Die Wirtschaft wird es machen
Die Initi@tive D 21 will die Informationsgesellschaft in Deutschland sexy machen und den Staat entlasten
Mit einem Feuerwerk an guter Laune, dem Sponsoring von "Internet-Klassenzimmern", dem Aussenden von Netz-Boschaftern sowie zwei PC-Paketen für Schüler versucht D21, Deutschland und vor allem seine Jugend ans Netz anzuschließen. Der Bundeskanzler hat sich an die Spitze der Bewegung gesetzt, schließlich soll die Vernetzungsinitiative dank "Public-Private-Partnership" den Staat nicht viel mehr als ein Lächeln und einige schöne Worte kosten.
"Das Projekt kommt aus der Industrie, nicht aus der Regierung. Vielleicht kann man da etwas Enthusiasmus in die Berichterstattung rein bringen." So entließ Bundeskanzler Gerhard Schröder die zahlreich versammelte Presse gestern abend nach der ersten Konferenz der Initi@tive D21, die ganz unter dem Motto der Vernetzung der deutschen Wirtschaft, Politik, Wissenschaft und Gesellschaft stand. Der Staat ist der Buhmann, der sich aus dem Geschehen möglichst raus halten soll, in der Wirtschaft sind die Helden, die schon alles selbst regeln und regulieren werden - Schröder scheint mit seiner nur halb im Scherz geäußerten Bemerkung die Zeichen der Internetzeit erkannt zu haben.
"Jetzt sind wir die Kümmerer!", hatte Erwin Staudt, Vorsitzender der fünf Monate jungen Vernetzungsinitiative und zugleich Chef der IBM Deutschland, zuvor das Ruder herum gerissen. "Wir wollen eine Philosophie rüber bringen, wie wir als Bürger mit dem Staat umgehen." Inspiration fand der Manager, der besser als mancher Fernseh-Talkmeister durch den Nachmittag führte und mit Show-Einlagen glänzte, wie immer in den USA, wo längst Firmen die Patenschaft für Highways übernommen hätten.
Patenschaften sind auch das Kernstück von D21: Die Schulen sollen ans Netz, die Kids sollen das Computern und Surfen bald "besser" beherrschen, so Schröder, als das Rechnen und Schreiben. Das ist nicht unbedingt neu, und der geneigte Leser wird sich daran erinnern, dass es schon mal eine ähnliche Initiative gegeben hatte, die vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) sowie der Deutschen Telekom getragen wurde.
Das Info-Zeitalter ist so jung wie Sie - wer einsteigt, kann "die Welt bewegen"!
Ohne Informationstechnologie geht nichts mehr. In Gesellschaft, Wirtschaft und Freizeit. Deshalb sind die Zukunftsaussichten in einem IT-Beruf geradezu traumhaft.
Zitat von der Website D21
Doch nun stehen neben IBM rund 70 Unternehmensgrößen wie Hewlett-Packard, debis, Alcatel SEL, Siemens, der Dresdner Bank und der Deutschen Post oder der Preussag AG hinter dem Projekt zum Sponsoring von "Internet-Klassenzimmern". "Wir wollen 20.000 Patenschaften für Schulen von Unternehmen in zwei Jahren stimulieren", stellt Jörg Menno Harms, Vorsitzender der Geschäftsleitung von Hewlett-Packard, die ehrgeizigen Ziele von D21 vor. Schon bis zum Jahresende sollen 100 neue vernetzte Klassenzimmer Wirklichkeit werden. Zusammenbringen soll Förderer und Geförderte der Anfang November im Web eröffnete Marktplatz für Schulen. Dort können sich Schulen und Unternehmen eintragen und miteinander in Kontakt treten. Kommt es zu einer Partnerschaft, sind darin, so Harms, auch der Austausch von Hard- und Software sowie die Übernahme der laufenden Kosten für den Internetzugang eingeschlossen. Bei den Telefonkosten werde "man reden müssen", meinte Schröder, der schon bis zum Jahr 2001 "alle 40.000 Schulen" ans Netz angeschlossen sehen will.
Internette Klassenzimmer sind umsonst, "Schüler-PCs" kosten extra
Per Klick und ganz virtuell konnte der Kanzler, dem der Umgang mit der Maus wohl nie leichter fiel, standesgemäß per Videokonferenz das erste Internet-Klassenzimmer eröffnen. Wegen des hübschen Namens hatte IBM, die 12 PCs, einen Drucker und einen Scanner für den guten Zweck stiftete, eine Schulklasse der Hauptschule in Dortmund-Nette für die erste Patenschaft auserkoren. Dringender als Spekulationen, welche neuen Arbeitsplatzchancen sich dank der Netzrechner für sie nun auftun würden, beschäftigten die so reichlich beschenkten Schüler allerdings ihre Schatten voraus werfende sportliche Großereignisse. So wollten sie während der Teleplauderei vor allem vom Kanzler wissen, ob er wirklich genug dafür tue, die Fußballweltmeisterschaften 2006 nach Deutschland zu holen.
Ich stelle Ihnen heute die größten Private - Public - Partnership Initiative vor, die Deutschland je gesehen hat: Die Initiative D21! D für Deutschland, 21 für das nächste Jahrhundert. All das im Berliner Haus der Wirtschaft - benannt nach der Ikone der freien sozialen Marktwirtschaft, nach Ludwig Erhard! Wir erleben gegenwärtig einen dramatischen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Wandel. Er wird alle Bereiche des Lebens nachhaltig verändern. Wir befinden uns auf dem Weg von der Industriegesellschaft in die Informationsgesellschaft, in das Internetzeitalter, die Wissensgesellschaft, das WebAge, das digitale Zeitalter - wie auch immer Sie es nennen möchten.
Erwin Staudt, Vorsitzender des Vorstandes
IBM und Friends wollen aber nicht nur sponsorn, sondern auch verkaufen. Zwei PC-Varianten mit diversen Hard- und Softwarezugaben können Schüler, Studenten und Lehrkräfte seit gestern über die Computerkette Comtech erwerben: Der "D21-Starter-PC" mit Intel Celeron 433-Prozessor kostet zusammen mit einem kleinen Monitor und einem Tintenstrahldrucker 1.648 Mark. Wie kaum anders zu erwarten, kommt das Gerät mit Windows 98 als Betriebssystem und dem Microsoft Internet Explorer als Standardbrowser. Anwendungsprogramme liefert Lotus. Der angeblich "zum Lernen optimierte D21-Schüler-PC" ist mit einem Intel 500 Pentium III, 64 MB Arbeitsspeicher sowie einer 13-GB-Festplatte ausgerüstet und "verwöhnt Auge und Ohr" über spezielle Grafik- und Soundkarten. Was wie die perfekte Spielemaschine daher kommt, soll dank Lernsoftware wie Taschenwörterbüchern und Lexika auf CD-ROM sowie "digitalen Schulbüchern" von Cornelsen und Klett zum idealen Heimtrainer werden. Ansonsten beherrschen Microsoft-Applikationen den Desktop. Das Bundle schlägt komplett mit Drucker und Bildschirm mit 2.648 Mark zu Buche. Ein Preis, der trotz des "D21-Aufklebers" viele Eltern eher zum Aldi-PC greifen lassen dürfte.
Gehet hin und sucht die Helden der Zukunft!
Die Aktionspalette der Initi@tive ist mit den PC-Angeboten noch lange nicht beendet. Auch dem Fachkräftemangel bei IT-Berufen - Harms spricht von 150.000 offenen Stellen - will die Wirtschaft nun mit eigenen Mitteln den Kampf ansagen: "Ambassadors" sollen in die Schulen gehen und die Kids vor Ort heiß machen auf technisch-wissenschaftliche Studiengänge. Die "Animateure" sind qualifizierte Mitarbeiter der D21-Mitgliedsunternehmen, die mit den Schülern über berufliche Perspektiven rund um die Informationstechnik diskutieren. Allein 1000 Internetbotschafter will IBM-Chef Staudt aus den eigenen Reihen rekrutieren, Hewlett-Packard will dem Angebot laut Harms in keiner Weise nachstehen.
Dass die Ambassadors allein ein Klima erzeugen können, in dem die Begeisterung für das Internet alle infiziert und die Bedeutung der Informationstechnik Ernst genommen wird, glaubt Klaus Mangold allerdings nicht. Der debis-Chef hat die Vision, dass im Jahr 2005 hier zu Lande im Abitur Businessmodelle für den Einstieg in den E-Commerce abgefragt werden oder die Schüler bei ihrem Abschluss eine Website für eine Firma kreieren müssten. Statt ständig über einen Ordnungsrahmen für den elektronischen Handel zu diskutieren, sollten die Politiker lieber junge Unternehmer als die "Helden der Zukunft" darstellen.
"Wir müssen Unternehmensgründern einen ganz neuen Stellenwert zukommen lassen", fordert der Leiter der Arbeitsgruppe "Gründungsoffensive" bei D21. Es komme darauf an, endlich ähnlich wie in den USA eine Stimmung zu verbreiten, "dass wir mit Euch die Zukunft gestalten." Damit müsse man in der Schule beginnen, wo leider immer noch "Rohrehersteller" und "Kohlebergbauer" statt Programmierer und Wissensarbeiter als typische Berufe in den Lehrbüchern porträtiert würden. Außerdem plädierte Mangold für die Bestellung eines "Gründungsbeauftragten" bei der Bundesregierung, der als Ansprechpartner für Existenzgründer und "Transmissionsriemen" dienen soll, der die unterschiedlichsten Initiativen von staatlicher und privater Seite aus koordinieren und so Startups das Leben erleichtern könne.
Gerhard Schröder ist auch drin
Kanzler Schröder, der sich am Sonntag in Florenz beim Treffen sozialdemokratischer Regierungschefs von US-Präsident Bill Clinton noch hatte anhören müssen, dass Europa zur Belebung der Weltwirtschaft die Nutzung des Internet vorantreiben müsse, outete sich als glühender Anhänger der Datennetze: "Ich habe einen Internetanschluss zu Hause", überraschte der bisherige Netzmuffel die Zuhörer. Rasch musste er die kühne Aussage und seine Vorbildfunktion allerdings relativieren: "Meine Frau hat zumindest einen."
Als wichtige Aufgabe "für uns alle" bezeichnete es Schröder, "die Menschen in unserem Land von der Notwendigkeit zu überzeugen, den Übergang in das Informationszeitalter voranzutreiben." Denn trotz guter Voraussetzungen in Deutschland, den " unaufhaltsamen Siegeszug der Informations- und Kommunikationstechnik" erfolgreich zu begleiten und zu gestalten, müssten "wir zur Kenntnis nehmen, dass wir bei der Anwendung der neuen Medien im internationalen Vergleich zu den Nachzüglern zählen." So sei, gemessen an der Bevölkerung, die Zahl der Internet-Anschlüsse in den USA dreimal so hoch wie in Deutschland. Und während die Informations- und Kommunikationsbranche in den USA 1998 7,6 Prozent zum Bruttoinlandsprodukt beigetragen hätte, seien es in Deutschland gerade 4,5 Prozent gewesen.
Die Förderung der Anwendung der neuen Medien und Kommunikationstechniken und die Übernahme des Beiratsvorsitzes der Initi@tive D21 sei für ihn keineswegs nur ein Lippenbekenntnis. Denn die Informationswirtschaft sei inzwischen neben Auto, Maschinenbau, Elektrotechnik und Chemie zur größten Wirtschaftsbranche herangewachsen und zeige zudem das stärkste Beschäftigungspotential, das die Bundesregierung mit dem Mitte September vorgestellten Aktionsprogramm "Innovation und Arbeitsplätze in der Informationsgesellschaft des 21. Jahrhunderts" (Weder kalt noch heiß) ausschöpfen wolle. Von Innovationen hänge das Überleben der Gesellschaft in relativem Wohlstand ab. Es gelte daher, Kinder und Jugendliche in vernünftiger Weise frühzeitig an die kreativen Möglichkeiten der Kommunikations- und Informationstechnik heranzuführen und allen Gesellschaftsmitgliedern Wege aufzuzeigen, wie sie an den Entwicklungen teilhaben könnten. Auch die Wirtschaft müsse dabei soziale Verantwortung übernehmen.
Ist die digitale Kluft in Deutschland noch gar nicht vermessen?
Trotz des sichtlichen Harmoniestrebens auf allen Seiten lässt D21 Fragen offen. Die Bundesländer, in deren Aufgabenbereich schwerpunktmäßig Bildungsfragen fallen, sind in die Initi@tive nicht eingebunden. Auffallend ist auch, dass die Telekom im Rahmen von D21 keine Präsenz zeigt. "Inzwischen gibt es eine Menge Initiativen", sagt Markus Kuschela von der Geschäftsstelle Computer in die Schulen (CidS), die beim Landesschulamt Berlin angesiedelt ist. Da könne die Situation entstehen, dass Partner bei einzelnen Schulen sogar anstehen müssten, um ihre Förderprogramme anzubringen, während andere leer ausgingen. Eine Koordination zwischen Initiativen wie Schulen ans Netz und D21 sei daher dringend nötig.
Skepsis bringt auch Franz Büllingen vom Wissenschaftlichen Institut für Kommunikationsdienste (WIK) der unter dem Motto "der Markt soll's richten" stehenden Vernetzungsinitative entgegen. Seiner Meinung nach reicht die Debatte allein um Netzzugänge keineswegs mehr aus, entscheidend sei längst die "Bandbreitenverfügbarkeit". Eine Schule über ein 56 Kilobit-Modem zu vernetzen, sei wohl wenig sinnvoll. Die richtige Diskussion über die Schließung der "digitalen Kluft", die in den USA Topthema der Politik sei, habe in Deutschland noch gar nicht begonnen. Denn trotz Wettbewerb in Telefonmarkt und der Diskussion um Flat-Rates würde "gleichwohl die Frage aufgeworfen, welche Gruppen außen vor bleiben." Und das sind seiner Meinung nach weniger Schüler, als vielmehr Frauen, Arbeitslose und Senioren. Aber auch die werden eines Tages sicher auf ihren "D21-Ambassador" stoßen.