischen Fernsehsendern eine ähnliche Entwicklung zu beobachten. Der Sender Fox News hat mit seiner radikalen Berichterstattung gegen die Taliban Ende 2001 einen Zuwachs der Einschaltquote um 46 Prozent verzeichnet. Selbst in den USA aber wurde der Bericht eines Fox-News-Korrespondenten aus dem afghanischen Jalalabad diskutiert, der sich vor laufender Kamera mit einem Gewehr in der Hand dazu bekannte, Osama bin-Laden töten zu wollen. Wer bedingt hier wessen Entwicklung?
Kai Hafez: Das ist nicht auszumachen, aber unbestritten droht Al-Dschasira von einer arabischen BBC zu einem arabischen Fox News zu werden. Diese Tendenz wird inzwischen selbst von vielen arabischen Journalisten kritisch gesehen. Auf entsprechenden Tagungen mit arabischen Journalisten wird Al-Dschasira mittlerweile mindestens ebenso viel kritisiert wie gelobt, weil man die Ansätze des anfangs von Al-Dschasira geförderten kritischen Journalismus nun durch den Sender fast schon wieder gefährdet sieht. Al-Dschasira hat inzwischen schon fast die Funktion einer Partei übernommen. In Abwesenheit existierender und funktionierender parlamentarischer Demokratien, Opposition und Parteienkräfte haben die panarabischen Satellitensender so etwas wie die Funktion der Artikulation von Volkes Willen übernommen.
Zeichnet sich Ihrer Meinung denn mittelfristig eine Spaltung der Berichterstattung entlang subjektiver politischer Sichtweisen ab?
Kai Hafez: Ich setzte viel Hoffnung in die neue Konkurrenz durch Sender wie Al-Arabia. Selbst die Gründung des neuen US-finanzierten Senders Al-Hurrah hat die Leitung von Al-Dschasira aufhorchen lassen. Bei den arabischen Zuschauern wird durch diese Konkurrenz die Medienkompetenz gefördert, denn sie werden dadurch gewissermaßen zu ihrer eigenen Informationselite. Jeder Konsument muss inzwischen wissen, dass man bei Al-Dschasira die katarische Innenpolitik und bei Al-Arabia die saudi-arabische Innenpolitik nicht kritisiert. Aber meine Skepsis an eine gesunde Konkurrenz bleibt angesichts einer relativen Pluralität im autoritären Kontext der politischen Systeme in der Region bestehen. Hinzu kommt, dass die Eigentümerstrukturen der panarabischen Sender deutlich saudisch dominiert sind. Dahinter steht entweder libanesisches oder saudisches Kapital. In europäischen Maßstäben gemessen kommt die einer Konkurrenz zwischen Kirch, Berlusconi und Murdock gleicht.
Welche Chancen geben Sie dem amerikanisch finanzierten Sender Al-Hurrah?
Kai Hafez: Wenig. Man muss sich klarmachen, dass die Kritik der US-Regierung an Al-Dschasira vor allen Dingen eine instrumentalisierte Kritik ist. Bei aller berechtigten Skepsis gegenüber der heutigen Berichterstattung von Al-Dschasira darf man nicht vergessen, dass die US-Kritiker mit Al-Hurrah ein Modell ins Spiel gebracht haben, das von vornherein nur sehr begrenzt zur Information beiträgt. Die Gründung von Al-Hurrah ist ein klarer Rückfall in die klassische Propagandapolitik, wie sie schon mit Radio Free Europe und anderen Sendern betrieben wurde. Es ist ja kein Zufall, dass eine der ersten Sendungen von Al-Hurrah eine Rede des amerikanischen Präsidenten gewesen ist. Das Vertrauen in solche Medien wird in der arabischen Welt nie groß sein. Die Frage wird sein, ob die arabischen Fernsehsender ein über Jahre hinweg erfolgreiches Experiment fortsetzen können, oder ob sie nun in ein Kräftemessen verfallen, in dem ein zensiertes Nachrichtenwesen saudischer Art gegen eine neue panarabische Straßenmobilisierung gesetzt wird.