Die Wow-Signal-Legende
Der heißeste Kandidat auf ein außerirdisches Funksignal lässt viele SETI-Forscher kalt
Als das “Big-Ear”-Radioteleskop der Ohio State University in Columbus (US-Bundesstaat Ohio) am 15. August 1977 um 23.16 Uhr Lokalzeit ein ungewöhnlich starkes Signal ortete, nahm eine Legende ihren Lauf, die sich inzwischen verselbstständigt hat. Ob das vor 32 Jahren registrierte Funkfeuer wirklich ein Informationsfetzen einer außerirdischen Nachricht gewesen war, lässt sich im Nachhinein weder eindeutig beweisen noch eindeutig widerlegen. Fakt ist: Das Wow-Signal erfüllte zu keinem Zeitpunkt die strengen SETI-Vorgaben. Fakt ist auch, dass viele SETI-Astronomen von ihm wenig halten.
„Das Wow-Signal ist Teil der SETI-Geschichte. Ich glaube immer noch, dass es sich bei diesem durchaus um ein extraterrestrisches Signal gehandelt haben könnte“, äußerte sich Frank Drake im Mai 2009 ganz bewusst im Konjunktiv über das ungewöhnlich starke Signal, das 1977 sage und schreibe 72 Sekunden lang pulsierte – 30 Mal stärker als alle Hintergrundgeräusche.
Kryptische Buchstabenfolge
72 Sekunden – das war eigentlich genau die Zeitspanne, in der sich das „Big-Ear“-Teleskop mit der Erdumdrehung durch den Empfangsbereich des Signals bewegte. Ein weiteres wichtiges Charakteristikum war, dass es sich von den 50 Kanälen, die der junge promovierte Radioastronom Jerry Ehman und seine Kollegen durchmusterten, nur auf einem einzigen zu erkennen gab. Ein derart extremes Schmalbandsignal kann nicht natürlichen Ursprungs sein, zumal die Bandbreite weniger als 10 Kilohertz betrug und die Frequenz des Signals bei 1420,405 Megahertz, also genau in dem Radiofenster lag, in dem "Erdlinge" aus Rücksicht auf radioastronomische Forschungen eigentlich nicht senden sollten. „Es war das eindrucksvollste Signal, was wir je gesehen hatten", erinnert sich Ehman, der an jenem denkwürdigen Tag die Messergebnisse als Erster zu Gesicht bekam. "Ohne nachzudenken schrieb ich auf den Rand des Computerausdrucks 'Wow'!" Anstatt als akustisches Signal in Erscheinung zu treten, offenbarte sich der legendäre kosmische Impuls auf dem Computer-Ausdruck als Zeichencode. Für Außenstehende waren die vom Rechner übersetzten Signalkurven, die sich in der Zahlen- und Buchstabenfolge „6EQUJ5“ manifestierten, nichtssagend, für professionelle SETI-Radioastronomen freilich vielsagend.
Übersetzt bedeutet nämlich das kryptische Zahlenwort, dass ein engbandiges, sehr starkes Signal für einen kurzen Zeitraum Einzug gehalten hatte. In dem System, das Ehman und seine Kollegen damals verwendeten, repräsentierte jede Zahl von eins bis neun die Signalstärke über dem Hintergrundrauschen. Während die Ziffer 1 für ein schwaches Signal stand, indizierte eine 9 ein starkes. Ab der Signalstärke 10 übernahmen Buchstaben die Regie. Gemäß ihrer Folge (A, B, C und so weiter) steigerte sich die Signalintensität. Alle zwölf Sekunden wurde eine Zahl oder ein Buchstabe gedruckt, wobei Zahlenwerte über 4 und Schriftzeichen auf dem Computerpapier selten eine Beziehung eingingen. Kein Wunder also, dass im „Big-Ear“-Kontrollzentrum aufgrund der Kombination von hohen Ziffern und Buchstaben, wie im Falle des Wow-Signals, mit einem Male überall die Alarmglocken schrillten.
Keine Bestätigung
Die Aufregung war damals sehr groß. Vier Jahre lang hatten die Computer und Datenschreiber des Ohio-SETI-Programms nicht Ungewöhnliches registrieren können. Jetzt aber drängte sich plötzlich ein Signal auf, das sich offensichtlich sogar mit den Sternen bewegte. Das eigentliche Intelligenzmerkmal des Pulses bestand darin, dass er sich – ähnlich dem Läuten eines Telefons – selbst an- und ausschaltete. Während er sich im Teleskopstrahl befand, unterbrach er zwischenzeitlich den Sendefluss – wie bei einem Morsecode.
Das „große Ohr“, mit dem der Fund seinerzeit gelang, war eine rechteckig geformte Anlage, die an einen Fußballplatz erinnerte und nach ihrer Demontage 1998 tatsächlich eine sportive Verwendung fand. Aufgrund eines finanziellen Engpass wandelte die Universitätsverwaltung die Anlage in einen Golfplatz um. Wo jedoch in einem Fußballstadion normalerweise die Tore stehen, ragten 1977 auf der 110 Meter langen und 24 Meter breiten Aluminiumfläche jeweils am Ende des Feldes zwei gigantische Reflektoren empor, der eine flach, der andere parabolisch geformt. Im Verbund tasteten beide denselben Himmelsabschnitt nacheinander ab und erreichten gemeinsam die Empfindlichkeit einer 60-Meter-Schüssel. Die eingehenden Pulse, die das erste Strahlenbündel einfing, registrierte im Normalfall kurze Zeit später der zweite Reflektor. Durch einen Vergleich der Daten konnten die Radioastronomen das Störfeuer irdischer Sender nahezu ausschalten.
Aber ausgerechnet, als das Wow-Signal eintraf, registrierte nur die erste Antenne den starken Puls, während drei Minuten später der zweite Reflektor nicht mehr den geringsten Piepser aufzuzeichnen vermochte. Anderen unabhängigen Teleskopen erging es genauso. Auch das weitaus empfindlichere Interferometer-Radioteleskop Very Large Array (VLA) in New Mexico (USA) konnte kein Signal mehr auf derselben Position und Frequenz aufspüren. Obwohl das Ohio-Team den Herkunftsort des Wow-Signals – dieser lag nahe des Milchstraßenzentrums im Sternbild Schütze – insgesamt mehr als 100 Mal ohne Erfolg observierte, feiern viele SETI-Enthusiasten das Ereignis auch heute noch als den First Contact schlechthin.
Dabei erfüllte der Impuls die strengen SETI-Vorgaben zu keinem Zeitpunkt: Das Signal wiederholte sich nicht, pulsierte nicht durchgehend für längere Zeit, konnte von keiner zweiten Antenne registriert werden, wies kein erkennbares systematisches Informationsmuster auf und überraschte mit keinem tiefgehenden Inhalt. Vor allem aber kam das Radiosignal für eine außerirdische Flaschenpost schlichtweg viel zu kurz daher. Welche kontaktfreudige intelligente ferne Kultur würde dermaßen sparsam und naiv sein, Funkbotschaften in Sekundenlänge über Tausende von Lichtjahren ins All zu senden?
Unheimliche Entdeckung?
Alle bisherigen Erklärungsversuche, das Signal mit einem natürlichen oder künstlichen Ursprung direkt in Verbindung zu bringen, endeten wenig zufriedenstellend. Mal wurden lokale Quellen und irdische Radiokommunikation als Urheber ausgeschlossen, weil die Wasserstofffrequenz zu jenem geschützten Bereich des Spektrums zählt, in dem keine kommerziellen oder militärischen Radiosender arbeiten dürfen. Ein anderes Mal konnten Planeten oder bekannte Asteroiden, Raumsonden im Sonnensystem oder Satelliten in Umlaufbahn desgleichen als Verursacher verworfen werden, da keines dieser Objekte zum Zeitpunkt des Kontakts die Bahn des Signals kreuzte. Auch TV-Signale, die in der Regel deutlich breiter respektive weniger schmalbandig daherkommen, fielen aus dem Kreis der üblichen Verdächtigen heraus. Einige SETI-Forscher gingen sogar soweit, das Ereignis auf Gravitationslinseneffekte oder interstellare Oszillation (ein Effekt ähnlich dem atmosphärischen Funkeln der Sterne) zurückzuführen. Solche Ideen jedoch verflogen genauso so schnell wieder wie sie gekommen waren.
Eingedenk dieser Überlegungen läuft das wahrscheinlichste Szenario darauf hinaus, dass das Wow-Signal tatsächlich außerirdischer Natur gewesen ist, aber eben nur außerirdischer und keineswegs künstlich-außerirdischer. Fakt ist, dass es nicht den geringsten Beweis dafür gibt, dass hinter alldem ein intelligenter Absender aus dem All steckt. Das Signal kam unbestritten von außerhalb der irdischen Atmosphäre, eventuell sogar aus dem interstellaren Raum. Hinter ihm jedoch gleich eine intelligente Botschaft zu vermuten, ist angesichts der dünnen Indizienkette und schmalen Beweislage fahrlässig und vor allem unwissenschaftlich. Schließlich könnte es ebenso gut ein fragmentarisch-elektromagnetisches Abfallprodukt eines uns bislang unbekannten astrophysikalischen Phänomens gewesen sein. Vielleicht verursachte die ganze Aufregung auch nur ein sowjetischer Spionage-Satellit oder eine verirrte irdische Forschungssonde. Die Koordinaten solcher orbitalen Vagabunden kann selbst der beste Prophet nicht vorhersehen.
Jedenfalls fußen die Behauptungen zahlreicher SETI-Fans, die mit dem Wow-Signal eine der unheimlichsten Entdeckungen in der Geschichte der Wissenschaft assoziieren, auf keinem wissenschaftlich festen Fundament. So warnt denn auch der bekannte SETI-Forscher Seth Shostak vor überschwänglichem Enthusiasmus. Er hält das Wow-Signal für vernachlässigbar, weil es zu keinem Zeitpunkt wissenschaftlichen Ansprüchen genügte.
SETI-Wissenschaftler glauben … nur an Signale von E.T., wenn sie mehrmals und immer wieder zu sehen sind. Das Wow-Signal zeigte sich leider nur einmal. Daher konnte es die Wissenschaftler nicht überzeugen.
Jill Tarter, die Direktorin des SETI-Instituts in Mountain View (Kalifornien) und die weltweit bekannteste SETI-Wissenschaftlerin, geht noch einen Schritt weiter und kritisiert die Verklärung des Wow-Signals und die damit einhergehenden Konsequenzen für eine seriöse SETI-Forschung ganz offen.
Dieses Signal hat den Test, der vor Störsignalen schützen sollte, gar nicht erst bestanden, ist trotzdem zu einem Teil der SETI-Folklore geworden und hat damit eine Art kleine Heimindustrie hervorgebracht, die über 20 Jahre Bestand hatte. Meiner Meinung nach war das für die Glaubwürdigkeit der SETI-Bestrebungen nicht förderlich.
Die vielleicht banalste Erklärung für das von Jerry Ehman aufgezeichnete weltberühmte Wow-Signal lieferte Jerry Ehman selbst. Seine Äußerung spiegelt zugleich das Dilemma wider, das seine „Entdeckung“ in den letzten 30 Jahren heraufbeschworen hat. Während nämlich immer mehr SETI-Anhänger die „Botschaft“ von 1977 mystifizieren sowie glorifizieren und bewusst in die Nähe eines ersten echten außerirdischen Kontaktversuchs rücken, kann sein Entdecker mit solchen Gedankengängen nicht viel anfangen. Wie seine Kollegen Seth Shostak und Jill Tarter sucht Ehman stattdessen nach wissenschaftlich haltbaren Thesen und Erklärungen. Auch wenn er in dieser Hinsicht noch nicht ganz fündig geworden zu sein scheint, hat er doch von der extraterrestrischen Hypothese im Sinne eines künstlichen Signals inzwischen spürbar Abstand genommen:
Irgendetwas sagt mir, dass es ein erdgebundenes Signal war, vielleicht eine Reflexion von einem Stück Weltraumschrott.