"Die Würde des Weißen Deutschen ist unantastbar"

Am Donnerstag haben in Berlin die Aktionstage gegen die Residenzpflicht und für Bewegungsfreiheit aller Flüchtlinge begonnen

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"In Südafrika wurde die Apartheid vor mehr als einem Jahrzehnt abgeschafft. Doch in Deutschland herrscht sie weiter. Eine bestimmte Gruppe von Menschen darf in diesem Land nur an bestimmten Orten sein, in bestimmten Läden gegen Gutscheine einkaufen und bestimmte Ärzte besuchen." Es waren harte Worte, die die Pressevertretern am Mittwochvormittag im Berliner Abgeordnetenhaus zu hören bekamen. Die für Flüchtlingsfragen zuständigen Sprecher der Berliner PDS und der Bündnisgrünen, Karin Hopfmann und Hartmut Berger, hatten zu der öffentlichen Anhörung unter dem Motto "Menschenrechte gelten auch für Flüchtlinge. Die Residenzpflicht muss weg" eingeladen. Das Hearing war gleichzeitig eine Vorbereitung auf die von Migrantengruppen organisierten Aktionstage gegen die Residenzpflicht und das Recht auf Bewegungsfreiheit, die am Donnerstag in Berlin begannen.

Auf dem Berliner Schlossplatz wurde eine Zeltstadt aufgebaut, die bis zum Sonntag die Teilnehmer aus der gesamten Republik beherbergt. Tagsüber finden dort Workshops, Filmbeiträge und Diskussionsveranstaltungen statt. Auch Plakate und Transparente für die große Abschlussdemonstration am Sonnabend werden dort hergestellt. Thema ist eine deutsche Besonderheit in der Ausländergesetzgebung, die sogenannte Residenzpflicht.

Bereits 1982 wurde der Paragraph 56 in das Asylverfahrensgesetz aufgenommen. Danach dürfen sich Flüchtlinge im Anerkennungsverfahren nur in dem Landkreis aufhalten, in dem die für sie zuständige Ausländerbehörde ihren Sitz hat. Seitdem klagen die Flüchtlinge immer wieder über die Verletzung des zentralen Menschenrechts auf freie Bewegung. Jeden Schritt außerhalb des Landkreis müssen sich die Flüchtlinge vom Ausländeramt genehmigen lassen. In der Regel werden die Bestimmungen sehr restriktiv ausgelegt.

Der auf Flüchtlingsangelegenheiten spezialisierte Berliner Rechtsanwalt Ulrich von Klinggräff liefert dazu beklemmende Beispiele aus der alltäglichen juristischen Praxis. So wurde einem Flüchtling der Besuch bei seiner Freundin verweigert. Politisches Engagement wird den Flüchtlingen durch diese Regelung fast unmöglich gemacht. "Sie sind in Deutschland, um ihr Asylverfahren durchzuziehen und nicht um sich politisch zu betätigen" beschied die Ausländerbehörde einen Mandanten von Klinggräff. Der Flüchtling wollte im Mai 2000 den bundesweiten Flüchtlingskongress in Jena besuchen. Wie er haben sich viele andere Flüchtlinge in einem Akt des zivilen Ungehorsams über die Residenzpflicht hinweggesetzt und sind nach Jena gefahren. Der The Voice-Mitbegründer Cornelius Yufanyi wurde deswegen zu einer Geldstrafe von 600 DM verurteilt. Doch er will lieber in das Gefängnis gehen, als auch nur einen Pfennig zu zahlen. Eine Haltung, die sich unter den Flüchtlingen mehr und mehr verbreitert.

Auf dem Jenaer Flüchtlingskongress wurde auf Initiative von The Voice eine antirassistische Infrastruktur geschaffen, die die Aktionstage in Berlin erst möglich gemacht haben. Gemeinsam mit Brandenburger Migrantengruppen gehört die von afrikanischen Menschenrechtlern getragene Migrantenorganisation "The Voice" zu den Organisatoren des Berliner Protestes. Seit mehr als zwei Jahren haben die Flüchtlingsaktivisten die Residenzpflicht mit vielen Aktionen und Demonstrationen immer wieder öffentlich thematisiert. Einer der Höhepunkt war eine Demonstration am 3.10.2000 vor den Expogelände in Hannover.

Mittlerweile beginnen sich über die organisierte Migrantenszene hinaus auch deutsche Menschenrechtsgruppen mit der Problematik der Residenzpflicht auseinanderzusetzen. Doch die Unterstützung ist zumindest in der Vorbereitungsphase der Aktionstage kleiner als erwartet ausgefallen. Vor allem finanzielle Spenden werden noch immer dringend gesucht. Die Flüchtlinge fordern allerdings nicht Hilfe, sondern Solidarität. "Wir sind keine Opfer, sondern Menschen, die um ihre Rechte kämpfen" bringt der The Voice-Aktivist Gaston Ebua das Verständnis der Aktionen auf den Punkt. Alle Menschen guten Willens unabhängig von der Parteipolitik sind zur Unterstützung aufrufen.

"Es ist ein deutsches Problem. Schließlich hat die deutsche Regierung die Europäische Menschenrechtskonvention unterzeichnet, die die Bewegungsfreiheit für alle garantiert" meint Jean Jaques Effson Effa vom Brandenburgischen Flüchtlingsrat. Wenn die gegenwärtige Praxis nicht schnell verändert wird müsste die Präambel des Grundgesetzes eigentlich umgeschrieben werden, meinte Pastor Pierre Botembe von der afrikanischen ökumenischen Kirche e.V. mit einer Spur von Sarkasmus "Die Würde des Weißen Deutschen ist unantastbar, wäre dann die korrekte Zustandsbeschreibung."