Die Windenergieanlage als Vogelfalle
Hartnäckige Vorwürfe aus der Gründerzeit der Windenergie leben trotz allen Fortschritts weiter - mit welcher Begründung?
Windanlagen sind Fleischwölfe für bedrohte Vogelarten, und die Windenergie selbst ist zu teuer - so die gängige Kritik gegen eine Technik, die bisher den größten Erfolg unter allen Erneuerbaren Energien vorweisen kann. Seit über 20 Jahren reagiert die Windindustrie auf solche Vorwürfe und verbessert die Technik. Ergebnis: Die Kritik verstummt nicht und es kommt zu verblüffenden Vergleichen.
Die zwei Ölkrisen von 1973 und 1979 hatten die Abhängigkeit der USA auf Öl als kritische Schwäche der US-Wirtschaft bloßgelegt. Deshalb machte sich Präsident Carter Ende der1970er daran, nach erneuerbaren Alternativen zu suchen. Eines der größten Windenergie-Projekte begann 1982 auf dem Altamont Pass östlich von San Francisco. Bis 1987 waren insgesamt 7.340 Windanlagen aufgestellt - ausgerechnet an einem Ort, wo viele bedrohte Greifvogelarten fliegen. Eine der Arten, der Weißkopf-Seeadler, war in den 1960er Jahren auf rund 30 Tiere in Kalifornien geschrumpft, nachdem das dort eingesetzte DDT die Eierschalen dieser Adler kaputtmachte.
Die erste Studie zum "Vogelsterben" durch Windanlagen in Altamont wurde 1992 veröffentlicht. Man untersuchte 1.169 der insgesamt 7.340 Windanlagen über einen Zeitraum von 2 Jahren (1989-91), beschränkte sich jedoch auf bedrohte Greifvögel; andere Arten flossen nur nebenbei in die Statistik. Der Befund lautete, dass diese 1.169 Anlagen 182 (Greif-)Vögel getötet hatten - also auf rund 13 Windanlagen kam jährlich ein toter Greifvogel. Macht 0,07 pro Anlage/Jahr. Die Zahl aller Vögel, die von Rotorblättern zerschlagen werden, liegt jedoch viel höher. Ein im August 2001 vom US National Wind Coordinating Committee (NWCC) veröffentlichter Bericht schätzt, dass die rund 15.000 in den USA laufenden Windanlagen ca. 33.000 Vögel jährlich umbringen, also etwa 2,2 Vögel pro Anlage/Jahr, wobei die Zahl von Standort zu Standort schwankt.
Wie viel ist zu viel?
Der Bericht betont, dass selbst bei 1 Million Windanlagen landesweit die Zahl der erschlagenen Vögel - geschätzte 2,2 Millionen - weit unter dem liegen würde, was andere menschliche Einrichtungen jetzt schon anrichten:
Ursache: Gemittelte Zahl der verunglückten Vögel in den USA
- Gebäude (Fenster): 500 Millionen
- Hochspannungsleitungen: 174 Millionen
- PKWs/LKWs: 70 Millionen
- Telekom-Anlagen: 27 Millionen
Dagegen nehmen sich die für die USA prognostizierten maximalen 2,2 Millionen tödliche Unfälle unter Vögeln recht bescheiden aus, ganz zu schweigen von den aktuell geschätzten 33.000. Doch wer kommt auf die Idee, Autos - oder gar Gebäude - als Vogelfallen zu sehen? Allerdings nehmen Vogelschützer Telekom-Anlagen seit neuestem unter Beschuss. Die US Federal Communications Commission wird zur Zeit von Vogelschutzverbänden verklagt, weil die Umweltverträglichkeit von Telekom-Anlagen bisher gar nicht erst untersucht werden muss..
Ganz anders Windanlagen, für die Umweltverträglichkeitsprüfungen trotz vergleichsweise weit geringerer Gefahr für die Vögel schon lange erforderlich sind. Das NWCC Handbuch für Windanlagen-Genehmigungen von 2002 treibt den Vergleich noch weiter, indem es auf die von der Audubon Society geschätzten 100 Millionen Vögel hinweist, die wilde und domestizierte Katzen jedes Jahr in den USA umbringen.
Die Audubon Society ist der größte Vogelschutzverband in den USA, aber keineswegs ein Gegner der Windenergie, wie manche (z.B. ein Vertreter des erzkonservativen Cato Institute in dieser Radiosendung) uns wissen lassen möchten, sondern eher ein Befürworter. Im Juni 2001 - also 5 Monate vor der obigen Radiosendung - beschrieb Audubons Pressesprecher John Bianchi die Einstellung der Audubon Society zu Windenergie auf Anfrage des Autors so:
Die Audubon Society ist der Auffassung, dass die Windenergie eine großartige, saubere Alternative zu fossilen Brennstoffen darstellt. Wir haben einen einzigen Vorbehalt: Windanlagen dürfen nicht dort aufgestellt werden, wo bedrohte Vogelarten leben, insbesondere Greifvögel, die am ehesten von Windanlagen erschlagen werden. Solange die Umweltverträglichkeit richtig geprüft wird, sollten die Menschen und die Umwelt von den Windparks erheblich profitieren.
Diese positive Einstellung basiert vor allem auf der Einsicht, dass Windenergie keine Luft-, Boden-, oder sonstige Verschmutzung (sauren Regen) verursacht. Das führt zu einer unglaublich positiven Bilanz, wenn man die Zahl der durch Windenergie geretteten Vögel schätzt. Eine Studie für einen neuen Windpark in Ontario / Kanada schätzt, dass die Verdrängung von Strom aus Kohlekraftwerken durch Windenergie die Umwelt so weit verbessern würde, dass das Leben von rund 1710 Vögeln pro Anlage/Jahr gerettet würde. Zieht man die 2,2 jährlich erschlagenen Vögel ab, schneidet eine Windkraftanlage bei + 1707,8 Vögel im Jahr nicht schlecht ab. Kein Wunder, dass Vogelschützer Windenergie befürworten.
Von den USA nach Europa
Windparks in den USA scheinen also keinen negativen Einfluss auf die Vogelwelt vor Ort zu haben: "Since Altamont, bird studies have been conducted in over a dozen states ranging from Tennessee to Minnesota and not one has shown that bird populations have been affected."
Auch in Europa stellen Windanlagen keine Gefahr für Vögel dar. Der Verband der dänischen Windkraftindustrie formuliert das auf seiner Webseite so: "Vögel kollidieren oft mit Hochspannungsleitungen, Masten und Fenstern von Gebäuden. Sie haben jedoch selten Probleme mit Windkraftanlagen. Studien von Radaraufnahmen einer 2-MW-Anlage mit 60 m Rotordurchmesser, die sich in Tjaereborg im Westen Dänemarks befindet, haben gezeigt, dass Vögel bei Tag und Nacht ihre Flugroute rund 100-200 m vor der Anlage ändern und in sicherer Entfernung über die Anlage hinwegfliegen."
Eine Dissertation kam zu einem ähnlichen Ergebnis für Deutschland: "Die beobachteten Auswirkungen der WEA [Windenergieanlagen] auf den Kleinvogelzug am Tage werden an den vier untersuchten Standorten als gering eingestuft. Auch das Vogelschlagrisiko wird an den fünf untersuchten WEA als niedrig bewertet."
Und auch im Offshore-Bereich, der in den nächsten Jahren stark im Kommen sein wird, sieht man keine Gefahr für Vögel oder Tiere. In Holland wird man sogar unter den Offshore-Anlagen Muscheln züchten.
Aus Fehlern gelernt
Wie es sich bei einem ersten Großversuch gehört, lernte man einiges von den Fehlern in Altamont. Zuerst muss man vor der Projektierung ermitteln, ob ein Standort für Vögel kritisch ist (Stichwort: Umweltverträglichkeitsprüfung). Dann hat man angefangen, die Windanlagen anders auszulegen, damit sie für Vögel weniger gefährlich sind. Dabei gab es hauptsächlich zwei Ansätze. Einerseits benutzt man keine offenen, gerüstartigen Türme, die an Hochspannungsmasten erinnern, sondern geschlossene Türme, damit die Vögel in den Türmen selbst keine Nester bauen und sich dort bei Windstille nicht aufhalten; andererseits verlangsamte man die Rotorumdrehung.
Die langsamere Umdrehung ging jedoch nicht mit einer geringeren Energieausbeute einher. Im Gegenteil: Die Anlagen bei Altamont hatten lediglich eine Kapazität von 55kW. Heute sind aber 2MW - das sind 2000 kW - Anlagen auf dem Markt. Und die ersten 5MW-Anlagen werden zur Zeit entwickelt, kommen allerdings erst in einigen Jahren und dann wegen ihrer Größe erst im Offshore-Bereich zur Verwendung. Aber immerhin: eine Steigerung der Kapazität um mehr als 9000% in 25 Jahren.
Im selben Zeitraum ist der Preis pro Kilowattstunde von über 30 Cent auf weniger als 5 Cent an günstigen Standorten gefallen. Die Windenergie ist damit billiger als Atomstrom und kann seit einigen Jahren preislich auch mit Öl und Kohle mithalten (selbst wenn die extrem hohen externen Kosten für Öl und Kohle nicht eingerechnet sind). In der Tat ist die Windenergie so schnell so billig geworden, dass das deutsche Energieeinspeisegesetz (EEG) dieses Jahr revidiert werden soll, weil die Windenergie so viel Unterstützung gar nicht mehr braucht.
Demnächst Teil II: Der deutsche Erfolg, das niederländische Problem und das amerikanische Desaster
Craig Morris leitet Petite Planète Übersetzungen.