"Die Wahrheit ist hier, der Spaß in einer anderen Welt"
Seite 3: Wir sind nicht frei, wenn wir ganz wir selbst sind
- "Die Wahrheit ist hier, der Spaß in einer anderen Welt"
- Wir erleben einen Totalitarismus mit bürokratischen Normen
- Wir sind nicht frei, wenn wir ganz wir selbst sind
- Auf einer Seite lesen
Wenn man in klassischen politischen Kategorien denkt, setzen Sie sich mit Ihren Theorien zwischen die Stühle, weil sie sich grundsätzlich mit ihrer Gesellschaftskritik eher links ansiedeln, aber gleichzeitig emanzipatorische Bewegungen kritisieren. Wie gehen Sie mit diesem Widerspruch um?
Robert Pfaller: Ich glaube die Linke hat einen zentralen Begriff, den sie nicht vergessen sollte, das ist der Begriff der Kinderkrankheit, der von Lenin stammt. Man muss damit rechnen, dass emanzipatorische Bewegungen Gefahr laufen, von Kinderkrankheiten befallen zu werden. Der Narzissmus im Sinne von Freud ist die Kinderkrankheit par excellence.
Wenn man sich die Entwicklungen nach 1968 ansieht, dann haben die meisten emanzipatorischen Bewegungen geglaubt, sich zu befreien, indem sie sich in Richtung Selbstverwirklichung oder Subjektivität befreien. Darin liegt, wie es auch Sennett schon beobachtet hat, eine Gefahr, weil wir nicht vollkommen frei sind, wenn wir ganz wir selbst sind, und weil wir das, was wir zur Freiheit brauchen, nur dann erreichen können, wenn wir nicht ganz wir selbst sind. Beispiele wären diese zwiespältigen Genüsse, die wir überhaupt nur feiern können, wenn wir in Gesellschaft sind.
An diesem Punkt sehe ich mich in einer guten, sozusagen orthodoxen linken Tradition der Selbstkritik: Viele dieser Positionen habe ich meiner Jugend auch geglaubt und war selbst sozusagen befallen von manchen der emanzipatorischen narzisstischen Kinderkrankheiten. Man muss aber heute sehen, dass viele dieser Programme in sehr zynischer Weise von Leuten propagiert werden, die sicher genau wissen, dass das keine emanzipatorischen Erzählungen mehr sind, sondern nur noch Legitimationserzählungen für Partikularinteressen.
Kann man hier eine individualpsychologische Entwicklung auf anderen Ebenen wiederfinden, dass sozusagen nach 1968 irgendwann ein Zenit erreicht wurde und es danach wieder eine regressive Bewegung gab, man sich also wieder in das frühkindliche Stadium des Narzissmus zurückentwickelt hat?
Robert Pfaller: Ich glaube, dass wir hier mit Überdeterminierungen rechnen müssen. Viele von diesen narzisstischen Kulturentwicklungen wären bei weitem nicht so fatal verlaufen, wenn das nicht von einer ökonomischen Entwicklung der Privatisierung öffentlicher Räume begleitet wäre. Nur in diesem Gemisch von sehr rechten und sehr hierarchischen Interessen und halbwegs linken Erzählungen kommt es zu diesen sehr fatalen Entwicklungen.
Erzählungen im Namen der Schwachen sind nicht automatisch emanzipatorisch
Wie kann man sich diesen Zusammenhang genau vorstellen?
Robert Pfaller: Das typische Symptom neoliberaler Beraubung besteht darin, dass der öffentliche Raum nicht mehr als ein positiver Raum definiert wird, der den Individuen Ressourcen bereitstellt, über die sie alleine nicht verfügen. Der Staat und alles was zum öffentlichen Raum gehört, wird nicht mehr als ein Versorger und Ermöglicher gesehen, sondern ausschließlich als eine Verbotsinstanz.
Dem entspricht eine Umkehrung des Appell-Typus gegenüber den Individuen. An sie wird von von der Öffentlichkeit nicht mehr appelliert in einem Sinn, der ihnen etwas Neues ermöglicht. "Jetzt nimm dich mal zusammen und sei ein bisschen eleganter als sonst, denn jetzt bist du in der Öffentlichkeit." Das wäre in etwa die klassische Anrufung des italienischen Platzes in der Renaissance.
Heute hingegen dreht sich der Appell dann um und spricht die Individuen nur noch als Privatpersonen an, nicht als öffentliche Rollen;, nicht mehr als Citoyens, sondern nur noch als Bourgeois oder als Idioten im Sinn der griechischen Polis, die nur noch ihre Privatbelange pflegen. Wenn man als Privatperson angerufen wird, sagt der Staat dann nur noch: "Kann es nicht sein, dass dich hier irgendwas stört?" Und dann gibt es natürlich ganz viele Leute, die etwas stört, das kann Rauchen sein, aber auch Kunst im öffentlichen Raum, da gibt's viele Möglichkeiten. Der Staat tritt dann nur noch als willfähriger Beseitiger öffentlicher Standards ein.
Das ist das Gefährliche, wo sich eine narzisstische Kulturentwicklung mit einem Repressivwerden des Staats paart. Der Staat sucht seine Legitimation für dieses destruktive, repressive Eingreifen immer im Rückhalt bei bestimmten Schwachen. Da gibt es dann Schwache, die geschützt werden müssen vor dem Rauch, an den Universitäten gibt es schwache Bildungsferne, die geschützt werden müssen vor der Universität, deswegen muss man alles total verschulen.
Das Narzisstische an diesem Bild des Schwachen, das der Reduktion auf den Idioten oder die private Identät entspricht, ist eben, dass der Schwache nichts hat, was ihn mit Welt befleckt. Er hat keine Macht, er hat keine Fähigkeit sich selbst zu überschreiten, auch einmal Citoyen, auch mal vernünftiger oder eleganter zu sein, er ist einfach nur schwach. Und nur solange er ganz schwach ist, ist er auch ganz gut; daran sieht man auch, dass das reaktionär ist. Denn wenn er einmal stärker wird - "alle Räder stehen still, wenn unser starker Arm es will" - dann ist er schon schlecht. Deshalb muss man vor allem diese Kinderkrankheit bekämpfen, dass man Erzählungen im Namen des Schwachen für emanzipatorisch hält.
Das Beispiel "Rauchverbot" zieht sich ja durch ihr aktuelles Buch und sie fordern, allgemein gesagt, ein Leben mit dem Mut zum Risiko ein. Kann man das so knapp formulieren?
Robert Pfaller: Ich rufe jetzt niemanden auf, Risikosportarten oder so etwas zu betreiben. Ich verstehe meinen Rat eher im Sinn des Epiktet, der sagt "Glaubt ihr, ihr müsst den Ozean austrinken?" Es ist ein Versuch, die Leute aus dieser Gesundheitspanik herauszureißen, mit der sie sich das Leben verderben. Man muss den Leuten einfach zurufen: "Ihr werdet sowieso alle sterben, in 100 Jahren seid ihr alle mausetot." Das einzige, was Ihr machen könnt, ist zuzusehen, dass Ihr vorher noch ein bisschen Leben habt."
Robert Pfallers Buch "Wofür es sich zu Leben lohnt - Elemente einer materialistischen Philosophie" ist im März beim S.Fischer-Verlag erschienen und kostet 19,95 Euro.
Empfohlener redaktioneller Inhalt
Mit Ihrer Zustimmmung wird hier eine externe Buchempfehlung (Amazon Affiliates) geladen.
Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen (Amazon Affiliates) übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.