Die "Ware" Mensch
NATO und UN fördern Zwangsprostitution und Menschenhandel im Kosovo
Ein "Tabu-Thema" hat durch einen jüngsten Menschenrechts-Bericht wieder neue Nahrung erhalten. Demnach sind Internationale "Friedenskräfte" in Menschenhandel und Zwangsprostitution im Kosovo verwickelt, vielleicht auch gar deren Motor. "Erst die Etablierung des internationalen Protektorats haben das Geschäft mit der - Ware Mensch - in Schwung gebracht", so der Tenor des Berichts von Amnesty International, der am Donnerstag vorgestellt wurde.
Das "offene Geheimnis" ist kein neues. Schon im Sommer 2002 hatte das UN-Kinderhilfswerk (UNICEF) in einer Studie festgestellt, dass in Südosteuropa - mit entscheidender Hilfe des Westens - Zwangsprostitution und Menschenhandel blühen (Europäische Union bringt "Drehscheibe des Menschenhandels" in Schwung). Gründe dafür lägen unter anderem an der Einwanderungspolitik der EU und der Verschlechterung der Lebensbedingungen durch Kriege, Flucht und Marktwirtschaftsreformen in der Region. Auch sei die allgemeine Arbeits- und Perspektivlosigkeit in Ost- und Südosteuropa dafür verantwortlich. Aber eben auch explizit die so gut bezahlten "Internationalen", die in den 90er Jahren zu Tausenden auf dem Balkan Einzug gehalten haben. Detailliert wurden die daraus resultierenden Zustände schon damals als sklavenähnliche sexuelle Ausbeutungsverhältnisse geschildert, die vor allem in den UN-Protektoraten Bosnien-Herzegowina und Kosovo herrschen würden.
Ein neuer von der Menschenrechtsorganisation Amnesty International veröffentlichter Bericht befasst sich nun ausschließlich mit der Situation von Frauen und Mädchen im Kosovo. Das 80seitige Papier liest sich wie eine nicht enden wollende Liste an erschreckenden Gewaltbeschreibungen und Einzelschicksalen, die einer ebenso langen Liste an unverständlichen Versäumnissen und Verstrickungen seitens der Verantwortlichen im Kosovo gegenüber stehen. So seien 20 Prozent der Bordellbesucher oder Freier im Kosovo "Internationale", obwohl diese gerade einmal (männlich/weiblich zusammen) zwei Prozent der Bevölkerung ausmachen würden.
So sei das Kosovo im Juli 1999 - nach Ankunft von 40.000 KFOR-Soldaten, hunderten UNMIK-Beamten und dem Personal von mehr als 250 internationalen Organisationen - sehr schnell "zu einem der wichtigsten Länder für Frauen- und Mädchenhandel zur Zwangsprostitution geworden. Die gering vorhandene lokale Prostitution, wurde in einen riesigen, meist von organisierten Verbrechernetzen dominierten Markt, einer Sex-Industrie transformiert", konstatiert Amnesty.
Der Menschenhandel eskaliert
Für die ai-Studie wurden auch zahlreiche Daten von anderen Organisationen zusammengefasst. So berichtete erstmals Ende 1999 der UN-Entwicklungsfond für Frauen (UNIFEM) über die Angewohnheiten der "Friedenstruppen". Dabei seien insgesamt 18 Gebäude aufgelistet worden, die in der Nähe von KFOR-Camps lagen. Die meisten "Kunden" dieser Bordelle waren KFOR-Soldaten aus den USA, Deutschland, Italien, Frankreich und einigen anderen Staaten, von denen einige wiederum selbst in den Menschenhandel verstrickt waren.
Danach eskalierte der Menschenhandel im Kosovo. In ihrer ersten "Tabu-Liste" vom Januar 1999, die dem UNMIK-Personal galt, wurden noch 75 Bars, Clubs und Restaurants zur verbotenen Zone erklärt. Am 1. Januar 2004 waren es schon 200 Etablissements, in denen zur Prostitution gezwungene und vom Menschenhandel betroffene Frauen vermutet wurden.
Anfang 2000 erkannte auch die Internationale Organisation für Migration (IOM) in den "45.000 Ausländern" einen Verursacher "für die vielen neuen Nachtclubs, die wie aus dem Boden schossen", so Pasquale Lupoli, IOM-Chef für das Kosovo. Die IOM machte aber auch äußere Faktoren, wie den gut organisierten Verbrechernetzwerken in den Nachbarländern, den gut etablierten Schmuggelrouten in die EU oder das schlecht funktionierende Rechtssystem für den Menschenhandel verantwortlich. Amnesty sagt:
Nach dem geringen Level der Prostitution und dem Menschenhandel im Juli 1999 lassen die verfügbaren Beweise vermuten, dass ohne die Präsenz der internationalen Gemeinschaft und dem westlichen Konsumenten-Einfluss, das Kosovo ein relativ "stilles Wasser" im Vergleich zum Schmuggel auf dem Balkan wäre.
Viele Einzelschicksale
Die meisten der betroffenen Frauen und Mädchen im Kosovo stammen aus Moldawien, Bulgarien und der Ukraine und damit den ärmsten Ländern Osteuropas. Viele von ihnen verlassen freiwillig ihr Land, um Armut, Gewalt oder Missbrauch zu entfliehen. Und das geplante Ziel liegt selten im Kosovo, in dem ein ebenso armes Leben und 60 % Arbeitslosigkeit herrschen. Meist wurden ihnen Jobs in Westeuropa in Aussicht gestellt. Von ihren "Händler" oder den späteren "Besitzern" werden die Frauen dabei immer mehr abhängig gemacht. "Oftmals wird ihnen klar, dass der versprochene Job nicht existiert, Dokumente werden ihnen abgenommen. Sie wurden vielleicht geschlagen oder werden - bei Protest - vergewaltigt.", so Amnesty International.
Aber auch eine zunehmende Anzahl von einheimischen Frauen und Mädchen werden innerhalb und aus dem Kosovo heraus "gehandelt". Und auch sie werden mit Versprechen gelockt. Das ergab eine zweijährige Untersuchung der Organisation Centre for the Protection of Women and Children (CPWC) unter 253 betroffenen einheimischen Frauen und Mädchen. Dabei waren 81 % von ihnen unter 18 Jahre alt, ein Drittel davon lediglich zwischen 11 und 14 Jahre alt. 84 % dieser Frauen und Mädchen hatte lediglich einen Grundschulabschluss. Nach einem Bericht der Weltbank 2002, genießen nur 56 % der 15 bis 18-jährigen Mädchen im Kosovo - also die gefährdetste Gruppe für den Menschenhandel - überhaupt eine Vollzeitausbildung. Die meisten der jungen Frauen stammen aus armen Verhältnissen, oft aus zerrütteten Familien mit einem hohen Grad an häuslicher Gewalt und Alkoholismus.
Eine junge Frau wurde von Mitgliedern ihrer eigenen Familie verkauft. Ein 14jähriges Mädchen wurden mit einem Lokalbesitzer verheiratet, der sie körperlich misshandelte und sie zur Prostitution zwang, um sie eventuell an drei Brüder zu verkaufen, die sie nach Pristina mitnahmen, wo sie gezwungen wurde, mit ihnen und einem anderen Mann Sex zu haben.
Aus einem OSZE-Report
Ein 13jähriges Roma-Mädchen wurde für 500 Euro verkauft und mit einem 40jährigen Mann verheiratet, der sie schlug und vergewaltigte. Als sie von ihm floh, kam sie zurück nach Hause. Um den Verlust des Hochzeitsgeldes wieder gut zu machen, schickte ihre Mutter sie zur Prostitution in ein Lokal. Das Kind muss nun vor der eigenen Familie geschützt werden.
Aus einem UNMIK-Report
Die betroffenen Frauen, egal ob aus anderen Ländern oder aus der Provinz selbst, müssten dann damit leben eingesperrt oder wie Sklaven behandelt zu werden. Man würde sie in Zimmern oder Kellern mit 10 bis 15 anderen Frauen einsperren, nachdem sie in Bars und Cafes arbeiten müssen, um ihre "Schulden" an ihren "Besitzer" zu bezahlen. Viele werden misshandelt oder regelmäßig vergewaltigt. Nach einer Befragung durch die Organisation IOM, gab die Hälfte der Frauen und Mädchen an, von den Barbesitzern körperlich missbraucht worden zu sein, ein Viertel sagte, dass dies durch andere Mitarbeiter oder "Kunden" geschehen sei.
Um ihr Geld werden sie betrogen. Zudem werden die Frauen in einem permanent unsicheren Zustand gehalten, indem sie ständig an andere Orte gebracht werden und sie in unhygienischen und stressigen Situationen leben müssten, oftmals nur mit wenig Nahrung, Schlaf, Anspruch auf ärztliche Versorgung etc. Eine Flucht ist meist die einzige Lösung, um der Tortur zu entrinnen. Es kommt aber auch zur "Rettung" durch die Polizei. Aber auch hier müssen sie mit Menschrechtsverletzungen durch die offiziellen Stellen rechnen. Meist würden die Frauen dann wegen Prostitution oder illegalem Aufenthalt inhaftiert werden. Und das zudem mit ungenügender juristischer Unterstützung.
Falluntersuchung
Eine konkrete Untersuchung veröffentlichte die Organisation IOM im September 2002, in der 168 Frauen und Mädchen aus Moldawien sozial analysiert wurden. 6% von ihnen waren unter 18 Jahren alt. Von allen Befragten hatten nur 57 % eine Grundschulabschluss und 24 % einen nächst höheren Abschluss. Lediglich 4 % Prozent der Befragten hatten eine Universität besucht. 70% gaben an arm oder sehr arm (weniger als 30 Euro pro Monat) zu sein.
88 % der Befragten gaben an Moldawien verlassen zu haben, um eine Arbeit zu finden. 80 % wurden von Verwandten oder Freunden zu diesem Schritt bewogen. 60 % der Befragten gaben an, dass ihnen dabei eine Arbeit in Italien angeboten wurde. Üblicherweise werden Gehälter von mehr als 1000 Euro versprochen, die die Löhne in den Herkunftsländern um bis das 20 fache unterscheiden. 22 % der Befragten hatten teilweise befürchtet, in der "Sexindustrie" zu arbeiten, nur unter 3 % hatten wirklich erwartet, als Prostituierte zu arbeiten.
37 % der Befragten waren Mütter, oft allein stehend oder geschieden. Lediglich 10% waren verheiratet oder lebten in einer stabilen Beziehung. Von 105 Befragten gaben 22 % an physisch oder psychisch innerhalb ihrer Familie missbraucht worden zu sein. 15 % gaben an physische oder sexuelle Gewalt, 7 % psychischen Missbrauch durch Ehemann oder Partner erlebt zu haben.
Wer ist verantwortlich?
Obwohl die OSZE bereits drei Monate nach Stationierung der "Internationalen" 1999 auf das Problem der Zwangsprostitution und des Menschenhandels aufmerksam machte, hat bis heute niemand der UNMIK-Verantwortlichen darauf entsprechend reagiert, um den unhaltbaren Zustand zu beenden, so Amnesty. Ebenso verhält es sich, mit der Regierung (PISG - Provisional Institutions of Self-Government ) des Kosovos. Obwohl diese bisher nur provisorisch existiert und die Hauptmacht weiter beim Chef der UNMIK liegt, hat seit 2002 das Justizministerium der Regierung die führende Rolle für das Problem des Menschenhandels übernommen. Dem Kabinett von "Provisoriums-Präsident" Ibrahim Rugova, gehören zudem weitere Ministerien und Büros an, in deren Zuständigkeitsbereich das Problem des Menschhandels ebenfalls fällt.
Zudem war es die Aufgabe der UNMIK 1999 Justiz und Polizei aufzubauen. In dieser Zeit wurde die im Kosovo verbotene Prostitution lediglich kontrolliert. Erst 1 1/2 Jahre später wurde überhaupt das Problem "Prostitution und Menschenhandel" benannt, welche im November 2000 in der Bildung einer Spezialeinheit (TPIU - Trafficking and Prostitution Investigation Unit) mündete. Die sich anschließenden Aktionen richteten sich dabei vor allem gegen Frauen und Mädchen, selten gegen die Menschhändler im Hintergrund. Bisher war bei den Festnahmen und Gerichtsverfahren nur ein bescheidener Erfolg zu verbuchen. Zudem gab es bis zum Jahr 2003 anhaltende dokumentierte Verwicklungen von UNMIK-Polizisten in Menschenhandel. So wurden am 9. Juni 2003 vier Personen festgenommen, einschließlich einem UNMIK-Polizei-Offizier, die in einer "Prostitutionssklaven-Verschwörung" verwickelt waren.
Amnesty geht zudem davon aus, dass KFOR-Soldaten ins benachbarte Mazedonien reisen, wo auch deutsche KFOR-Soldaten stationiert sind. Auf diese Weise werden dort die Dienste von "gehandelten" Frauen in Anspruch genommen. So hatte sich ein deutscher KFOR-Angehöriger in der ARD-Sendung Weltspiegel am 17.12.2002 geäußert. Ein Pressesprecher der deutschen KFOR-Einheit und ein KFOR-Offizier wiesen diese Aussage zurück. Eine junge Bulgarin, die durch Menschenhandel nach Mazedonien gelangt war, unterstützte jedoch die Beweise. Sie hatte selbst in Bordellen gearbeitet, die von deutschen KFOR-Soldaten genutzt wurden:
Deutsche Soldaten...hatten Angst vor ihren Chefs. Dass er sie in einem Bordell aufspüren und dann Ärger machen würde. Es war ihnen nicht erlaubt während ihres Dienstes zu Prostituierten zu gehen...Die Deutschen kamen den ganzen November und Dezember, selbst als der Kommandant das verboten hatte. Sie sagten, das würde viel Ärger geben.
Und ein deutscher KFOR-Soldat gegenüber der ARD zu dem Thema:
Das Problem ist, dass niemand über denn Sinn eines Bordell für das deutsche Kontingent nachdenkt. Die Amerikaner, Franzosen und andere, wer auch immer, die haben ihr Armee-Bordell. Ich sage nicht, dass Prostituierte aus Amerika oder Frankreich herkommen müssen, aber das Bordell könnte für eine bestimmte Zeit gemietet werden und stände unter einheitlicher Kontrolle.
Weitere Verwicklungen von KFOR-Angehörigen wurden auch im Kosovo öffentlich. So wurden 2003 z. B. fünf französische KFOR-Soldaten nach Hause geschickt, die in Menschenhandel verwickelt waren. Auch der russischen KFOR-Einheit wird dies vorgeworfen. Wegen ihres Abzugs 2003 aus dem Kosovo wurden russische Soldaten jedoch nie dafür belangt. Dies sei darüber hinaus auch kaum möglich, da UNMIK-Polizei, KFOR-Soldaten und weiteres internationales Personal eine generelle Immunität genießen würden. Zwischen Januar 2002 und Juli 2003 hatten sich zwar offiziell bis zu 27 KFOR-Truppen dem Menschenhandel verdächtig gemacht, aber weitere Informationen oder Disziplinarmaßnahmen gab es dazu nicht, weder im Kosovo, noch in den Heimatländern, so Amnesty.
Reaktion der UNMIK
Eine Reaktion erhielt Amnesty International bereits einen Tag nach Veröffentlichung ihres heiklen Berichts. Die UNMIK wies jegliche Behauptungen zurück, die mit Sklaverei und Prostitution zu tun hätten, berichtete das Belgrader Radio B92. In einer ausführlichen Stellungnahme wurde der Report als taktlos und voll von Allgemeinplätzen beschrieben. Die UNMIK sprach davon, dass Daten lediglich von 1999 bis 2001 stammen würden, dies aber nicht die Situation von 2004 beschreiben würde. So seien allein 2003 in Bars und anderen verdächtigen Gebäuden über 2000 Razzien durchgeführt worden. Dabei seien lediglich drei UNMIK-Mitarbeiter und ein Polizei-Offizier festgenommen worden. Der Sprecher der UNMIK kommentierte aber nicht, welche Maßnahmen gegen sie ergriffen wurden.
Diese Antwort auf den Amnesty-Bericht ist angesichts der derzeitigen Informationspolitik der UNMIK nicht verwunderlich. Erst kürzlich wurde ein Bericht über den Auslöser der Terrorwelle im März (Terror im Kosovo) so lange zurückgehalten, bis schließlich das staatliche serbische Fernsehen den ihm zugespielten Bericht veröffentlicht hatte. Darin wurde festgestellt, dass es für die in den Medien verbreiteten Lügen über eine Beteiligung von Serben am Tod von drei albanischen Jungen, keinen Anhaltspunkt gebe.
Ebenso verhält es sich derzeit mit einem Vorfall im April, als es zu einem Attentat eines jordanischen UNMIK-Polizisten auf amerikanische Kollegen kam. Ob der Attentäter Verbindungen zur palästinensischen Hamas hat, darüber schweigt die UNMIK ebenso. Eine Taktik, die sich bislang als erfolgreich erwiesen hat, um Kritik an den "Internationalen" zu vermeiden und Tabu-Themen zu wahren. Den eigenen verordneten Standards zum Trotz, die sagen, dass Frauen und Mädchen vor Gewalt zu schützen sind.