Die WebSite der documenta x

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www.documenta.de

Zehn Netzkunst-Projekte und eine umfangreiche WebSite sind Bestandteile des Programms der documenta x. Das Internet-Programm wurde von Simon Lamuniére kuratiert, Medienkunstspezialist, Künstler und Kurator des Kulturzentrums Saint Gervais in Genf.
Lamuniere hat, als Umgebung für Netzkunstarbeiten von Künstlern, eine sehr glatte Netzoberfläche geschaffen. Diese ist über in Frames gefasste Icons navigierbar, und sie dient nicht nur der Erledigung der Hausaufgaben - wie "Information" und "wo kann man in Kassel unterkommen" -, sondern auch der Präsentation und dem Verknüpfen von Ausstellungsbeiträgen, Netzkunstwerken und Sonderprogrammen. Die Benutzung von "Frames" macht den Server zwar für manche unzugänglich, doch hat man erst einmal die entsprechende Version von Netscape und den entsprechenden Computer, so wird die Benutzeroberfläche nach dem zweiten oder dritten mal schon vertraut und die (zunächst) störenden Icons werden schnell zu brauchbaren visuellen Navigationshilfen, um das gewünschte Ziel zu erreichen. Die Icons funktionieren.

Es war eine Entscheidung der umstrittenen documenta-Kuratorin Catherine David, zum ersten Mal in der Geschichte der documenta Netzkunst zu zeigen. Diese erweitert ihre Definition des "Ausstellungs-Parcours" und trägt dazu bei, Kunstelitismus abzubauen und Ideen einem großem internationalem Publikum nahezubringen. Internet treibt genau dieses Argument an seine Grenzen: Es gibt keine Grenzen. Dennoch kann das Internet im Kontext dieser hoch angesetzten Weltausstellung der Gegenwartskunst als ein verwirrender Beitrag gesehen werden, vor allem, weil die Kriterien der Netzkunst noch nicht definiert sind, auch nicht von den Künstlern selbst, welche sie schaffen.

Das Internet widersetzt sich trotzig vielen akzeptierten und mittlerweile wohlverstandenen Prinzipien, an denen sich die experimentelle Kunst in den letzten 50 Jahren orientierte. Nun ist möglicherweise der Punkt des Phasenübergangs erreicht, an dem die Oberflächen und Bezugspunkte neu definiert, neu gesehen und verstanden werden müssen. Eva Wohlgemut, eine der Vertretenen Netzkünstlerinnen (zusammen mit Andreas Baumann, "Moving Places") sagt über die Auswahl: "...es geht nicht um High-End Kunst...das hier ist eine coole Botschaft". Eine "coole" Internetausstellung zu kuratieren, ist sicherlich ein sehr erstrebenswertes Ziel, herausgepickt aus dem Kontext mehrerer Millionen krass-kommerzieller, in schreiend farbigen Pixeln gehaltener WebSites, die jedem Internet User mit Browser zugänglich sind. Sogar das Fernsehen konnte für die Verteilung edukativer, nicht-kommerzieller Informationen Räume öffnen. Nun ist diese neue Kategorie der Kunst eine Herausforderung für uns alle.

Auf der documenta x ist der spezielle kuratorische Blickwinkel auf Netzkunst etwas versteckt hinter dem Cafe in der documenta-Halle positioniert. Es ist kein neutraler Raum, sondern ein ziemlich steriler Designer-Raum, was sich in den vom österreichischen Künstler Heimo Zobernig geschaffenen blauen Wänden (das "Blue Box" Blau von Fernsehstudios) und einer ungemütlich aussehenden, rosafarbenen Surf-Liege von Franz West niederschlägt. Diese beiden Künstlerbeiträge sind völlig disloziert und nutzlos (als autonome Kunstwerke leider aber auch unveränderlich). Die sorgfältige und persönliche Künstlerauswahl von Herrn Lamuniere war bislang ausgesprochen populär. Jede der zehn Arbeiten (oder "Projekte", wie sie die Netzkünstler zu nennen pflegen) hat ihren eigenen Tisch mit zwei Rechnern, um sie zu betrachten. Jeder Rechner ist proprietär einer Arbeit gewidmet und keine andere Internet-Site kann ausgewählt werden. Das heißt, daß die Links aus den Arbeiten genommen wurde, außer bei zwei Arbeiten, die auf Live-Verbindungen angewiesen sind. Das Absperren des Zugangs zum Internet wurde zum echten Kritik-Punkt für die Gemeinde der Netzschaffenden, die darin eine Leugnung der einzigartigen Qualitäten des Netzes sehen.

Was dieser Ausstellung eine ungewöhnliche Note hinzufügt, ist die Debatte, ein Online-Forum für Diskussion, in dem die Künstler und Kuratoren untereinander diskutieren, aber auch vom Publikum direkt angesprochen werden können. In diesem Forum schrieb die Künstlergruppe Jodi in einer Antwort vom 9.Juli:

Der Netzkunstraum simuliert ein Büro; mit Bürotischen, Bürostühlen, Büroschränken und -möbeln; alles ist arrangiert "wie in einem Büro". Diese Büro-Inszenierung wurde "speziell für die Präsentation von 9 Arbeiten von (sic!) Netzkünstlern bei der documenta x geschaffen". Wir betrachten sie als ein unnötiges symbolisches Konstrukt, das ohne Rücksprache mit den Künstlern errichtet wurde. Netzprojekte brauchen keine solchen Metaphern, wenn sie in realen Ausstellungsituationen gezeigt werden, ebenso wie video-Monitore kein Wohnraumdekor um sie herum benötigen, wenn Videos gezeigt werden. Das Büro-Klischee nervt grundsätzlich auch deshalb, weil es den Künstlern, deren einzige Gemeinsamkeit es ist, im Netz zu arbeiten, eine falsche Gruppenidentität verleiht, und sie damit, zum Unterschied vom Rest der Ausstellung, allein auf Grund der verwendeten Technik in eine gemeinsame Kategorie wirft.

Jodi

Lamuniére schrieb am folgenden Tag 10.7.97 als Antwort auf das Installationsproblem:

Als wir uns darüber (insbesondere mit Jodi) in Kassel unterhielten, war ich mir schon darüber im Klaren, welche Probleme und Risiken es mit sich bringt, eine solche Web-Situation, getrennt vom Rest der Ausstellung, zu schaffen. Ich bestand darauf einen getrennten Web-Raum zu haben, um kuratorische Konflikte zwischen Catherine David und mir zu vermeiden. Wenn ich zehn spezifische Räume für die 10 auf dieser Site gezeigten Arbeiten verlangt hätte, dann wäre jetzt wahrscheinlich keine von ihnen zu sehen. Meine Stimmung ist sehr empirisch und fatalistisch. Ich weiß, daß solche Projekte in 5 oder 10 Jahren ganz anders behandelt werden (insbesondere auch von den Künstlern selbst). Für mich war das der obligatorische Weg, um solche Problemfelder zu öffnen, sie ans Licht zu bringen; sie nicht verstecken oder ganz negieren, sondern einfach beginnen, Hinweise anzubieten.

S.Lamuniére

Folgen wir Lamuniére, so ging es bei seiner Auswahl um Kunst, und nicht um das Internet. Das sollte man sich gegenwärtig halten, wenn man durch die Site surft. Indem die nach außen führenden Links gekappt wurden, hat sich auch das Problem der tagelang Surfenden erledigt. In diesem Punkt zumindest finden auch Künstler, Kuratoren und Publikum Übereinstimmung. Der Umstand, daß jede Arbeit zumindest auf zwei Rechnern gezeigt wurde, gab auch bei großem Publikumsantrag jedem einmal die Chance, sich hinzusetzen und zumindest eine Arbeit anzusehen. Durch die schnellen Ladezeiten, da alle Daten von einem lokalen Server kommen, war das eine komfortable Surfsituation. Damit wurde sicherlich das größtmögliche Gewicht auf die einzelnen Arbeiten gelegt, eine solche Präsentationsform steht jedoch in innerstem Widerspruch zum komplexen System der "Verbindungen", die das Wesen vieler WebSites ausmachen, ebenso wie die "Communities", die sich um diese offenen Systeme bilden.

Catherine David sagte zu einem früheren Zeitpunkt in der Online Debatte über die Krise des Kunst-Objekts (20.Juni, 97):

Das Objekt in der Kunst ist in einer Krisensituation. Es gibt wachsende Zweifel, ob der künstlerische Ausdruck wirklich nach einer 3dimensionalen, gebundenen Form strebt, die im klassischen Ausstellungsrahmen des "Weissen Würfels" gezeigt werden und vom Publikum in einer frontalen Subjekt-Objekt-Beziehung rezipiert werden kann. Im virtuellen Raum, den das Internet bildet, wird diese Krise in besonderem Maße evident. Die entstehenden Kunstwerke werden von den spezifischen Merkmalen des Mediums geprägt und sind daher in aller Regel prozesshafte, interaktive Projekte, die weder hierarchisch noch linear strukturiert sind. Doch die Idee daran ist und bleibt das Bestechende, nicht die technologische Komplexität.

Catherine David

Die Netzsektion der documenta ist komplex. Die Tatsache, daß einige Arbeiten in der "großen Ausstellung" auch Internet beinhalten, mag zunächst verwirrend erscheinen. Wenn wir uns aber die WebSite ansehen, haben wir die Organisationsweise klarer vor uns. Mehrere der Netzkunstwerke waren Auftragsarbeiten (u.a. Äquator, Without Adresses und Up to 625). Das Projekt von Muntadas ist das einzige, das auch eine Gruppe von Menschen benötigt, nicht nur für das Funktionieren, sondern um überhaupt zu existieren.

Was ich am meisten vermißte, war eine Reflexion über Netzkultur und die Stimmen von weiblichen Künstlern (beide Frauen treten nur mit männlichen Partnern gemeinsam in Erscheinung). Die Themen und die Aktualität des Internet, der neuen Sprache, die sich mit ihm international etabliert, das offene System, das es zu sein verspricht, für Frauen, für ethnische Minderheiten, verweisen alle auf bedeutende Veränderungen der Kultur und des Denkens. Es ist klar, daß nicht alle Künstler, die das Netz benutzen, auch alle diese Themen ansprechen, doch viele machen es, und geraten ins Gravitationsfeld des Internet gerade weil es diesen provokativen Kontext bietet.

Kathy Rae Huffman