Die Würfel sind gefallen
Österreichische Autobahnen: Mauteintreibung per Mikrowelle und Laser
Das Rennen um die Vergabe des Road-Pricing-Systems für Österreichs Autobahnen ist entschieden: Die italienische Autostrade (Eigentümer: Benetton) wird gemeinsam mit der österreichischen Elektronikfirma Kapsch bis 2004 das weltweit erste flächendeckende vollelektronische System zur Mauteinhebung auf Autobahnen einführen. Siemens, Anbieter eines supermodernen Verfahrens auf GPS/GSM-Basis, zog gegen ein aufwendiges Netz aus Mikrowellen-Balken, Laser-Scannern und Video-Kameras den Kürzeren.
Viele Stimmen in Österreich feiern die Auftragsvergabe wie einen Sieg. "Internationale Delegationen werden sich das massenweise ansehen", sagte der Autostrade-Sprecher Peter Newole, der als "Dealmaker" gilt. Er rechnet damit, dass weltweit Dutzende von Staaten, darunter Deutschland, Großbritannien, Schweden, Spanien und Griechenland, dasselbe Mautsystem installieren werden.
Die Kapsch TrafficCom, die für die Fertigung und Installierung der Elektronik zuständig ist, plant den Börsengang - eine Seltenheit angesichts der grassierenden NewEconomy-Schwäche. Auch viele österreichische Bauunternehmer jubeln. Schließlich erfordert das System eine aufwendige Infrastruktur mit unzähligen Mikrowellen-Balken quer über die Autobahnen. Kari Kapsch, Vorstandsvorsitzender des Wiener Familien-Unternehmens, wehrt sich gegen den Vorwurf , die Technologie sei veraltet: "Unser System hat sich bereits international bewährt und ist sogar jünger als die Siemens-Variante".
Was allerdings nicht stimmt. Das Funkbemautungssystem von Kapsch basiert im Wesentlichen auf einer von Experten des österreichischen Verkehrministeriums erstellten Spezifikation aus dem Jahre 1991. Die Tauernautobahn-AG. sollte eine Vorreiterrolle übernehmen und wurde mit der Ausschreibung beauftragt. Sie verfügt bis auf den heutigen Tag über kein automatisches Road Pricing-System: Nach einigen Pleiten, Pech und Pannen, in die verschiedene Firmen involviert waren, entwickelte schließlich Kapsch als erste Firma ein funktionsfähiges Equipment. Testbetreiber wurde die italienische Autostrada.
Inzwischen begannen auch Alcatel und Siemens mit der Entwicklung elektronischer Funkbemautungs-Systeme. Man testete u.a. auch Infrarot-Transponder, die sich aber nicht als allwettertauglich erwiesen. Siemens setzte schließlich voll auf ein satellitengestütztes GPS-System, bei dem quasi eine "Autobahn-Landkarte" im OBU (On-Board-Unit) gespeichert ist. Damit kann jeder Standort eines Fahrzeuges erfasst und per GSM-Handyfunk an einen zentralen Rechner übermittelt werden.
Im Gegensatz dazu kann Kapsch die Fahrzeuge nur beim Auffahren bzw. Abfahren von der Autobahn erfassen, wo sich auch ein Laser-Scanner befindet, der Achsenzahl und Profil abtastet und somit Größe und Art der LKWs identifiziert. Anhand der gezählten Kilometer wird sodann der Betrag in Sekundenschnelle per Datenleitung vom Bankkonto des Fahrzeugeigners abgebucht. Sollte ein Verkehrsteilnehmer versuchen, das System auszutricksen (z.B. die OBU abschalten), um sich die Kosten von bis zu 30 Cent pro km zu ersparen, so wird er automatisch detektiert, sein Kennzeichen wird mit streckenseitig angeordneten Kameras erfasst, mittels OCR gelesen und an die Zentrale gemeldet. Die Strafverfügung wird sodann gleich automatisch mit der Rechnung ausgedruckt.
Dennoch wird sich der staatliche Autobahnbetreiber ASFINAG, der 747 Millionen Euro für das Road-Pricing-System an Autostrada zu zahlen hat, auf einige Probleme gefasst machen müssen. Ein herzleidender Fahrzeuglenker, der unglücklicherweise stundenlang im Stau unterhalb eines Sendebalkens zu stehen kommt, könnte eine saftige Portion Mikrowellen-Strahlung abbekommen. Ob das seinem Herzschrittmacher gut tut, sei dahingestellt. Ähnliches gilt für die Laser-Abtastung eines Cabrio, in dem ein Fahrer den Strahl ins Auge bekommen könnte. ASFINAG, Kapsch und Autostrada werden sich daher schon jetzt um gute Rechtsanwälte umsehen müssen. Viele Fahrer werden außerdem versuchen, auf Nebenstraßen auszuweichen. Das gilt gerade für die unzähligen Ost-LKWs auf Österreichs Autobahnen, deren Besitzer ohnehin knapp bei Kasse sind. Permanente Verkehrsprobleme, Streit mit Gendarmen und Ärger mit erbosten Dorfbewohnern sind daher schon jetzt vorhersehbar.
ASFINAG rechnet mit jährlichen Einnahmen von 600 Mio. EURO, auf die die das Finanzministerium bereits sehnsüchtig wartet. Schon seit fast 10 Jahren wird von den Politikern die Errichtung des Road-Pricing-Systems gefordert. Der Grund, warum man bis jetzt zugewartet hatte, lag nicht nur an technischen und logistischen Details. Man wollte höchstwahrscheinlich auch das Auslaufen bestehender Patente im Bereich elektronischer Wegstrecken-Erfassung und sensorischer Weg/Zeit-Erfassung, die auch in Österreich Geltung hatten, abwarten, um auf Nummer Sicher zu gehen.
In manchen österreichischen Internet-Foren, wie etwa science.orf.at, wurden Kritiker des vollelektronischen Road-Pricing-Systems heruntergemacht. Es werden ohnehin nur die LKWs zur Kasse gebeten - und hauptsächlich die ausländischen - so der einhellige Tenor. Ein Riesenirrtum, wie sich bald herausstellen wird. Man braucht nur den Kommentar im Wirtschaftsteil einer großen österreichischen Tageszeitung lesen, in dem es heißt: "....Freilich wird es noch ein paar Jahre dauern, bis das elektronische Raubrittertum, äh pardon: die automatische Mauteinhebung, AUCH FÜR PKWs kommt. Aber es wird kommen, so SICHER wie das AMEN im GEBET."